"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Mittwoch, 31. Dezember 2014

Durch die Nacht fällt etwas Schnee...

Über die Boxhamsters habe ich ja schon geschrieben, eine Band für deren Oeuvre man 90 % des sonstigen Deutschpunks ohne Nachzudenken hergeben würde. Auf ihrer ersten LP hatten sie das definitive Silvesterlied, für mich unverständlich, dass es irgendwo Jahreswechsel geben könnte, bei denen nicht irgendjemand "Prost Neujahr Jr." summt (auch wenn es eher düster ist)...

Kommt gut rüber. Und möge das nächste Jahr eines sein, das es mit uns gnädig meint.

Montag, 29. Dezember 2014

Fuck Rock, Let's Art

(Manchmal gibt es Themen, die sowohl hierher  als auch in Ackerbau in Pankow passen. Dieses ist eines davon, auch wenn es zunächst nicht so scheint.)
Art Brut sind eine britische Post-Punk-Band, die mir, der ich ja den kontemporären Musikbetrieb nicht mehr sonderlich gut überblicke, vor ein paar Jahren positiv aufgefallen sind. Neben dem unvermeidlichen: "ja, das klingt wie ... und ..." fand ich die Band dann wirklich bemerkenswert und im besten Sinne aufregend (wie z.B. hier verewigt). Mehr oder weniger durch Zufall habe ich mitbekommen, dass der Sänger, Eddie Argos, ein Buch mit verschiedenen seiner Bilder und Texten herausgebracht hat, das ich mir dann über das Internet bestellt habe. Das Bändchen trägt den Namen Fuck Rock, Let's Art und enthält in mehreren Kapiteln Erläuterungen zu Eddie Argos Bildern, die zumeist auch mit Musikstücken verbunden sind. Eine sehr britische und kurzweilige Lektüre. Ich habe dann auch mitbekommen, dass Eddie Argos im Prenzlauer Berg eine Ausstellung seiner Bilder hatte, die kurz vor Weihnachten mit einem Solo-Konzert enden sollte. Nun habe ich nur sehr reduzierte Erfahrungen mit Verni- und Finissagen, ging dann aber schon aus Neugierde hin.

Die Galerie bestand aus zwei kleinen Räumen, die mit einer Treppe verbunden waren, Argos sang auf der Treppe zu der Begleitung einer Gitarrenspur auf seinem iPhone. Soundmäßig ging alles schief, was schief gehen konnte, trotzdem war es großartig. Argos ist ein geborener Entertainer. Gespielt wurden u.a. My little brother, Modern Art, Pump up the volume und Formed a Band. Fantastisch. Bei Modern Art erzählte Argos seine Erlebnisse im Van Gogh-Museum Amsterdam, u.a. seinen Versuch, ein Gemälde abzulecken und die Reaktion der Security darauf. Natürlich alles erfunden, aber Modern Art makes me want to rock out! Fantastisch (sagte ich das schon?). Bei der weiteren Beschäftigung mit der Band habe ich festgestellt, dass die alles Schlaue des Postpunks schön aufgegriffen und weiterentwickelt haben. Art Brut treten mit ihren schrillen Gitarren, dem bollernden Bass und den schön gesetzten Chören sogar teilweise das Erbe der ebenfalls heißverehrten B52s an (zu hören auf Good Weekend). Und sosehr ich Fußballpunklieder nicht ausstehen kann (mit Ausnahme von 60 von den Marionetz), St.Pauli ist ein Lied des Jahrzehnts.

Also, ich bin hier endlich mal wieder unreflektierter Fan, wenn auch wohl ein paar Jahre zu spät.

Und was hat das mit Pankow zu tun? Eddie Argos wohnt seit kurzem nur ein paar Minuten von mir entfernt. Wie er mir sagte, ist er der Auffassung, dass Pankow der beste Platz in Berlin ist, an dem er bislang wohnte. Wer bin ich, dass ich einem Rockstar widersprechen würde?


Samstag, 27. Dezember 2014

Der Bankrott des Bildungsbürgertums

Hab gerade aus dem Wohnzimmerregal die Bände der Weltbühne 1918-1932 ausgeräumt und dafür die diversen Floyd Gottfredson-Ausgaben 1930-1957 eingeräumt.

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Merkwürdige Weihnachtslieder (3)

Zum Abschluss der kleinen Reihe ein Blick nach Schweden, zu einer meiner Lieblingsbands. Ebba Grön, die man die schwedischen Clash nennen könnte, haben Anfang der 80er auch eine Single mit einer Version eines schwedischen Weihnachtsliedes aufgenommen. Während das Original wohl übersetzt "Nun lasst uns tausend Weihnachtskerzen anzünden" heißt, wird in der Ebba Grön-Version "Nun lasst uns tausend Menschenleben auslöschen" daraus. Der Text kontrastiert allerdings deutlich mit der schönen glatten Melodie.  Ich habe keine Ahnung, ob das Lied ein politisches Statement, reine Provokation oder einfach Quatsch war. Mein schwedischer Freund C. berichtete, dass dieses Lied in fast allen Musik-Boxen vorhanden war. Ich habe ihn dann mal gefragt, um was es in dem Lied denn ginge, er meinte nur, er habe nie auf den Text geachtet. Tja, also werden wir's nicht erfahren, auf meiner LP ist zwar der Text abgedruckt, aber da müsste man ja schwedisch können....* Das Lied ist auf jeden Fall ist sehr schön und man hat am Schluss einen wunderbaren "Lalala"-Chor. Meine Platte hängt an dieser Stelle, so dass man sehr lange Lalala hören kann.


*Manchmal vergesse ich ganz, dass es ja jetzt Interwebz gibt. Der Google Translator hilft zwar nur bedingt, aber ich habe jetzt soviel verstanden, dass in dem Lied die Weihnachtsstimmung mit dem kontrastiert wird, was draußen auf der Welt passiert. "Die Sterne Stockholms verströmen ihr kaltes Licht über die, die keinen Platz zum Wohnen haben." Die letzte Zeile enthält zwar eine Anspielung auf Kalle, Piff och Puff, Google Translator weiß, dass Piff und Puff Chip'n'Dale sind, wir kennen die als A-Hörnchen und B-Hörnchen. Das deutet darauf hin, dass "Kalle" davor auch nicht der Totenschädel ist, den Google Translator mir anbietet, sondern eher Kalle Anka, den wir wieder als Donald Duck kennen.** Also: Weihnachten, die Zeit, in der wir uns Disney-Filme im warmen Wohnzimmer ansehen, während es anderen auf der Welt schlecht geht. Hat sich also nicht viel geändert in den letzten 32 Jahren. Punkrock-Sozialkritik, mit dem Holzhammer serviert, aber ich bin ja Holzhämmern nicht immer abgeneigt. Möge jeder das seine tun, damit das Licht der Sterne nicht ganz so kalt bleibt. 

**Und wieder wirkt das Interwebz Wunder: Es gibt offenbar in Schweden eine Tradition an Weihnachten den Kurzfilm von Donald und A- und B-Hörnchen anzusehen, in dem Donald versucht, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Bevor das Lied aber aller Rätsel beraubt wird, gebe ich die Recherche lieber auf. 



Sonntag, 21. Dezember 2014

Merkwürdige Weihnachtslieder (2)

The Damned, die das Verdienst haben, mit "Damned Damned Damned" 1976 die erste Punk-LP herausgebracht zu haben, waren 1980 eher auf psychedelischen Wegen unterwegs und hatten damit im UK guten Erfolg. Wahrscheinlich kamen sie deshalb auf die Idee, auch einmal eine Weihnachtssingle aufzunehmen. Im UK lässt sich nämlich mit etwas wilderen Weihnachtssingles tatsächlich gutes Geld verdienen. Im November 1980 veröffentlichten The Damned die Single "There ain't no sanity clause", weder Musik noch Text sind aber sonderlich weihnachtlich. Ein nettes Punk-Lied, in dem jedes Bandmitglied in einer Strophe beleidigt wird und in dem es heißt: Dachtest du, ich glaube dieses Märchen von einem runden, fetten Typen, der lautlos Geschenke verteilt?

Ich weiß nicht, ob The Damned sich gewundert haben, warum das Lied nicht in den Charts auftauchte, richtig überraschend war's aber eher nicht. Rätselhaft erscheint aber zunächst der Titel des Liedes: Müsste es nicht "There ain't no Santa Claus" heißen? Der Titel spielt auf eine Szene aus dem Marx-Brothers-Film "A night at the opera" an: Groucho versucht mit Chico einen Vertrag zu schließen, Chico lässt sich jede Klausel vorlesen, findet sie nicht gut. Groucho reißt die entsprechende Passage jeweils aus dem Vertragstext. Am Schluss bleibt nur noch ein kleiner Schnipsel, eine Klausel, die besagt, dass bei fehlender geistiger Gesundheit (Sanity) einer der Vertragsparteien der Vertrag nichtig sei. Chico fragt, was das für eine Klausel sei, Groucho erwidert, das sei die Sanity Clause. Chico lässt sich nicht reinlegen, er weiß Bescheid: "There ain't no sanity clause!" (Die gesamten, sehr amüsanten Vertragsverhandlungen sieht man hier).

Samstag, 20. Dezember 2014

Merkwürdige Weihnachtslieder (1)

Irgendwann ist jemand auf den Gedanken gekommen, dass man doch populäre Sänger Weihnachtslieder aufnehmen lassen und damit einfach Geld verdienen kann. Dieser Erkenntnis verdanken wir LPs wie "Weihnachten mit Nicki" (die Älteren erinnern sich). Dann kam jemand auf die Idee, dass man doch nicht nur die bekannten Weihnachtslieder aufnehmen kann, sondern selber ein paar neue schreiben. Dieser Erkenntnis verdanken wir Lieder wie "Last Christmas".
Ich weiß nicht, ob irgendjemand protestieren würde, wenn man behauptete, dass diese Weihnachtsmusik meistens relativ medioker, wenn nicht gar gräßlich ist. Ich habe noch niemanden getroffen, der als Lieblingsalbum von seinem Star ein Weihnachtsalbum genannt hätte. Aber man braucht eben ein bisschen stimmungsvolles Hintergrundgedudel, und, hey, wenn nicht der Crazy Frog ein Weihnachtsalbum veröffentlicht,* macht's eben ein anderer.

Ab und zu gibt es unter diesen Weihnachtsliedern dann aber immer wieder welche, die zumindest etwas merkwürdiger sind als die anderen. Nicht unbedingt gut, aber zumindest interessant. Ein paar davon will ich in den nächsten Tagen vorstellen. 

Die Reihe beginnt mit Big Star, der Beat-Supergruppe, die leider um einige Jahre zu spät kam und deswegen zu Lebzeiten ziemlich unterging. Hier kann man etwas mehr dazu lesen. 1974 sitzt nun Sänger und Gitarrist Alex Chilton im Studio in Memphis Tennessee, um das dritte Album der Band aufzunehmen, während der Rest der Band nach und nach verloren geht, und alles, was als kommerziell verwertbar erscheint, im Alkohol versinkt. Die Zusammenstellung der Aufnahmen auf der "Third/Sister Lovers" gehört zu meinen liebsten Platten, auch wenn oder gerade weil man sich bei vielen Liedern nie ganz schlüssig sein kann, ob man gerade minimalistisches Genie, künstlerisches Unvermögen oder offene Sabotage hört. Und gerade dieses Album hat auch ein Weihnachtslied, das dazu noch "Jesus Christ" heißt (das wird der Produzent auch nach dem ersten Anhören gerufen haben). 


Schön orchestriert, der Text erzählt die Geschichte von den Hirten, gesungen von Chilton mit brüchiger, an manchen Stellen kindlich orientierungsloser Stimme. Wenn's vorbei ist, hat man das Gefühl, ein eher schmalziges Weihnachtsrocklied gehört zu haben, aber irgendetwas war seltsam und leicht beunruhigend. Diese kognitive Dissonanz passt doch schön zum modernen Weihnachten. 

*Die Kenntnis dieses Kleinods verdanke ich dem verehrten Jens Balzer, der heute in der Berliner Zeitung darüber schrob. 

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Vor 383 Jahren

1631 erschien anonym ("von einem ungenannten römischen Theologen") eine lateinische Schrift "Cautio Criminalis" - Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse.* Die Widmung war Seneca entnommen: "Ich will dir zeigen, was den großen Herren mangelt, und was denen fehlt, die alles besitzen: Einer, der die Wahrheit spricht."

Der Verfasser beschreibt die Realität der Hexenprozesse und vor allem die Rolle, die die Folter in ihnen spielt. Im der Vorrede schreibt er: "Den Obrigkeiten Deutschlands habe ich dieses Buch gewidmet; vor allem denen, die es nicht lesen werden, weniger denen, die es lesen werden."
In der Mitte des Buches kommt zum ersten Mal die Forderung,  "dass daher die Tortur völlig abzuschaffen und nicht mehr anzuwenden ist." Im Anhang stellt der Verfasser die Frage, was Folter und Denunziationen vermögen. Er beantwortet sie: "Sie vermögen nahezu alles. Aus diesem Grunde hat letzthin jemand recht geistreich die Folter allmächtig genannt. Es werden auch wahrlich nicht wenige Beispiele erzählt von Leuten, die, von der Tortur überwältigt, ganz falsche Geständnisse abgelegt haben und hingerichtet worden sind wegen Mordes an Menschen, die man hernach am Leben fand, und dergleichen mehr."

Dieser Mensch hatte, in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, umringt von religiösem Hass und Aberglauben, lange vor der Aufklärung genügend Verstand und Mitgefühl, um zu erkennen, dass durch die Folter furchtbares Unrecht geschieht. 400 Jahre später kann man das leider nicht von jedem sagen.**

Der anonyme Verfasser war Friedrich Spee, ein Jesuitenpater. Er starb 1635 mit nur 44 Jahren an einer pestartigen Seuche in Trier, als er Verwundete in den Hospitälern pflegte.*** Friedrich Spees weiteres Hauptwerk war die "Trutz-Nachtigall", eine Sammlung geistlicher Lieder. Einige davon finden sich heute noch im Gotteslob. Wenn Ihr in der Weihnachtsmesse "Zu Bethlehem geboren" singt, denkt an den tapferen Verfasser.


*Die folgenden Zitate sind aus der deutschen Übersetzung von 1939. 
** Und man glaube nicht, das sei nur ein amerikanisches Problem.
*** Spee war allerdings auch ein streitbarer Gegenreformator; sicher auch kein ganz einfacher Mensch. Ich frage mich immer, wie er und  der etwas jüngere Paul Gerhardt sich wohl verstanden hätten, wären sie sich begegnet (wahrscheinlich nicht sonderlich gut, fürchte ich). Die Zeiten waren sicher noch nicht reif für diese ökumenische Supergroup der Kirchenlieddichter. 

Montag, 8. Dezember 2014

Vor 50 Jahren: A Love Supreme

Am 9.12.1964 hatte John Coltrane Zeit in Rudy Van Gelders Studio reserviert. Das Studio lag in Englewood Cliffs, New Jersey; Van Gelder hatte hier schon seit einigen Jahren mit Jazz-Musikern aufgenommen. John Coltrane und die Mitglieder seiner Band, der Schlagzeuger Elvin Jones, der Pianist McCoy Tyner und der Bassist Jimmy Garrison kamen etwa um 19 Uhr an. Nach vier Stunden hatten sie  die vier Stücke aufgenommen, die später auf der LP "A Love Supreme" erscheinen würden.

"A Love Supreme" ist eines der bekanntesten Jazz-Alben. Es besteht nicht aus einer einfachen Abfolge von Liedern, sondern ist als Suite konzipiert. Musikalisch ist das Ganze weit entfernt von einfachen Rhythmen oder Melodien, wenn auch nicht so radikal wie Coltranes spätere reinen Free Jazz-Werke. Das Wunderbare an Coltrane ist allerdings, dass man die Musik genießen und verstehen kann, auch wenn man nicht das Geringste davon versteht, was der (reichlich komplexe) harmonische und rhythmische Hintergrund ist. Einfach macht es einem die Musik nicht; sie öffnet allerdings eine Tür in eine andere musikalische Welt. Nach dem Gongschlag ein tastendes Saxophon, der Bass nimmt die Phrase auf, e-g-e-a, und das Ganze versinkt in einem harmonischen Strudel...

Auf Youtube gibt's leider nicht die Studioaufnahmen, sondern nur die einzige Liveaufführung.
(Ausnahmsweise bin ich hier mal in der Perspektive des reinen Fans, da mir jegliche Kenntnisse fehlen, um etwas Sinnvolles zu der Musik, die ich sehr liebe, zu sagen).

Sonntag, 7. Dezember 2014

Seufz

Heute die FAS aufgeschlagen, dort beginnt das Feuilleton mit einem Artikel "Karl Kraus und die Folgen"; die Feuilletons arbeiten sich gerade an dem Thema ab, weil ein Amerikaner, Jonathan Franzen, einige Kraus-Essays ins Englische übersetzt und mit Fußnoten versehen hat. Im Internet heißt der Artikel "Die Schule der Vernichtung" und enthält Sätze, in denen gefragt wird, was man denn von Kraus lernen könne, wenn man nicht an die wohltuende Wirkung von Xenophobie, Frauenverachtung, Nationalismus und diffusen Männlichkeitsritualen auf die deutsche Sprache glaubt.

Seufz. Nun ist Kraus wirklich ein problematischer Schriftsteller und für mich ist der Reiz der "Vor 100 Jahren"-Artikel auch, den ganzen Kram nach zweieinhalb Jahrzehnten wiederzulesen und an einigen Stellen dann doch auch eher kritischer einzuschätzen. Der FAS-Artikel enthält (zumindest unter dem Print-Titel "Karl Kraus und die Folgen", der einen schönen Bogen zu dem Essay "Heine und die Folgen" schlagen hätte können,) einige bedenkenswerte Ansätze der Kraus-Kritik. Kraus Xenophobie und Nationalismus (auch in sprachlicher Hinsicht) vorzuhalten, ist allerdings inhaltlich Quark und für eine Auseinandersetzung nicht wirklich hilfreich. Selbst aus einer Perspektive, die Schriftsteller des letzen Jahrhunderts an den heutigen Maßstäben messen will, wäre es Quark (und auch der als Gegenbeispiel genannte Tucholsky käme bei diesem Maßstab nicht allzu gut weg). Und: Man kann nicht Kraus verehren und Bushido ablehnen, heißt es in der FAS (auwei).

An der Kraus-Rezeption scheint jedoch das Feuilleton zu versagen, da es hier entweder Fanboytum oder relativ krude Ablehnung gibt, aber wenig dazwischen. Das mag aber das Schicksal der Rezeption erklärter Journalistenhasser sein.

Schule der Vernichtung. Meine Güte. (Ich ahne schon, dass ich nach diesem Artikel mir wieder den ganzen Kram vornehmen muss und nochmal durchlesen, um die Auffassungen zu überprüfen. Das kostet wieder Zeit!)

Samstag, 6. Dezember 2014

Vor 100 Jahren

Am 5. Dezember 1914 erschien die erste Kriegs-Ausgabe der Wiener Zeitschrift "Die Fackel", die Karl Kraus seit 1899 herausgab und zwischenzeitlich praktisch allein schrieb.

Die letzte Vorkriegs-Fackel war am 10. Juli 1914, schon nach der Ermordung Franz Ferdinands erschienen. Neben den üblichen galligen Glossen fand sich dort der Aufsatz "Franz Ferdinand und die Talente", in dem Kraus die Ermordung Franz Ferdinands kulturell in folgendem Sinne deutet: "Keine kleineren Mächte als Fortschritt und Bildung stehen hinter dieser Tat, losgebunden von Gott und sprungbereit gegen die Persönlichkeit, die mit ihrer Fülle den Irrweg der Entwicklung sperrt." Kraus sieht in Franz Ferdinand einen Außenseiter des österreichischen Establishments; in den Glossen der Fackel druckt er auch die Berichte der Trauerfeier, in denen alles andere als eine Staatstrauer, sondern ein Gelage mit Würstel und Bier beschrieben wird, sowie die erste Seite einer Zeitung vom 4. Juli 1914 ab, auf der neben der Behauptung: Die Trauer, die über die Monarchie gebreitet ist, hat mit dem heutigen Tag ihren Höhepunkt erreicht, eine Vielzahl von Varieté und Theater-Annoncen stehen. Schlusspunkt der Entwicklung der Vorkriegs-Fackel, in der sich Kraus in seiner abgrundtiefen Abneigung gegen den liberalen österreichischen Zeitgeist und vor allem die Presse, teilweise reaktionär geriert. Er selbst greift dies in der Satire "Sehnsucht nach aristokratischem Umgang", die als Kontrapunkt zu "Franz Ferdinand und die Talente" am Ende der der Ausgabe vom 10. Juli 1914 steht, selbst auf. Er berichtet über anonyme Zuschriften, die ihm vorwerfen, mit großem Ehrgeiz auf aristokratischen Umgang zu aspirieren. In dem Text findet sich die Erledigung: "Meine radikalen literarischen Freunde, die noch ahnungsloser waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlich aufmerksam geworden, denn sie können zwar schreiben, aber nicht lesen und haben darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dass ich die Pest weniger hasse als meine radikale literarischen Freunde... (...) Sie haben geglaubt, ich sei ein Revolutionär, und haben nicht gewußt, dass ich politisch noch nicht einmal bei der französischen Revolution angelangt bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen 1848 und 1914, und dass ich die Menschheit mit Entziehung der Menschenrechte, das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechts, die Juden mit Entziehung des Telephons, die Journalisten mit Aufhebung der Preßfreiheit und die Psychoanalytiker mit Einführung der Leibeigenschaft regalieren will."

Was hatte Kraus also am 5. Dezember 1914, nach vier Monaten Krieg zu sagen? Das Fackel-Heft ist schmal und enthält nur einen Aufsatz "In dieser großen Zeit". Anders als man vermuten könnte, findet sich unter diesem Titel keine pathosgeschwängerte Kriegsbilanz. Kraus, der Phrasen hasste, machte gleich im ersten Satz die Kriegsphrase "in dieser großen Zeit" zuschanden: "In dieser großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu die Zeit bleibt;..." Das war's mit Pathos. Es ist nicht unwichtig festzustellen, dass der erste Satz grammatikalisch falsch ist; Komparativ mit "wie" anstatt "als". Das ist natürlich Absicht, das Pathos der "großen Zeit" wird kontrastiert mit der Jargonwendung "kannte ich noch, wie sie so klein war" und damit demaskiert. Der erste Satz enthält auch die düstere Vorahnung kommenden Grauens: "in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muss, was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht.." Er konstatiert die Marktgläubigkeit als Ursache für das Geschehen: "Zivilisation ist die Unterwerfung des Lebenszwecks unter das Lebensmittel. Diesem Ideal dient der Fortschritt und diesem Ideal liefert er seine Waffen. Der Fortschritt lebt, um zu essen, und beweist zu Zeiten, dass er sogar sterben kann, um zu essen." All das Worte, die in der im Winter 1914 herrschenden Kriegsbegeisterung wohl auf wenig Verständnis trafen. Kraus schrieb auch: "Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!"

Das tat er erst einmal auch; die nächste Fackel erschien erst im Oktober 1915; da hatte sich einiges geändert und die diffus reaktionäre Haltung der Vorkriegsjahre hatte sich in eine klarsichtige Ablehnung des Krieges und der Kriegslügen verwandelt.

(Fortsetzung folgt; ich habe mir mal vorgenommen, die Kriegs-Fackeln jeweils mit 100 Jahren Abstand kurz darzustellen. Ich wollte mich ja eigentlich schon 1999 mit 100 Jahren Abstand durch die ganze Fackel lesen, habe dann aber irgendwann den Anschluss verpasst)


Montag, 1. Dezember 2014

Beschwingt in die Arbeitswoche (7)

Zum Abschluss unserer kleinen Reihe The Clash von ihrer ersten LP. Sie singen über die Career Opportunities und nach denen suchen wir doch alle? Wenn's nicht auf einer der ersten Punk-LPs gewesen wäre, hätte man erkannt, dass das Liedchen eigentlich eine sanfte Ballade ist (naja, für die Live-Fassung, die auf Youtube verfügbar ist, gilt das nur bedingt).

The Clash haben das Lied auf der Sandinista dann noch einmal von einem Kinderchor zu erratischer Klavierbegleitung singen lassen, aber heute sind wir mal nicht so, die dürfen das. Wenn wir noch eine Seite einer Dreifach-LP zu füllen gehabt hätten, wäre uns vielleicht auch so etwas eingefallen.

Und darin, dass wir für niemanden Briefbomben öffnen wollen, da sind wir uns doch einig?