"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Sonntag, 30. März 2014

Wenn ich auf dem Boot sterbe

Sotiria Bellou war eine von den vielen Frauen, die als Sängerinnen in der griechischen Rembetika-Musik bekannt geworden ist. Sie wurde 1921 geboren und kam 1940 nach Athen, wo sie Vassilis Tsitsanis, den größten Komponisten des Nachkriegs-Rembetika kennen lernte. Da die Veröffentlichung von Rembetika-Platten in Griechenland nach 1940 bis nach Ende des griechischen Bürgerkriegs verboten war, lag die Zeit ihrer musikalischen Werke in der (in Bezug auf die Musik) braveren Nachkriegszeit.

Sie war, wie die meisten Rembetika-Sängerinnen, eine ziemlich starke und auch widersprüchliche Persönlichkeit. Sie war Zeit ihres Lebens politisch aktiv, während des Krieges war sie im griechischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung tätig. Wie viele der männlichen Rembetes war sie auch zeitweise im Gefängnis, angeblich  hatte sie ihrem gewalttätigen Mann Säure ins Gesicht geschüttet, nach anderen Quellen soll dies eher ein Vorwand für die Behörden gewesen sein, gegen die linke politische Aktivistin vorzugehen. Sie lebte später offen lesbisch, was zur damaligen Zeit ein Wagnis war.

Eines ihrer bekanntesten Lieder ist Trüber Sonntag - Synefiasmeni Kyriaki, eine Tsitsanis Komposition. Die Melodie hört man manchmal in griechischen Restaurants instrumental im Hintergrund, ohne dass man sich bewusst ist, dass es ein Lied über die Schrecken der deutschen Besatzung ist.

Mein Lieblingslied von Sotiria Bellou ist San pethano sto karavi - Wenn ich auf dem Boot sterbe (ein Lied, das ca. 1915 zum ersten Mal aufgeschrieben wurde; die Aufnahme von Sotiria Bellou ist wohl aus den späten Vierzigern).

"Wenn ich sterbe, was werden sie sagen? Ein Kerl ist gestorben, der das Leben liebte und es genoß, Aman, Aman.*
Wenn ich auf dem Boot sterbe, schmeißt mich in das Meer, dass mich die schwarzen Fische und das Salzwasser auffressen können, Aman, Aman."

Eines der Lieder, das man spielen sollte, kurz bevor die Feier endet (früher war das auch immer die Platte, die ich als letztes auf dem Plattenspieler fand, wenn ich am Morgen nach einer Feier aufräumte).

*Aman ist ein in Rembetika-Liedern häufig verwendeter Ausruf; ursprünglich kommt er aus der osmanischen Tradition, dort wurde der Ausruf genutzt, um bei Improvisationen Zeit zu gewinnen.

Mittwoch, 26. März 2014

Fleisch, Schinken, Kekse: alles nicht so einfach

In dem Post über die zweifelhaften Dave & Howard habe ich ja auch Dr. Humphrey Bate vorgestellt und darüber sinniert, ob sein "Ham beats all meat" nicht auch eine Zweideutigkeit sein könnte.
Tja, alles noch viel komplizierter. Zwar kann man sich ja gar nicht vorstellen, dass jemand, der in einer Band namens "Possum Hunters"* mitspielte und dessen weitere Hits "How many cookies can you eat" und "Throw the cow over the fence" waren, Texte singt, die einen vor interpretatorische Probleme stellen. Aber genau wie bei Dave & Howard muss man wohl etwas genauer hinsehen.

Als ich noch einmal etwas über Dr. Bate nachgelesen habe, stieß ich zunächst darauf, dass "Ham beats all meat" ursprünglich gar kein weißes Hillbilly-Stück war, sondern ein Lied der Schwarzen, das schon älter als 1928 war. Der ursprüngliche Text war eine Gegenüberstellung des Lebens der feinen (weißen) Leute und der armen (schwarzen) Bevölkerung. Der Refrain stellte dann dar, dass die Weißen dann "alte Kühe" essen und sich dabei fein vorkommen, während das richtige Essen doch der
gute Schinken sei... So weit, so gut, offenbar fand das Lied dann auch Einzug in die sog. Minstrel-Shows, in denen schwarz bemalte weiße Schauspieler Schwarze darstellten. Wikipedia schreibt dazu: "Minstrel-Shows zeigten in idealisierter Form den Weißen, die oft keine Schwarzen aus ihrem Alltag kannten, zahlreiche Stereotype von Schwarzen. Sie werden als ständig fröhliche, singende und naive Sklaven dargestellt, die ihre Besitzer trotz harter Arbeit lieben. Dabei wird eine romantisierende Vorstellung vom Alltag der Sklaven auf den Plantagen inszeniert." Und schließlich landet dann das Lied bei den Oppossum-Jägern und Dr. Humphrey Bate, die allerdings den Text wohl etwas abgeändert haben. Genau wie bei Dave & Howard habe ich keine Vorstellung, wer und mit welcher Intention sich das angehört hat.

Das ganze scheint mir wie ein Vexierbild. Also bleiben wir vielleicht doch lieber bei  Stücken, die keine zweite, dritte und vierte Ebene haben. Schmeißen wir die Kuh über den Zaun!




*Ich habe mal bei den Henhunters mitgespielt; der Name hatte allerdings schon eine gewisse sexuelle Konnotation.

Sonntag, 23. März 2014

Warum tragen die jungen Leute jetzt alle Vollbart?

Eine überraschende, aber durchaus plausible Erklärung kommt von Cyanide & Happiness (das ist ein Autorenkollektiv, das Comics und Kurzfilme von zumeist zweifelhaftem Geschmack produziert; manchmal sind aber phantastische Sachen dabei. Wie das hier):

Dienstag, 11. März 2014

Dave & Howard oder die frühen Schweinepriester

Ich habe eine Schwäche für die Musik aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als sich offenbar in den USA und in Griechenland jeder hinstellen konnte, um eine Platte aufzunehmen. Unglaubliche Dinge, die man dort entdecken kann. In Bezug auf amerikanische Musik finde ich es immer bemerkenswert, wie der schwarze Jazz in Bezug auf Rhythmik und Melodik der weißen Folkmusik meilenweit überlegen ist. Man nehme die Eleganz eines Jelly Roll Morton und vergleiche sie mit dem Gerumpel der Hillbillies in den zwanziger Jahren. Trotzdem, ich bin ja auch ein erklärter Freund des Rumpelns.

Man (oder ich) kann zwar Zusammenstellungen von Country- und Bluegrass-Musik aus den Zwanzigern und Dreißigern kaum am Stück hören, aber mittendrin findet sich immer ein Lied, das bei aller musikalischen Limitation von klassischer Schlichtheit ist. Dabei denke ich vor allem auch an die Folk-Kirchenlieder, die oft eine merkwürdige naive Erhabenheit ausstrahlen. Bei der Vorbereitung dieses Posts musste ich jedoch feststellen, dass dieses Blog seinen Namen zu Recht trägt. Neben den getragenen Liedern eines Alfred Karnes, wollte ich über ein Lied zweier Hillbillies Dave & Howard schreiben, die in sehr verpeilter, aber rührender Form im Wechselgesang von der Auferstehung singen: My bones gonna rise again. (das war vor allem auch als Kontrapunkt zu der Jelly Roll-Geschichte gedacht).

Als ich nachsehen wollte, ob man zu diesem Stück von 1931 irgendwelche weiteren Informationen findet, musste ich feststellen, dass das Lied zwar tatsächlich einem Kirchenlied "Dese bones gonna rise again" nachempfunden war, Dave & Howard aber tatsächlich über ganz andere Knochen, die sich wieder erheben, singen (bei nochmaligem Anhören muss ich mich fragen, warum mir das nicht selbst aufgefallen ist, die Anspielungen sind etwa so subtil wie in heutigen Ballermann-Hits). Mir fehlt die Kenntnis und Vorstellung der amerikanischen Gesellschaft der damaligen Zeit, um sagen zu können, bei welchen Gelegenheiten und von wem solche Platten gehört wurden. Ich weiß nicht, ob man sich heute in den USA mit obszönen Kirchenliedparodien viele Freunde machen würde.... Ganz egal, das Lied ist auch so noch ein nettes, dann eben nicht als Beispiel der Naivität, sondern im Gegenteil, der Schlitzohrigkeit.

Nun bin ich aber am Grübeln, ob mein Favorit von 1928, Dr. Humphrey Bates "Ham beats all meat" (ein faszinierend stupides Lied! Unbedingt anhören!) auch irgendwelchen Schweinkram enthält....
Aber wenn schon die Marmeladensemmel eine obszöne Anspielung war, dann sicher auch der Schinken.

Dienstag, 4. März 2014

Alcoholics unanimous

(Ein Aschermittwochs-Post)

"I've  been up up all night, I've been making mistakes, I hide it well, but I don't feel great"
singt Eddie Argos, der inzwischen auch irgendwo in Berlin lebt (who doesn't). Gott sei Dank ist man selbst nicht mehr so jung, dass es noch viele solcher ausschweifende Abende gäbe. Und die verkaterten Morgen gibt es nur noch sehr selten, wenn überhaupt. ("Bring me tea, bring me coffee")

Wenn's aber doch passiert, das perfekte Kater-Lied haben Art Brut abgeliefert. Ein solcher Song muss allerdings auch mit den Worten: "Slept on my face, I woke up confused" beginnen.