"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Sonntag, 20. Dezember 2015

Verwirrung

Am letzten Freitag spielten Slime im SO 36, das erste von zwei ausverkauften Konzerten. Ich war dort zusammen mit F., der es hasst, in irgendeinem meiner Blogs vorzukommen. Slime ist die letzte der alten deutschen Punkbands, die es über die Jahre geschafft hat, korrekt zu bleiben und ihre Energie zu behalten, auch die neuen Platten sind noch gut hörbar. Da ich vermutete, dass das Publikum etwas anders als bei den Rentnerpunkveranstaltungen sein würde, bei denen ich ansonsten bin, blieben wir lieber etwas weiter hinten und nicht direkt vor der Bühne. Blieb aber alles ruhig, kein Vergleich mit den Konzerterlebnissen vor ein paar Jahrzehnten. Vor dem Konzert versuchte mir F. mitzuteilen, wie er demnächst auf ein Scooter-Konzert geht, während ich vorschlug, dass wir bei dem Lied "Linke Spießer" besser laut mitsingen. Da drehte sich ein bärtiger Typ vor mir zu uns und sagte: "Das geht jetzt aber nicht die ganze Zeit so, Jungs?" Er hatte Glück, dass ich ob dieser Frechheit einen Lachanfall bekam. Slime spielten sich quer durch ihre Platten, für mich ein Glücksmoment, als sie plötzlich das alte Targets-Lied "Massenhysterie" spielten. Der Refrain heißt ""Panik, Chaos, Massenhysterie" und da der Schlagzeuger der dienstältesten Punkband bei uns zuhause Chaos genannt wurde, lief dieses Lied vor drei Jahrzenten dauernd in unserem JZ. Die ziemlich radikalen politischen Texte von Slime wirken teilweise hoch aktuell, teilweise wie aus der Zeit gefallen. In den frühen 80ern war die Welt halt noch einfach erklärt und einsortiert. Inzwischen finde ich das alles nicht mehr so einfach. Linke Spießer habe ich dann doch mitgesungen, anstatt "Ihr seid nichts als linke Spießer" habe ich "Wir sind nichts als..." angestimmt.

Zuhause habe ich dann in alten Fanzines gekramt und ein paar Geschichten von Anfang der Achtzigern zu Slime nachgelesen. In einem Fanzine war sich der Schreiber sicher, dass Slime nur Kommerz sei, es gab da eine Geschichte von einer Prügelei auf einem Konzert in Ampermoching, die dort herrlich lakonisch vom Sänger der genialen Berliner Beton Combo erzählt wird, die damals mit Slime auf Tour waren: "Dann machten Leute von uns den Fehler und schätzten die Brisanz der Lage falsch ein und holten unsere Knüppel heraus um zurück zu drohen. Okay, ich war schon kurz draußen, weil ich den Braten rochund unseren VW Bus ins Gelände fuhr und tarnte (was aber nix genutzt hat!)...." Der Fanzineschreiber trauert dann nach diesem Bericht des Beton Combo-Sängers noch ein bisschen, dass sich Slime nicht aufgelöst haben etc. Anlass waren wohl Ticketpreise von 12 DM. Alles sehr verwirrend, aber damals wurde überall Kommerz vermutet, die armen Leute von Slime haben dann halt, weil sie eben die bekannteste Band waren, die Selbstgerechtigkeit der Szene abbekommen.

Für mich doppelt verwirrend, weil ich damals das Fanzine geschrieben hatte, und mich bis eben gerade nicht mehr an meine damaligen Tiraden erinnert habe (geschweige denn, die damalige Aufregung nachvollziehen kann). Aber 1984 hatte ich offenbar noch klarere und dezidiertere Meinungen als jetzt.

(Auch spannend: ich habe damals offenbar Peanuts Punk-Comics gezeichnet. Kann mich aber an keine Fortsetzung erinnern.)

Samstag, 12. Dezember 2015

Männer, die auf Schienen starren

Bei der Vorbereitung für das Projekt "Urbane Schönheit" (alle Einzelheiten dazu heute hier; Frau Tonari Frau Hafensonne hat ihm den schönen Namen gegeben, der sich im Titel findet, Anspielungen auf Filme mit Jeff Bridges sind immer okay mit mir) habe ich darüber nachgedacht, warum ich die Perspektive von einer Brücke über Geleise so besonders finde. Da gibt es einige biographische Anknüpfungspunkte, auch wenn ich fernab der Städte aufgewachsen bin.

Mir kam dann aber die Erkenntnis, dass wahrscheinlich auch dieses Video beigetragen hat. Ich habe irgendwann in den späteren Achtzigern eine REM-Videokassette gekauft, die es irgendwo billig in einem Mailorder gab. Die Band hörte damals in meiner Umgebung keiner, ich wollte es mir zumindest mal anhören. Die Anfangssequenz dieses Videos hat mich komplett beeindruckt und damals auch ein vages Gefühl der Fernweh ausgelöst und mein Bild der ländlichen USA geprägt (irgendwann muss ich da auch noch mal hin).

Schienen, Güterzüge, dicke Männer, schöne Musik, hier ist der offizielle Soundtrack zum Projekttag:


Mittwoch, 2. Dezember 2015

Grottenstengel

Im Erstblog wird ja Unkraut quasi leitmotivisch eingesetzt. Meine ersten Lebensjahrzehnte habe ich ja Grünzeug immer nur ausgerissen, das Interesse fürs Gärtnern kam später. Unkraut war aber schon früher ein Bestandteil meines künstlerischern Wirkens. Vor etwa 25 Jahren haben wir mit den Bäckärn ein kleines Liedchen über Unkraut gemacht, bzw. über einen Gärtner, der seinen Kampf mit dem Unkraut mit dem Leben bezahlt. Auf seinem Grab wächst das Unkraut aber weiter. Das Lied heißt (wie sollte es anders sein?) "Grottenstengel", die folgende Aufnahme entstand 2015 beim Jubiläumskonzert.

Sonntag, 22. November 2015

Apocalypse Nerd

Noch ein Comic von Peter Bagge, das ich eigentlich schon lange besprechen wollte. Beim Wiederlesen musste ich dann allerdings schon ein paar Mal schlucken.

Die Geschichte ist schnell zusammen gefasst: Zwei Softwareentwickler aus Seattle haben in der Hütte eines Freundes einen Kurzurlaub in den Bergen gemacht. Als sie zurückfahren wollen, hören sie im Radio, dass Seattle Ziel eines Nuklearangriffs aus Nordkorea war und komplett atomar verseucht ist. Sie fahren zurück zu der Hütte, abgeschnitten von der Zivilisation. Die weiteren Begegnungen mit anderen Überlebenden führen schnell zur Eskalation und Kampf um Vorräte. Als der Freund, dem die Hütte gehört, mit seiner Familie dorthin kommt, endet die Begegnung in einem Blutbad. Perry und Gordo finden ein Camp von anderen Überlebenden, das dann allerdings auch bald überfallen wird; die beiden trennen sich, weil Gordo seinen Freund für zu weich hält. Das letzte Zusammentreffen der beiden, Monate später, (Perry hat inzwischen eine junge Frau getroffen, mit der er sich durch die Wildnis schlägt) gestaltet sich dann aber doch anders, als man vermutet.

Aus: Apocalypse Nerd, (c) Peter Bagge, 2005

Zunächst: Das Ganze ist eine rabenschwarze Geschichte, trotz des immer sehr slapstickhaften Bagge'schen Zeichenstils. Bagge als alter Sitcom-Fan verteilt zwar großzügig Gags, aber das kann über die wirklich tragische Story nicht hinwegtäuschen. Man könnte meinen, dass das eine weitere Geschichte ist, die dem gerade sehr angesagten "Walking Dead"-Narrativ folgt: Hier eine kleine Gemeinschaft, die sich gegen die Bösen, natürlich mit Waffengewalt, verteidigen muss. Allerdings gibt es in der Geschichte keine Guten und keine Bösen, sondern nur verschiedene Menschen, die angesichts des Überlebenskampfes komplett amoralisch werden. Bagge seziert dies mit Genuss, er schickt seine Helden auch mit Vorliebe in Situationen, in denen es keine richtige Reaktion mehr gibt, sondern nur eine Abstufung der Brutalität. Er verzichtet aber auf jede moralische Überhöhung, die diesen ganzen neuen Film- und Seriensagas wie Walking Dead ansonsten eigen ist. Mir ist das insgesamt etwas zu zynisch, auch wenn man konstatieren muss, dass die Versuchsanordnung und Eskalation sehr nachvollziehbar ist. Eine positive menschliche Perspektive sucht man dort allerdings vergebens, Bagge'sche Comics sind dafür aber wahrscheinlich auch nicht der geeignete Ort.

Insgesamt eine gleichzeitig witzige und verstörende Lektüre, das englische Comicbuch gibt es für überschaubares Geld bei den üblichen Verdächtigen.

Sonntag, 15. November 2015

Ich kann heute einfach nicht fröhlich sein

An schlimmen Tagen kommt mir häufig das Lied "I just can't be happy today" von den Damned in den Sinn. Da das Lied zwar einen passenden Titel hat, aber ganz sicher kein Trauerlied ist, ist es aber nicht unbedingt eine passende Assoziation in schlimmen Zeiten. Gestern war deswegen eher der große John Coltrane als Tröster gefragt..

Wenn ich heute so darüber nachdenke, scheinen mir aber jetzt die blasphemischen Kasperle von den Damned gar nicht so unpassend. Solche Musik, solche Texte gefallen Tugendwächter aller Zeiten und aller Couleur nicht. Und eine Terrororganisation, die ein Konzert der Eagles of Death Metal angreift, wird auch die Damned nicht lieben.

Gib's ihnen, Captain!


(Ja, ich weiss, es ist jämmerlich. Aber alles, was einen nicht in den Hass, die Angst und die Stumpfheit verfallen lässt, soll mir willkommen sein.)

Samstag, 14. November 2015

Ein Trauerlied

Heute ist nicht der Tag zu reden.


"Alabama" von John Coltrane, 1963 als Reaktion auf einen Klu-Klux-Klan Bombenanschlag auf eine Kirche geschrieben, vermittelt Trauer, aber trotzdem auch stille Zuversicht, die ich jetzt auch gerne spürte.

Dienstag, 10. November 2015

Aus dem Poesiealbum

Gerade mal wieder ein bisschen alten Kram durchgesehen, dabei sind mir ein paar Briefe von 1983/84 in die Hände gefallen, die vielleicht ganz gut illustrieren, wie die frühe Punk-/Indieszene in Deutschland funktioniert hat. Man hat sich gegenseitig viele Briefe geschrieben, weil es ja keine andere Möglichkeit gab, mit Leuten aus anderen Städten in Kontakt zu bleiben. So führte man Korrespondenz mit anderen Bands, die Cassetten veröffentlicht haben und mit anderen Leuten, die Fanzines machten. Platten kaufte man häufig direkt bei der Band, schon allein deswegen, weil es nicht allzu viele Vertriebswege gab, wo man den Kram bekommen könnte. Wenn man irgendwo Adressen von interessanten Leuten fand, schrieb man erstmal. Manchmal bekam man Antwort, manchmal schickte man Geld und bekam Cassetten oder Fanzines oder Platten, manchmal bekam man nichts (ein Grund, warum ich Crowdfunding-Projekte so interesant finde, ist sicher, dass es da genauso läuft. 1984 in 2015.). Die Briefe, die ich jetzt  wieder rausgekramt habe, sind sicher nicht die, die mir damals am meisten bedeutet haben,* sie eignen sich aber ganz gut, um zu illustrieren, wie das damals lief.

Der erste ist von 1983, von einem der Toten Hosen, der einen kurzen Überblick über das Angebot des neugegründeten Totenkopf-Labels gibt (die erste LP erschien erst später). Offenbar hatten die Jungs damals noch nicht einmal ein kopiertes Labelprogramm, weil der arme Kerl (wahrscheinlich Andi)  alles mit Hand schreiben musste. Schwer vorstellbar damals, wie das dreißig Jahre später enden würde.

Der zweite muss von 1984 sein, von Bela B. von den Ärzten, die wir wohl auch angeschrieben haben, ob es irgendwann Konzerte bei uns in der Gegend geben würde. Kurz und handschriftlich - aber es war damals halt Szene-Ehrensache, dass man sich Briefe beantwortet. Fernsehpläne werden angesprochen ("Illmann wird zum Essen ausgeführt."), auch da hätte sich keiner so recht vorstellen können, in welche Richtung das alles noch gehen sollte.

(Ich kann mich übrigens erinnern, dass es wegen der ersten Fernsehauftritte der Toten Hosen und der Ärzte ("Kriminaltango"/"der lustige Astronaut") furchtbare Auseinandersetzungen bei uns im Wohnzimmer gab. Inzwischen auch nicht mehr nachvollziehbar.)

Schöne Zeiten, als es eine Szene gab und nicht Stars auf der einen und Publikum auf der anderen Seite. Wenn man ein bisschen sucht, findet man das auch heute noch.

*Bei meinem Bruder ist noch eine Antwort von CRASS und ich habe noch ein paar Briefe von Beton Combo und Razzia....

Samstag, 7. November 2015

Cool of the Sixties

Samstagvormittag, die Familie ist ausgeflogen, ich bereite das Mittagessen vor, eine gute Gelegenheit, mal wieder ein paar der familiär weniger beliebten Platten herauszuholen und in angemessener Lautstärke zu hören. Dazu gehören auch ein paar CDs von Charles Mingus, der in den Sechzigern eine sehr interessante Mischung aus Free-Jazz und Big-Band-Arrangements gemacht hat. Schöne Sachen, die aber auch ein bisschen Lautstärke vertragen können.

Dazu passend ein Film über eine Europatournee von Mingus in den Sechzigern. Auch wenn man die Musik nicht sonderlich mag, lohnt es sich, die ersten paar Minuten anzusehen, wie die Band irgendwo aus dem Bus steigt. Cool of the Sixties. Die Musik, die dann kommt, ist natürlich auch prima.

Samstag, 31. Oktober 2015

Verbrechen auf Schallplatte (3)

Für diesen Beitrag muss ich dem Youtube-Algorithmus dankbar sein. Dieses Lied wurde mir vorgeschlagen, nachdem ich die deutsche Version von Black Sabbath's "Paranoid", Cindy und Berts "Der Hund von Baskerville", ausgegraben habe. Das vorgeschlagene Lied, eine Coverversion von "Paint it Black", "Schwarz und Rot", gesungen von Karel Gott, hatte ich vorher noch nie gehört. Mein Gott, was müssen die alle für Drogen genommen haben, damals. Bei weitem verstörender als die Version der Rolling Stones. Dass Karel auch Kreischen, Jaulen und Röcheln im Gesangsrepertoire hatte, war mir vorher nicht bewusst gewesen. Heben wir kurz den Mantel des Vergessens, aber nur kurz!

Sonntag, 25. Oktober 2015

Ein unnötiger Zaubertrick von Jean Paul Sartre

Anfang September waren Frau Ackerbau und ich bei dem 24-Stunden-Cartoon-Lese-Festival in Berlin, bei dem Cartoonisten ihre Cartoons vorgelesen haben. Wir waren zwar nicht 24 Stunden, sondern nur knapp 9, aber es war trotzdem sehr lustig.

Neben (uns) bekannten Zeichnern wie Hauck & Bauer, Ralf König oder OL und Rattelschneck, haben wir auch einige neue Entdeckungen machen können. Ein Künstler fiel besonders aus der Reihe, Javier Mayoral, ein Spanier, der in Miami wohnt, und der über ein Skype-Interview eingebunden wurde. Mayoral malt kleine Gemälde auf ca. 20x25 cm große Sperrholzplatten, oft bekannte Gesichter aus den Sechziger und Siebziger Jahren. Die Zeichnungen enthalten dann meistens eine kurze Beschriftung, die nur eine vage Beziehung zum Bild hat. Nicht witzig im eigentlichen Sinne, ich war aber durchaus fasziniert von den charmanten surrealen Bildchen. Mayoral macht inzwischen zu einem Teil Auftragsarbeiten, einen großen Teil seiner Bilder verkauft er aber über Ebay. Ich habe mir bei der Veranstaltung seinen Username gut gemerkt und dann gleich mal nachgesehen. Der Mann ist sehr produktiv, er hat regelmäßig seine 10-12 Bilder im Angebot, durchgängig mit einem Startgebot von $ 50. Die Chancen, dass man eins der Werke für ca EUR 60 inkl. Versand ergattert, sind damit relativ groß. Ich habe dann auch einmal bei folgendem Juwel zugeschlagen, kam schnell und problemlos, auch der Zoll hatte nichts zu meckern.
(Javier Mayoral, Unnecessary magic trick by Jean Paul Sartre, Acryl auf Sperrholz, 2015)

Wird sicher nicht das letzte Bild bleiben.

Sonntag, 18. Oktober 2015

Bücher über UFOs

Im Erstblog taucht ja - von mir eigentlich gar nicht gern gesehen - das Thema Aliens immer wieder auf. Grund genug, hier mal wieder ein Lied von Hüsker Dü auszugraben, das sicher eins meiner Lieblingslieder ist. Books about UFOs von der New Day Rising-LP von 1985, die wirklich wunderbare Lieder enthält, vom Sound her aber etwas zu wünschen übrig lässt. Hier eine recht explosive Live-Version des Liedes über die Frau, die nur zu Hause sitzt und Bücher über UFOs liest. Rührend die letzte Strophe, in der der Sänger sich ausmalt, dass vielleicht irgendwo ein Alien sitzt und sie auch beobachtet...


Dienstag, 13. Oktober 2015

Seelenkunst

Eines der merkwürdigsten und spannendsten Kapitel der amerikanischen Punkgeschichte ist die Geschichte der Bad Brains aus Washington D.C. Die Bad Brains waren eine der wenigen schwarzen Punk-Bands. Die ersten Aufnahmen hatten eine rohe Energie, die man vorher so noch nie gehört hatte. Vor Punk hatten die Bad Brains ihre musikalischen Wurzeln im Jazz, Funk und Reggae, das Ganze wurde unter Hochgeschwindigkeits-Hardcore gemischt. Ich habe sie zweimal live gesehen, 1987 und 1990, irgendwann auch Sänger H.R. allein. Bei der 1990er Tour spürte man schon die Spannung in der Band, zwischen Roots-Reggae und immer metalllischerem Rock. Nicht besonders hilfreich war auch, dass mit dem Reggae der religiöse Wahnsinn in der Band Einzug fand.
Eine ganz außerordentliche Band, mit einem außergewöhnlichen Sänger. Das Lied, Soulcraft, von der 1989er LP Quickness, ist schon eher ein Werk der Spätphase, aber ein schönes Beispiel dieser Verschmelzung von Swing, Punk, Metal und was weiß ich noch. Die Bad Brains waren stilbildend für viele spätere Bands, haben leider nicht die Bekanntheit gefunden die ihnen gebührt hätte.

Samstag, 10. Oktober 2015

Wie die Tage

Ich erinnere mich noch gut, es muss vor über 25 Jahren gewesen sein, wir kamen an einem Samstag aus dem Übungsraum nach Hause, hatten lange an ein paar neuen Stücken gearbeitet und hatten das Gefühl, so langsam musikalisch dort hin zu kommen, wo wir hinwollten. Nach dem Üben gab es Abendessen bei uns, meine Eltern waren nicht da, so konnte man im Wohnzimmer Musik über die Anlage hören. Ein Bekannter, T. aus Verden, hatte mir gerade eine Cassette mit neuer Musik geschickt, also legten wir die in den Rekorder. Darauf waren auch ein paar Singles der amerikanischen Band, The Hated, die schon damals relativ obskur waren. Bei uns hatten sich alle möglichen Leute im Wohnzimmer versammelt, Freunde und Freundinnen, wir drehten die Musik lauter. Merkwürdige verwischte Gitarren, melodische Fetzen, die im Nirgendwo endeten, mehrstimmiger Gesang, kaum zu verstehen, meistens neben den Tönen, ein übersteuerter Fiebertraum. Wie R.E.M. auf kaputten Instrumenten und schlechten Drogen. Ein großer Teil der Anwesenden wollte das nicht hören, aber M. und ich sahen uns zerschmettert an: das war um so viel besser als das, was wir zustande brachten. Bei allen Fehlern und aller Imperfektion waren das musikalische Skizzen, die man selbst im Kopf zu großartigen Werken ergänzen konnten. Wir drehten lauter und wussten: Da hatten wir noch viel zu tun.


(Auch wenn ich weiß, dass mir hier noch weniger Leute als sonst schon folgen können: Das ist sicher eine der schönsten Doppelsingles, die es gibt (und da ist die Original Magical Mystery-Doppel EP der Beatles und die Kalte Sterne Doppelsingle der Einstürzenden Neubauten schon mit berücksichtigt.)


Freitag, 9. Oktober 2015

Entspannung

Heute bin ich in einem halb-beruflichem Zusammenhang auf dieses schöne Video gestoßen. Es war verlinkt in einem Beitrag, der sich damit befasste, wie man verhindert, dass vertrauliche Daten auf Diensthandys an Unbefugte geraten. Das Video ist Werbung für einen amerikanischen Küchengerätehersteller. Ich hätte nicht gedacht, dass es so beruhigend ist zu sehen, wie Apple-Geräte geschreddert werden.


Mittwoch, 7. Oktober 2015

Vor hundert Jahren (2)

(Vorbemerkung: Die Idee hörte sich einfach an, im Abstand von 100 Jahren einfach die verschiedenen Hefte der Fackel von Karl Kraus, die im I. Weltkrieg entstanden sind, vorzustellen. Ich habe es zwar geschafft, die erste Kriegs-Fackel im Dezember 2014 zu beschreiben, irgendwie ist mir aber entgangen, dass es die nächste schon im Februar 1915 gab. Sie beginnt mit dem programmatischen Satz: "Ich bin jetzt nur ein einfacher Zeitungsleser:" und stellt eine Beschreibung aus dem Schützengraben einer Restaurantkritik, die beide am 12.12.1914 in der Zeitung erschienen, gegenüber. Es folgen Zitate von Bismarck und Schopenhauer und der Aufsatz "Der Ernst der Zeit und die Satire der Vorzeit".)

Im Oktober 1915 erschien die nächste Kriegs-Fackel, die erste mit größerem Umfang; mit 168 Seiten eigentlich ein kleines Buch. Das Kernstück bilden zwei Polemiken zu Heinrich Heine, "Die Feinde Goethe und Heine"* und "Die Freunde Heine und Rothschild". Dazwischen, im ersten Teil, Glossen und im hinteren Teil eine Sammlung von Aphorismen, die "Nachts" betitelt wurde. Einiges von dem Material floss dann in das spätere Schauspiel "Die letzten Tage der Menschheit".

Das Heft beginnt wieder mit einer Gegenüberstellung zweier Zeitungsartikel, der eine ein Friedensgebet des damaligen Papst Benedikt, in dem er ein Ende des fürchterlichen Mordens fordert, der andere ein Leitartikel des Herausgebers der Neuen Freien Presse, der auch Benedikt hieß, der genüßlich beschreibt, wie die "Fische, Hummern und Seespinnen der Adria schon lange keine so guten Zeiten gehabt hätten wie jetzt, da sie die Besatzungen gesunkener italienischer Schiffe verspeisen könnten. Bei den Glossen findet sich ein kurzer Text dazu, dass deutsche Universitäten beginnen, den siegreichen Generalen Ehrendoktorgrade der Philosophie zu verleihen. Der Text endet mit dem schönen Satz: " Die deutsche Professoren haben es mit den österreichischen Kellnern gemeinsam, dass sie jeden, der ihnen einen intelligenteren Eindruck als sie selbst macht, zum Ehrendoktor ernennen und die deutschen Kellner und die österreichischen Professoren machen es ihnen nach." In den Glossen werden oftmals nur verschiedene Zeitungsartikel nebeneinander gestellt, daraus ergibt sich manchmal ein Bild einer Zeit und einer Politik, die in einem Moment sich nicht mehr daran erinnern mag, was sie fünf Minuten zuvor als wichtig oder richtig erkannt hat. Der übergangslose Wechsel von einer Behauptung zu ihrem Gegenteil, wie er von Orwell in 1984 beschrieben wurde, fand sich auch schon in der damaligen Kriegsberichtserstattung. Besondere Sorgfalt verwendet Kraus auf die verschiedenen Literaten, für eine Erledigung Ganghofers genügt es schon, einfach kommentarlos drei längere Zitate aus seinen Kriegsberichten hintereinander zu stellen. Auch von einer Kriegsreporterin genügt es, die blutrünstigen Erzählungen der Kampfromantik zu zitieren. Kraus war der Meister des demaskierenden Zitats; im Krieg passierte es ihm häufiger, dass Beiträge, die nur aus wörtlichen Zitaten der Tagespresse bestanden, von der Zensur konfisziert wurden, weil sie auf einmal zu entlarvend schienen.

Nach den Glossen findet sich ein erstaunlich moderner Gerichtsbericht: Kraus war wegen Verletzung des Urheberrechts verklagt worden, weil er eine Werbefotografie des damals populären Schriftstellers Otto Ernst im Rahmen einer Glosse verwendet hatte. Das Gericht sah die Verwendung allerdings im Rahmen einer satirischen Auseinandersetzung mit den Werken des Schriftstellers als gerechtfertigt an. Kraus dokumentierte Urteil und Schriftsätze, und da er reichlich boshaft sein konnte, wurde natürlich auch das Bild wieder reproduziert.

Der Band endet mit einer Reihe von Aphorismen, von denen einer mir seit langem im Gedächtnis ist, der weit über den I. Weltkrieg hinweg zu weisen scheint: "Es gibt eine Idee, die einst den wahren Weltkrieg in Bewegung setzen wird: Dass Gott den Menschen nicht als Konsumenten und Produzenten erschaffen hat. Dass das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Dass der Magen dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Dass das Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbsrücksichten begründet sei. Dass der Mensch in die Zeit gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit den Beinen irgendwo eher anzulangen als mit dem Herzen."

Mit den knapp 170 Seiten begann wieder eine produktive Phase. Das nächste Heft erschient bereits 2 Monate später.


*Auch der Originaltitel in Anführungszeichen, um das grammatikalisch falsche Zitat aus einem Zeitungsbericht, der eigentlich gemeinsame Feinde von Goethe und Heine zum Thema hatte, zu kennzeichnen.

Mittwoch, 30. September 2015

Alfie

Sonny Rollins ist einer meiner Lieblingssaxophonisten. Wie wenig andere verstand er es, harmonisch wirklich abgefahrenes Zeug in einer Weise zu präsentieren, die auch musikalisch weniger aufgeschlossenen Zeitgenossen gefällt. Das Lied Alfie ist aus einem Filmsoundtrack der späten Sechziger, dort mit Bigbandbesetzung eingespielt. Eines der Jazzstücke, das eigentlich hier der ganzen Familie gefällt.

Bei dieser Live-Aufnahme von 1973 hat Rollins keine Big Band im Rücken; das Stück klingt aber trotzdem fantastisch. Wer davon keine gute Laune bekommt, dem ist wohl nicht zu helfen.


Sonntag, 27. September 2015

Wir wurden zu Schlangen

(Ein Teil der Familie war auf der Internationalen Funkausstellung und hat sich über die Wunderwerke der Unterhaltungselektronik informiert. Ich nutze sowas ja gerne, bin aber in der Familie eher bremsend, wenn es um Neuanschaffungen geht. Deswegen werde ich meistens auch gar nicht konsultiert, wenn eingekauft wird. Nun haben wir auch irgendsoein Zusatzgerät für Internet-TV und was soll ich sagen: Es hat durchaus etwas, Youtube auf dem Fernseher im Wohnzimmer anzusehen. Der Rest der Familie bereut die Neuanschaffung wohl schon teilweise, weil er aus unerfindlichen Gründen keine Freejazz-Videos am Frühabend ansehen will.)

So bin ich letzthin auch auf das letzte Saccharine Trust-Album "We became snakes" gestoßen. Es kam 1985 auf dem Black Flag-Hauslabel SST heraus und war in Deutschland praktisch nirgends zu bekommen. Saccharine Trust kamen ursprünglich auch aus der LA-Hardcore-Punk-Szene, drifteten allerdings relativ schnell in jazzige Gefilde ab. In den Neunzigern waren Teile der Band als "Universal Congress Of" unterwegs, fantastische Band, allerdings durch und durch Jazz. Hätte ich mich zu Saccharine Trust-Zeiten irgendwie ausgekannt, wären mir die Captain Beefheart und Lounge Lizards-Anleihen aufgefallen, aber damals war ja Jazz ohnehin nur etwas, was nervte. Ich hatte deswegen auch lange die Vorstellung, dass "We became snakes" wohl weitgehend unhörbar sei. Vor ein paar Jahren gab es bei einem Mailorder die Saccharine Trust Live-LP "Past lives", die ich mir gekauft habe, da waren allerdings die Lieder von "We became snakes" durchaus interessant. Und nun stoße ich auf das ganze Album, das alles andere als unhörbar ist. Eine wirklich definierende Platte des Punk-Jazzes, die die Punkenergie mit Jazz-Harmonik paarte. Fand 1985 außer ein paar Hipster wohl jeder kacke. 2015 hat es meine Familie auch nur mit versteinertem Gesicht vor dem Fernseher angehört. Spannende Musik.

Dienstag, 22. September 2015

Alabama

Heute wäre John Coltrane 88 Jahre alt geworden, man mag sich gar nicht vorstellen, in welche musikalischen Sphären er noch vorgedrungen wäre. Auf Youtube habe ich diese Sendung mit dem klassischen Coltrane Quartett entdeckt, ich mag besonders das zweite Lied, das sehr ruhige Alabama.

Der richtige Soundtrack für eine Trane Geburtstagsfeier...

Sonntag, 20. September 2015

Auerhaus

(Noch einmal Jugend in den Achtzigern.)

Ich habe Bov Bjerg eigentlich immer als Schriftsteller wahrgenommen. Das erste Mal habe ich ihn um die Jahrtausendwende beim Mittwochsfazit mit seinen Sachen gesehen und war immer von seiner Sprachkunst begeistert. Ich war dann überrascht, dass es da noch gar keine Bücher gab. Das erste Buch, der Roman Deadline, kam erst 2008. Nun hat Bov Bjerg seinen zweiten Roman veröffentlicht, Auerhaus. Es ist abzusehen, dass Bov Bjerg mit diesem Roman nun die angemessene Wertschätzung bekommt.

Der Roman spielt in den frühen Achtzigern in einem Kaff in der Schwäbischen Alb und handelt von einer Außenseiter-WG, die sich findet, weil ein Mitbewohner selbstmordgefährdet ist und Betreuung und Aufsicht benötigt. Für den Erzähler Höppner eine Möglichkeit, dem fiesen Freund seiner Mutter zu entkommen. Es ist eher ironisch, dass der einzige, der durch das Arrangement gerettet wird, Höppner ist. Die wilde WG bringt einen Hauch Anarchie in die enge dörfliche Welt, das geht leider auch nicht lange gut. Für mich ist eine der eindringlichsten Stellen im Buch, als der Bauer von nebenan seinem Jungen eine runterhaut, weil er Silvester bei den merkwürdigen WGlern mitgefeiert hat. Dem Buch ist die Bemerkung vorangestellt, "Alle Personen sind erfunden, alle Handlungen verjährt", ein Hinweis darauf, dass das Wirken der Hauptpersonen an vielen Stellen gegen Gesetze verstößt. Wer bei Büchern immer genau wissen will, wer eigentlich die Guten und wer die Bösen sind, wird hier verzweifeln. Die Personen sind alle ambivalent und das Buch wertet nicht. Und wenn man selbst versucht zu werten, hat man es nicht ganz einfach. Das Leben in der Provinz war damals nicht so, dass man durchkam, ohne die eine oder andere Regel zu brechen.

Das Buch funktioniert auf vielen verschiedenen Ebenen, es ist zum einen ein Bild der Achtziger in der Provinz, lässt längst vergessene Erinnerungen an Musterung und RAF-Hysterie wieder erstehen. Aber die Geschichte ist zwar in der damaligen Zeit angesiedelt, aber alles andere als zeitverhaftet. Es ist eine allgemein gültige Geschichte des Außenseitertums, die jeder verstehen kann, der einmal 17 war. Geschrieben in einer anschaulichen, sehr reduzierten Sprache. Da ist kein Wort zu viel; auf Twitter hat Bjerg verraten, dass der Erzähler Höppner in einer früheren Fassung noch einen Vornamen "Ralf" hatte; wenn man das Buch gelesen hat, weiß man, dass es klug war, dieses Detail herauszulassen.

Im Buch bleibt viel über die Protagonisten im Dunkeln; viele Dinge werden nicht erklärt; zumindest der Erzähler könnte wahrscheinlich auch nicht viel erklären, da ihm doch so vieles selbst ein Rätsel ist. Insoweit für mich ein sehr überzeugender Siebzehnjähriger in einem Roman. Was mich fasziniert hat, war, wie auch die merkwürdigsten Dinge von den Hauptpersonen hingenommen werden, das erinnert mich allerdings auch an meine Jugend; im Nachhinein frage ich mich bei tausend Dingen, warum man damals nicht mal nachgefragt hat. Aber man hat eben so vieles nicht verstanden und wollte sich keine Blöße geben.

Das Buch ist sehr unterhaltsam zu lesen, wenn man will, kann man darin aber noch viel mehr finden. Eiin Beil taucht leitmotivisch auf; ebenso spielt Imiglykos-Wein eine durchgehende Rolle. Und ein im Buch imaginiertes Rettungsszenario für eine der Hauptpersonen: Problemkind wird später Professor, habe ich mit einem Bekannten, bei dem damals alle Sorgen hatten, dass er nicht allzu alt werden würde, tatsächlich erlebt.

Lesen!

Mittwoch, 16. September 2015

Nachts scheint die Sonne

Ich habe den KFC ja immer gemocht, auch wenn es die Band niemand leicht gemacht, sie zu mögen. Peter Hein von den Fehlfarben berichtet in "Verschwende deine Jugend": "Die Schlägereien gingen erst mit dem KFC los." Der Bandname Kriminalitätsförderungsclub war wohl auch Programm. Erst prügelte man mit anderen Bands, dann mit dem Publikum und dann innerhalb der Band. Trotzdem haben sie ein paar sehr schöne Lieder gemacht, nicht zuletzt "Wie lange noch?", ein Klassiker der Tristesse, die ganze erste LP "Letzte Hoffnung" (zu deren Inhalten und Ästhetik man einiges schreiben müsste und schreiben könnte, was wirklich nicht angenehm wäre) setzt einen Ton zwischen Aggression, Verzweiflung und Dummhuberei, der seitdem nicht mehr erreicht wurde. Die zweite LP war dann wirklich seltsam, ein Teil der Band hatte zur NDW-Combo "Nichts" gewechselt. Der Rest entwickelte irgendwie künstlerischen Ehrgeiz, die LP wurde produziert von Conny Plank, das war nichts Halbes und nichts Ganzes mehr. Ein paar schöne Stücke sind aber auch noch drauf, insbesondere "Nachts scheint die Sonne". Die frühere Aggression hört man höchstens noch an dem Schlagzeuggeklöppel, der Text entwirft eine graue,  künstliche Welt. Ich habe mir später immer gedacht, dass der Text eigentlich erst so richtig in unserer Welt voller Unterhaltungselektronik passt, in der in der Tat in der Nacht die Sonne scheint. "Wo willst du denn hin, um zuhause zu sein?" Gute Frage, eigentlich.


Montag, 14. September 2015

Verschwende deine Jugend

(Das wird wohl der erste Teil einer kleinen Serie über Bücher, die die Jugend in den 80ern darstellen, auch wenn dieses Buch eigentlich schon in den späten 70ern beginnt.)

Verschwende deine Jugend von Jürgen Teipel nennt sich einen "Doku-Roman über den deutschen Punk", die Beschreibung scheint mir zutreffend. Teipel, der in den späten Siebzigern selbst dabei war, hat mit den verschiedenen Protagonisten gesprochen, u.a. mit den meisten der frühen Düsseldorfer Szene, von Male, Fehlfarben, Mittagspause, DAF, KFC, ZK, dem Plan, mit den Hamburgern von Abwärts, den Berlinern von den Einstürzenden Neubauten, Malaria und vielen anderen mehr. Die Ausschnitte aus den Interviews hat er dann so montiert, dass man das Buch als eine erzählte Geschichte des frühen deutschen Punks lesen kann. Ich bin zu jung, um diese Geschichten noch selbst mitbekommen zu haben und wohnte sowieso in der Allgäuer Provinz, wo man nicht richtig viel mitbekam. Da dort aber alles mit einigen Jahren Verspätung ankam, gab es bei uns praktisch ein paar der Geschichten dann noch einmal im Kleinen. Als ich das Buch vor über 10 Jahren das erste Mal gelesen habe, habe ich mich in einigen Dingen wiedergefunden. Die Geschichten sind vor allem haarsträubend, sie illustrieren allerdings ganz gut, wie aus einem Vakuum  ganz neue Dinge entstehen können. Punk - von dem man 76 in Deutschland nicht viel mehr wusste, als dass es da ein paar Verrückte im UK und in den USA gab, die merkwürdig aussahen - war auf einmal Kristallisationspunkt für alle möglichen Leute, die etwas eigenes oder anderes machen wollten. Grenzen wurden niedergerissen, oftmals gewalttätig und selbstzerstörerisch (dem Buch kann man auch wundervoll entnehmen, was für ein Arsch auch schon der junge Ben Becker war). Irritierend, aber auch insoweit übereinstimmend mit meiner Erinnerung an die frühe Allgäuer Szene, ist vor allem, dass am Anfang sowohl politisch linke Leute als auch Rechte in der Szene waren. Das Kokettieren mit Nazi-Symbolik war allgegenwärtig. Die klare Trennung kam dann erst Anfang der Achtziger.

Was mich etwas fertig gemacht hat, ist,  dass ich das Buch beim ersten Mal lesen als sehr amüsant und tatsächlich auch Erinnerungs anregend empfunden habe. Auch jetzt beim nochmaligen Lesen musste ich an vielen Stellen lachen und habe das Buch relativ schnell durchgelesen. Allerdings fand ich es eher erschütternd, dass fast alle Protagonisten komplett verpeilt waren und das Geschehen durchgängig gewalttätig war (wahllos eine Seite aufgeschlagen, der ehemalige KFC-Gitarrist und jetzige Heilpraktiker Meikel C. beschreibt es so: "Anfangs war das noch ein bisschen unprofessionell. Als ich die ersten Male so mitten ins Publikum reingesprungen bin, hatte ich nur so einen Kegel von der Kegelbahn. Auf dem stand. "Patsch, voll in die Schnauze!" Irgendwann habe ich dann gleich meine Gitarre genommen - und die da unten wie einen Morgenstern über den Kopf geschwungen." Schön kommentiert vom ehemaligen KFC-Schlagzeuger, einem jetzigen Psychiater: "Der hat sich oft völlig situationsinadäquat verhalten, was Gewalt betrifft.") . Kam mir beim ersten Durchlesen alles nicht so bemerkenswert vor, hat mich jetzt schon einigermaßen nachdenklich gemacht. Vor allem, weil ich mir nicht sicher bin, wie es denn eigentlich in dieser Hinsicht bei uns war. Ich selbst habe mich nie gerne geprügelt und mich schon immer weitgehend ferngehalten (was nicht immer möglich war), aber wenn ich über die verschiedenen Geschehnisse rund um unser Jugendzentrum so nachdenke, war das vielleicht nicht so weit von der wilden Großstadtwelt entfernt.

Naja, wie dem auch sei, ein schönes Buch über eine Zeit, die einem nur noch fremd und rätselhaft vorkommen kann.

Donnerstag, 10. September 2015

Punkrock-Lebenshilfe (3)

1983 brachte M. von seinen Sprachferien in England die LP Strawberries von The Damned mit. Auf dem Cover sieht man ein Schwein, das sich in Erdbeeren suhlt, das Textblatt war irgendwie mit Erdbeergeruch versehen, so dass die LP meine ganze Schallplattensammlung verstunken hat. Nach dreißig Jahren hat sich der Geruch aber verzogen. Die letzte LP der Damned, bevor Captain Sensible ausgestiegen ist (später kam er ja wieder, die Jungs sind ja immer noch unterwegs, allerdings schon etwas sehr betulich inzwischen).

Auf der Platte hat mich immer das Lied "Life goes on" besonders fasziniert, obwohl es ja alles andere als punkig war. Für den 15jährigen war es tatsächlich eine Entdeckung einer Lebensweisheit zu hören, "das Leben geht weiter und weiter, und auch wenn du denkst, nun ist alles schief gegangen, geht es weiter, weiter, weiter...." Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich das erste Mal tatsächlich nach einem Abend, an dem ich dachte, nun sei alles vorbei, am nächsten Morgen aufwachte und das Leben ging weiter. Schön und beruhigend.

(Die hübsche Basslinie haben später Nirvana für Come as you are geklaut.)

Dienstag, 1. September 2015

Verbrechen auf Schallplatte (2)

Weil wir gerade dabei sind: Noch ein Versuch, auf die Hardrockwelle aufzuspringen. Harte Gitarren, ein Kind, das singt, wenn ich mich richtig erinnere, hat Frank Farian das produziert. An dieses Lied kann ich mich tatsächlich noch erinnern, das lief in den Siebzigern immer im Wunschkonzert.

Textlich ein absoluter Tiefpunkt, egal wie man's wendet. Die zweite Strophe ist an Stupidität kaum zu übertreffen. Mischa mit: "Ich und Rocky Waschbär". Hört es an und die Welt wird nicht mehr dieselbe sein. Laut Youtube stand auf der Single: "Bei Mischa kommt alles zusammen: Feeling, angeborene musikalische Intuition und ausgeprägter Drive." Na dann.

Montag, 31. August 2015

Verbrechen auf Schallplatte

(Oder: warum das in Deutschland mit Heavy Metal nie geklappt hat.)

Anfang der Siebziger Jahre haben in Großbritannien Black Sabbath die ersten Erfolge und schaffen es mit Paranoid sogar in die Single-Charts. In Deutschland überlegen sich die Plattenbosse, wie man auf diesen Trend aufspringen kann und denken über bewährte Methoden nach: Deutsche Versionen der Lieder von bewährten Kräften aufnehmen lassen. Aus Paranoid wird so "Der Hund von Baskerville" und als deutsche Hardrocker werden die bekannten.... nein, ich schreib's nicht hin, das muss man sich selbst anhören, glaubt mir ja doch wieder keiner. Also: Hier klicken. Auf eigene Gefahr.

Donnerstag, 13. August 2015

See-Admiral

Zur Abkühlung ein Ausflug in die Antarktis mit Grant Hart und Nova Mob. Das Lied heißt Admiral of the Sea, ist auf der LP "Last days of Pompeii" von 1991, einer Art Rockoper über Wernher von Braun (bin mir aber nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe). Sind aber ein paar schöne Lieder drauf. Grant Hart, der hier auch nicht zum ersten Mal vorkommt, hatte ohnehin das Potenzial, ein ganz großer Songwriter zu werden; leider hat das nicht so ganz funktioniert.

Aber nun zur Polarexpedition.

Dienstag, 11. August 2015

Depperte Deppen

Ein Monat Pause hier, dabei gäbe es einiges abzuarbeiten. Fangen wir mit einem Lied der immer sonder- und manchmal wunderbaren Haindling an. Das Lied stammt ursprünglich von 1983. Da es auch gerade an Deppen keinen Mangel gibt, immer noch das passende Lied.

Samstag, 11. Juli 2015

Ελα μικρό να φυγουμε

Bleibt einem noch etwas nach dieser Woche des politischen Wahnsinns, als sich in die Ferne zu wünschen, an einen Ort, an dem es keine Probleme gibt? Das Lied von Vassilis Tsitsanis, aufgenommen mit Stratos am 10.6.1940, handelt zwar nur von dem Wunsch, mit der Geliebten weit weg zu reisen, die Gründe werden nicht explizit benannt.*

Komm Kleine, lass uns abhauen und zu einem anderen Ort gehen
wo alles wunderbar ist und es immer Sommer ist.
Komm, lass uns zusammen reisen, wir gehen nach Hawaii
wo jedes Herz seine Sorgen vergisst.
Komm, lass uns alles vergessen und eine schöne Zeit haben,
die Bitterkeit unserer Liebe werden wir dort vergessen
Wir werden dort leben, ohne uns zu streiten, wie zwei verrückte kleine Vögelchen
Mit Freude werden wir die Bitterkeit und das Gift aus unserem Leben verscheuchen.

(Ελα μικρό να φυγουμε, Vassilis Tsitsanis, 1940, deutsch nach der englischen Übersetzung von G. Holst in Road to Rembetika.)





*Zu dem geschichtlichen Hintergrund siehe hier.

Freitag, 10. Juli 2015

Ο σαλταδόρος

Eines der bekanntesten Rembetikalieder, das auch ein Lied des griechischen Widerstandes gegen die Deutschen während der Besatzung war. Das Lied ist von Michalis Jenitsaris, der seine ersten Erfolge in den 30ern und dann ein Comeback in den 70ern hatte.  Das Lied ist reichlich ambivalent; für mich auch deswegen eines der besten.

Sie sind neidisch, sie möchten mich nicht gut angezogen sehen, sie sind erst zufrieden, wenn sie mich am Boden sehen,
Ich ziehe sie ab, ich springe auf den Wagen, ich stehle die Benzinkanister
Aber ich kriege es immer hin, weil ich auf die deutschen Lastwagen springe und die Beute verkaufe
Ich ziehe sie ab, ich springe auf den Wagen, ich stehle die Benzinkanister
Wir suchen nach Benzin und Kerosin, weil das ein Vermögen wert ist und wir das verjubeln
Wenn ich den Kanister verkaufe, werde ich solange trinken, bis ich weggetreten bin
Und wenn ich den Ersatzkanister vom Laster schmeiße, gehe ich damit zum Schwarzhändler und krieg sofort Geld;
Wenn ich den Ersatzkanister greife, ist er weg und ich verschwinde mit ihm.

(Michalis Jenitsaris, 1942, erstmalig aufgenommen in den 70er Jahren; deutsch nach der englischen Übersetzung von G. Holst in dem Buch "Road to Rembetika")
Ich hätte nie gedacht, dass wir irgendwann wieder in eine Zeit kommen, in der die Stereotypen des Zweiten Weltkrieges bei uns und anderswo wieder aufleben.mic

Donnerstag, 9. Juli 2015

Wo hast du dich versteckt, als der Sturm kam?

Thematisch ein Lied, das sowohl zur Witterung als auch zur Griechenlandwoche passt. Die Band ist zwar aus Wales, aber wir können uns schon mal alle fragen, wo wir uns verstecken werden, wenn der Sturm denn kommt.

Vielleicht sind The Alarm zu Recht vergessen, in den 80ern waren sie mir immer nicht punkig genug, haben aber ein paar schöne Lieder gemacht. Das Video ist auch eine gute Erinnerung daran, dass die 80er modisch nicht gerade das beste Jahrzehnt war.


An der Mauer vor unserem Jugendzentrum war lange Zeit ein Graffiti "The Arlarm" - der Allgäuer hat halt gerne noch zusätzliche "r". In Berlin ist's eher umgekehrt.

Mittwoch, 8. Juli 2015

Bewaffne dich mit Flügeln

Am Sonntag die Gelegenheit, jemanden erstmalig zu sehen, dessen Musik mich seit über 30 Jahren begleitet hat. Joakim Thaström ist in der Stadt. Thaström hatte Mitte der 70er in der schwedischen Punkband Ebba Grön gespielt, die Platten hatte mir Anfang der 80er ein Bekannter, der früher in unserem Kaff gewohnt hat, und dann mit seiner Mutter nach Schweden gezogen war, mitgebracht. Ebba Grön waren wirklich fantastisch, eine Art schwedische Clash, sich von Platte zu Platte musikalisch weiterentwickelnd. Die "Samlade Singlar"-LP habe ich so gerne gehört, dass ich sie mir mehrmals kaufen musste; ich habe sie einfach kaputt gespielt. 1982 trennten sie sich, Thaström machte mit Imperiet weiter, eine New Wave-Band im weiteren Sinne, wieder brachte mir K. Platten aus Schweden mit, wieder entwickelte sich die Musik von Platte zu Platte weiter, nie bei einem Genre oder einem Muster stehen bleibend. Die verbindende Klammer der Bands war immer Thaströms Stimme, rau und ausdrucksvoll. Nach Imperiet kam eine Phase, in der Thaström eine Art Industrial unter dem Namen Peace, Love and Pitbulls machte (das habe ich nicht so richtig verfolgt, hört sich für mich irgendwie wie eine Mischung aus Nine Inch Nails und Deichkind an).

Schließlich nahm er ein paar Platten unter eigenem Namen auf, ich habe meinen schwedischen Freund C. (der die Industrial-Phase am besten findet) mal gefragt, wie man die Musik nun beschreiben könnte, er meinte "skandinavian melancholia", das trifft es wohl. Pathetische Popmusik, mit ein paar Noise-Einsprengseln. Nun ist das eigentlich gar nicht mein Ding, bei pathetischen Pop bin ich normalerweise aus dem Zimmer, bevor man "U2" sagen kann. Aber Thastöms Stimme hat mich nun durch die Jahrzehnte begleitet, ich habe damals verzweifelt mit einem Taschenwörterbuch versucht, mir die Texte zu übersetzen, also hatte ich kaum eine Wahl: ich musste hin.

Der Postbahnhof war vollkommen in schwedischer Hand, ich nehme an, dass ein Großteil der in Berlin ansässigen Schweden auf dem Konzert war.  Keine Vorgruppe, es ging um 21.30 Uhr los, der Schlagzeuger sieht irgendwie aus wie Roger aus der Fernsehsendung Real Humans, Thaström kommt auf die Bühne, rennt ein bisschen umher wie ein Panther im Käfig, und beginnt zu singen. Ich kenne nur ein paar Stücke, "Beväpna dej mit vingar", "Fanfanfan"  und das alte Imperiet-Stück "Jag är en idiot".  Das Publikum kennt alle Texte und singt mit, das Ganze ist sehr mitreißend.



(Ja, Lichtshow war auch)

Kurz vor Ende des Konzerts beginnt draußen ein starker Regen, pathetisches Wetter für ein pathetisches Konzert. Für die erste Zugabe spielt Thaström Fanfanfan, nur mit seinem Gitarristen; ich denke, dass das das Ende des Konzerts sein müsse, aber es kommen dann noch einige Lieder.

Ich gehe irgendwann zufrieden in den strömenden Regen.

Sonntag, 5. Juli 2015

ΜΕΣ ΣΤΗΣ ΠΕΝΤΕΛΗΣ ΤΑ ΒΟΥΝΑ 


(Begegnungen und Entscheidungen:)

In den Bergen des Pendeli spaziere ich unter Fichten
ich suche den Tod, aber ich erkenne ihn nicht

In den Bergen des Pendeli an einem lieblichen Tagesanbruch
treffe ich ihn schließlich und sage mit Schmerzen:

Laß mir noch etwas Zeit zu leben, ich habe eine Frau und Kinder,
ich kann sie nicht zurücklassen

Er sieht mich an und lächelt, als wolle er mich gehen lassen,
dann ruft er laut: Ich nehme dich, ich lasse dich nicht.

(Stratos, 1940, deutsch nach der englischen Übersetzung von Gail Holst im Buch Road to Rembetika; die Aufnahme ist aus den 50ern.)

Samstag, 4. Juli 2015

Ατακτη

(Das Folgende sind die einzigen existierenden Filmaufnahmen von Markos Vamvakaris, 1968 für das ZDF aufgenommen. Rembetika ist als Amüsement bei den besseren Athener Bürgern angekommen. Der alte Mann ist aber immer noch ein Ereignis.)
 Die Ungezogene
Ich will dich nicht mehr. Ich will dich nicht mehr. 
Ich liebe dich nicht mehr. Mach, dass du fort kommst. Und viel Glück dabei. 

Was habe ich nicht alles für dich getan, um dich zur Vernunft zu bringen!
Aber du bist unverbesserlich. Also hau ab und lass mich in Ruhe.

(H Ατακτη, Markos Vamvakaris, 1965, deutsche Übersetzung des Refrains und der letzten Strophe nach der englischen Übersetzung von Gail Holst in dem (sehr empfehlenswertem) Buch "Road to Rembetika". Foto von dem Originaltext von Markos ebenfalls aus dem Buch.)

Freitag, 3. Juli 2015

Όσοι Έχουνε Πολλά Λεφτά


Die Leute mit viel Geld
Ich wünschte, ich wüßte, was sie damit anfangen
Glauben sie, sie können es mitnehmen, wenn sie sterben, aman, aman?
Dass man es mitnehmen kann?

Ich habe niemals auch nur zwei Münzen in meiner Tasche,
Und mein ganzer Ärger geht auch nur weg, aman, aman,
wenn ich komplett zugedröhnt bin.

Und wenn in der nächsten Welt das ganze Geld nutzlos sein wird,
warum beten sie es dann so an, aman, aman?
und wissen nicht, wie sie's ausgeben sollen,
warum beten sie es dann so an,
und wissen nicht, wie sie's verprassen können?

(Ossi echoune polla lefta, Markos Vamvakaris, 1936, deutsch nach der englischen Übersetzung von Charles Howard.)


Donnerstag, 2. Juli 2015

Piss and Off!

Wieder einmal Zeit, auf ein Konzert zu gehen. Habe ich schon mal erzählt, dass Pankow Rock City ist? Am Dienstag habe ich zweimal Eddie Argos getroffen, der mit Nachwuchs im Park unterwegs war, in der S-Bahn nach Hause war Jürgen Trittin, das ist doch schon fast wie in Hollywood.

In Kreuzberg spielten Off! mit der Vorgruppe Piss (quasi Piss Off!, gettit?) der Arbeitstag war gräßlich gewesen, also war so ein Konzert genau das Richtige. Den Sänger von Piss habe ich vor zwei Jahren mal bei einem Flag-Konzert getroffen; es gibt über ihn einen eigenen Beitrag bei Ackerbau in Pankow, das können außer meinen Söhnen und F., der es aber hasst, in meinem Blog vorzukommen, nur wenige Leute von sich sagen. Piss spielten etwa eine halbe Stunde, sehr brachialer Punkrock, der an Discharge und andere 80er Bands erinnerte. Für mich war das an dem Tag genau das Richtige. Ich habe dann noch ein bisschen mit Robin, dem Sänger, geplaudert, der aber inzwischen nicht mehr wie früher in Pankow, sondern in Friedrichshain wohnt.

Danach Off! Off! ist die Band von Keith Morris, der vor einigen Jahrzehnten der erste Sänger von Black Flag (und dann später von den Circle Jerks) war. Bei Black Flag ist er eher im Unfrieden ausgeschieden, auf der LP "Everything went black", auf der die frühen Aufnahmen zusammengefasst werden, taucht er in den Liner notes nur als "Johnny Bob Goldstein" auf und der Bassist Chuck Dukowski schrieb dazu (relativ frei erfunden), Johnny Bob habe seine Gitarre zerschlagen und erklärt, nie mehr singen zu wollen. Dukowski schrieb für Keith/Johnny Bob dann auch noch ein Lied "You bet we've got something personal against you". Keith Morris war also aus dem Bandarchiv  ausgelöscht, mit "Nervous Breakdown" hat er aber eine der besten Black Flag-Singles aufgenommen. (Inzwischen vertragen sich aber alle - mit Ausnahme von Gitarrist Greg Ginn, der inzwischen wohl keine Freunde mehr hat - wieder, über die Chuck Dukowski/Keith Morris-Reunion habe ich ja schon berichtet). Der Name Black Flag kam von einem Insektenvertilgungsmittel, Off! ist ebenfalls ein Insektizid, so dass man die Band als den Versuch sehen kann, an die alten US-Hardcore-Zeiten vor 1981 anzuknüpfen. Off! bedient sich daneben - wie die frühen Black Flag - bei dem Artwork von Raymond Pettibon (dem Bruder von Greg Ginn).

Morris muss ja inzwischen auch gut 60 Jahre alt sein, ich habe schon an anderer Stelle beschrieben, dass es für Männer mit starker Glatzenbildung ein geschickter Move ist, sich bei dem verbleibenden Haarkranz Rastazöpfe wachsen zu lassen. Morris wirkt aber fit und sehr präsent, wie ein kleiner böser Kobold.  Ich habe erst letzthin gehört, dass Morris Vater am South Bay ein Anglergeschäft hatte, in dem Morris auch ausgeholfen hat (um hier noch ein weiteres irrelevantes Faktum unterzubringen). 

Das Konzert war sehr kraftvoll, kurze schnelle Lieder, hat Spaß gemacht. Ein paar junge Leute begannen zu tanzen, leider auch im 80er Style, sprich mit geballten Fäusten wild im Kreis herumhüpfend. Da ich inzwischen auch nur noch den Gymnasiasten-Pogo gewohnt bin, der ansonsten bei den Konzerten herrscht, habe ich mich lieber etwas nach hinten verzogen. 

Mit dem Mann am Merchandise-Stand habe ich mich dann auch noch ein bisschen unterhalten. Off! waren zwei Tage vorher in Athen, Merch-Man meinte, alle seien total ausgeflippt, weil das ganze Land unter enormer Anspannung steht. Am gleichen Tag ging es dann nach Dänemark weiter. Neben den Bandshirts mit dem Pettibon-Artwork gab es auch ein merkwürdiges, auf das das Bild eines Schweines mit Messer und Gabel zusammen mit italienischer Aufschrift gedruckt war. Auf Nachfrage erzählte mir Merch-Man, dass das das Shirt eines italienischen Restaurants sei, des Lieblingsrestaurants der Band. Der Inhaber, ein Opa, sei Off!-Fan und habe alles mögliche Band-Merchandise gegen diese T-Shirts getauscht. Das Restaurant sei  ein Überbleibsel der 50er Jahre, aber das Essen sei fantastisch. Merch-Man und ich waren uns einig, dass das eigentlich das richtige Punk-Konzert-T-Shirt sei. Langweiler erkennt man an den angesagten Band-Shirts. Gut sind T-Shirts erst dann, wenn die anderen Konzertbesucher sich nicht schlüssig werden, ob der Träger ein Idiot ist oder vielleicht noch viel cooler als man selbst. (Preisträger in dieser Kategorie ist vielleicht der Typ, der vor zwei Jahren mit einem Robbie Williams-T-Shirt auf einem Black Flag-Konzert war). 

Ein schöner Abend. Mit dem Taxi dann zurück nach Pankow Rock City.

Samstag, 27. Juni 2015

Ein dressierter Seehund, der auf einer Reihe von Autohupen "God save the queen" spielt.....

(Die Erläuterung dieser Überschrift folgt in einigen Absätzen.)

Auch wenn meine Eltern einige klassische Musik gehört haben, fehlte es mir lange Zeit an Zugang dazu, von einigen Lieblingsstücklein abgesehen. Daran hat sich nicht furchtbar viel geändert, auch wenn ich natürlich in den letzten Jahrzehnten so einiges hören und kennen lernen konnte. Allerdings gibt es inzwischen ein paar Komponisten, die ich sehr regelmäßig höre und zu diesen gehört Johann Sebastian Bach. Diese mehrstimmige sehr klar konstruierte, fast schon mathematische Musik verschafft mir enormes Vergnügen, auch wenn ich von den musiktheoretischen Hintergründen keine Ahnung habe. Diese sehr abstrakte Musik, die dem Hörer so wenig gibt, an dem er sich festhalten kann, die sich aber nach dem vierten oder fünften Hören auf einmal so folgerichtig und zwangsläufig anhört, macht mir mehr Spaß als die spätere romantische Musik, die sich doch etwas leichter erschließen lässt.

Irgendwie bin ich in meinen frühen 20ern bei Glenn Gould gelandet, der natürlich für jemand, der das Klare und Abstrakte schätzt, ein guter Einstieg ist, ganz abgesehen von seiner Kunst mehrere Stimmen gleichberechtigt nebeneinander zu führen (von den wenigen Leuten, die ich kenne, die ernsthaft Klavier spielen, gibt es allerdings keinen, der sich mit GG wegen seiner Marotten und Manierismen anfreunden könnte.)

Es gibt eine Aufnahme der "Kunst der Fuge" von J.S. Bach, bei der Gould das Werk auf der Orgel spielt. Eigentlich sollte das ja für eine schöne Mehrstimmenführung ein Referenzstück sein, aber die Orgelaufnahmen hatten sehr wenig von der gewohnten Klarheit und eine - der wohl insgesamt vernichtenden  - Rezensionen verglich die Aufnahme mit einem dressierten Seehund, der auf einer Reihe von Autohupen "God save the queen" spielt. Tatsächlich nichts, was man für die Werbung verwenden könnte, aber ein sehr anschaulicher Vergleich (in die Linernotes zu der späteren CD wurde das Zitat dann aber aufgenommen...). Wahrscheinlich stimmt die Bewertung, ich kann's nicht beurteilen; ich habe mir auf der CD zumeist nur die letzten sechs Stücke angehört, bei denen dann einige Kontrapunkte der Kunst der Fuge auf dem Piano gespielt werden, und hier findet man tatsächlich die polyphone Klarheit, die ich so gerne höre. Den Kontrapunkt IV in dieser Fassung höre ich manchmal ganz gerne in Folge mit dem zweiten Satz der Love Supreme von John Coltrane. obwohl beide Stücke eigentlich musikalisch vollkommene Gegenpole sein müssten, passen sie eigentlich gar nicht so schlecht zusammen.

Ein bisschen der Faszination lässt sich auch aus diesen  Fernsehaufnahmen, bei denen Gould, kurz vor seinem Tod, das Stück spielt, erahnen. Man kann hier die Musik tatsächlich sehen.

Montag, 22. Juni 2015

Feminismus im Alltag

Für den letzten Beitrag der Woche des Mundarthumors schauen wir einmal westlich der Iller, zu den Württemberger Schwaben. Vor einigen Jahren gab es dort eine Reihe von schwäbisch nachvertonten Filmchen, die manchmal einen sehr eigenen Reiz entfalteten. Mein liebstes Beispiel ist ein vollkommen rätselhafter Beitrag, in dem Stefan Seibert, damals noch nicht Regierungs-, sondern Nachrichtensprecher, einen offenbar schlecht gelaunten bärtigen Mann in Köln interviewt. Um was es damals ging, man wird's nicht erfahren, da die Synchronisierung ein Gespräch über den "Witz der Woche" daraus macht. Die Herren werden sich nicht einig darüber, was eigentlich der Witz ist und warum die kurze Geschichte über zwei Feministinnen witzig sein sollte.(Der Witz is oifach witzig, glaube se mers)

Sonntag, 21. Juni 2015

Jede Tag

Und weiter geht's mit der "Woche des Mundarthumors". Die schwierigen Etappen liegen noch vor uns. Für die meisten Leute vollkommen unverständlich wird der nächste Beitrag sein, von den hier ebenfalls schon gehuldigten Baby Jail aus der Schweiz. Ich gebe zu, dass das vielleicht etwas schwerer zu erfassen ist, deswegen vorab etwas mehr Erläuterung (in Hochdeutsch): Zu Blockflötenbegleitung wird eine Beziehung schonungslos analysiert: "Jeder Tag, immer das Gleiche, ich liebe dich, du liebst mich". Alternierend machen Sänger und Sängerin Vorschläge zur Verbesserung, die in dem Szenario gipfeln "Komm wir gehen auf die Straße, ich als Auto, du als Hase'". Worauf die Sängerin zu dem (versöhnlichem?) Ergebnis kommt: "Vielleicht ist es doch am besten, wir schauen Fernsehen, so wie gestern."

Schonungsloser Realismus, Blockflöten und Schwyzerdütsch. Ich liebe diese Band.

Samstag, 20. Juni 2015

Warten auf Dillinger

Das Projekt "Woche des Mundarthumors" ist für alle eine harte Prüfung. Aber wir sind ja nicht zum Spaß hier. Und es gibt mir die Gelegenheit, den Altmeister der schlechten Laune, Gerhard Polt hier wieder einmal zu präsentieren. Der folgende Sketch ist so quälend, wie man es sich nur vorstellen kann. Aber ich muss sagen: Ich habe für solche Typen auch schon gearbeitet. Da ist nichts übertrieben, eher noch zurückhaltend dargestellt.


(Und wenn es einen Grund gibt, sich dieses Filmchen anzusehen, dann ist es die Stelle bei 1:21, wo Polt eine Bierflasche an der Pritsche seines Lieferwagens aufmacht. Die abrupte Bewegung lässt das Bier überschäumen, das Etikett ist eingerissen. Diese Handbewegung ist vielleicht nur an dieser Stelle filmisch dokumentiert, ohne das Filmchen wäre das Wissen um diese Sitte deutscher Bauarbeiter in den späten 70ern des letzten Jahrhunderts vielleicht vollkommen in Vergessenheit geraten.)

Freitag, 19. Juni 2015

Jodel-Sepp

Willkommen zur Woche des Mundarthumors, die uns allen einiges abverlangt. Aber nützt ja nichts. Nach den Abstechern nach Augsburg und Wien begeben wir uns in die Nähe von Ingolstadt, wo Günter Grünwald herkommt. Grünwald ist inzwischen im Bayrischen Rundfunk ein sehr erfolgreicher Komiker, seine wahren Stärken zeigen sich aber eher in den früheren Stücken.
Das folgende Interview mit dem Volksmusikveteran Jodel-Sepp ist zwar vollkommen unverständlich, das macht aber gerade den Reiz aus.


Donnerstag, 18. Juni 2015

Und die Ruinen san a Hund?

Ich glaube, es kommt jetzt eine Woche des Mundarthumors: Der große Helmut Qualtinger als Travnicek, der nicht von seinem Urlaub begeistert ist.  Ich habe im letzten Urlaub mit Zitaten aus diesem Sketch meine Familie zu Tode genervt. War lang nicht auf YT verfügbar; nach meiner Erinnerung fehlt hier eine Beschimpfung mediterraner Nahrungsmittel ("die Bouillabaisse - a gstinkerts Gschlader", "Cevapcici - Hundstrümmer garniert mit Zwiefeln."), die ich noch von der früheren Fassung kenne. Vielleicht eine bereinigte Fassung?


Auf jeden Fall etwas für alle Freunde schlechter Laune. 

Mittwoch, 17. Juni 2015

Punkrock-Lebenshilfe (2)

Zeit, wieder diese extrem beliebte Reihe aufzugreifen. Diesmal mit Frank Turner, der gestern in Berlin ein kostenloses Konzert im Ramones-Museum gegeben hat, zu dem ich aber nicht gegangen bin, weil .... ach, das schreibe ich besser nicht, das schmerzt zu sehr. Da passt ja der Titel genau "Reasons not to be an idot".

Schönes Lied, der Ratschlag "Get up, get down and go outside" passt ja zum Sommer.



Dienstag, 16. Juni 2015

Ja woisch...

Als ich 1990 zuhause auszog, schaffte ich es erstmal nicht allzu weit weg, sondern ich landete in Augsburg. Eine viel, aber zu Unrecht geschmähte Stadt. Als Vorbereitungscamp für richtige Großstädte genau die richtige Umgebung.

Die Oberbayern finden die bayerischen Schwaben zumeist lustig und wegen ihrer Sprache hinterwälderisch. Bei uns klingt viel auf "sch" aus, was dem Bayern das "woaßt" ("Weißt du?") ist dem Schwaben das "woisch" (bei uns war es noch eher "weisch"), ich weiß nicht, wie oft ich mich da in München auslachen lassen musste. Selbst im Ortsnamen Augsburg kriegt man ja auch noch ein "sch" unter, wenn man denn will. Ich habe mich vor ein paar Jahren sehr gefreut, als mich ein früherer Studienkollege auf das folgende Zeugnis Augsburger Bräsigkeit und Lebensfreude aufmerksam gemacht hat. Ja, so sind sie und ich kann in Heimatgefühlen schwelgen (wie der Rest der Familie dieses Dokument schwäbischer Lebensart aufnimmt, möchte ich lieber nicht sagen). Die Gruppe nennt sich "Stoinerne Männer", nach einer Augsburger Institution: In der Stadtmauer gibt es eine Statue, den stoinernen Ma (man sieht ihn auch im Video), der an eine Begebenheit im Dreißigjährigen Krieg erinnern soll. Als die Kaiserlichen Truppen die Stadt belagerten, soll ein Bäcker mit einem Laib Brot auf die Stadtmauer gestiegen sein, um den Belagerern zu zeigen, dass noch genügend zum Essen in der Stadt sei. Aus Wut habe man ihm dann den Arm abgeschossen; das werde durch die Statue gezeigt (die Nase fehlt auch, aber da gibt es keine Geschichte dazu). Das seltsame Manschkus wurde aber wohl aus irgendwelchen übrigen Brocken zusammengesetzt  und man hat sich dann später die Geschichte dazu ausgedacht , aber was soll's.

Das Lied sei jedem empfohlen, eine Sammlung dummen Geredes (Hauptsach, d'Luft scheppert) und schwäbischer Bauernschläue, die mich jedes Mal gerührt zurück lässt. Im Refrain eine Mischung von vager Hoffnung und Lokalpatriotismus, die nicht zu schlagen ist (Aus uns wird au no was werra/ woandersch gibts koin Plärrer). Und nach einiger Zeit stellt man dann überrascht fest, was für ein Lied da eigentlich gecovert wurde.

(Na Kipf, da hängt dr der Rotz ra.)

Montag, 15. Juni 2015

Man kann das Karma nicht bescheißen

Eines dieser Lieder, das eigentlich jeder einmal gehört haben sollte, das aber dann doch nur wenige kennen. Zounds waren eine der britischen Punkbands der zweiten Welle, mit deutlich politisch anarchistischem Einschlag. 1980 kam die erste Single "Can't cheat karma" auf dem Label der Band Crass heraus, sie wurde ein Erfolg in der Indieszene. Der Titelsong zeigt schon die Eigenständigkeit der Band; so ein Lied hatte man vorher nicht gehört, ein kantiger und schöner Ohrwurm, jenseits der 1980 schon streng befolgten Punkklischees. "Es muss sich jetzt bald was ändern, ja, ich weiß, es muss bald Frieden kommen, ja, ich könnte mich irren. Aber ich weiß einfach nicht, was ich dafür tun kann." Diese Ratlosigkeit angesichts all der Dinge, die sich ändern müssten, traf damals wohl einen Nerv. Auch jetzt kommt mir die Zeile "But I just don't know what I can do" häufiger in den Sinn.

Anhören!

(Auf der anderen Seite der Single war das ebenfalls sehr schöne Lied "Subvert", das dann schon eher Vorschläge zur Subversion machte. Wäre ein Thema für ein andermal.)

Donnerstag, 11. Juni 2015

The Blessing

Als wären in den letzen Tagen nicht schon genug gute Leute gestorben, hörte ich heute vom Tod Ornette Colemans. Irgendwie nicht mehr so recht vorstellbar, dass Coleman mit seinem Plastiksaxophon die Leute in Rage gebracht hat, für mich hören sich seine Sachen eigentlich immer ganz melodisch an (aber das zeigt wohl nur, dass ich keine Ahnung von Jazz habe). Die Something else höre ich ganz gerne, das zweite Lied The Blessing habe ich heute ihm zu Ehren laufen lassen.


Samstag, 30. Mai 2015

Attentäter und Kassettentäter

"Der eine hobelt Lattenbretter und heiratet nach Damaskus und wird Attentäter." (Josef Hader, So ist das Leben)

1. Durch Diskussion anderswo angeregt habe ich einmal wieder etwas dazu nachgelesen, wie das Reagan-Attentat 1981 die amerikanische Alternativmusik beeinflusst hat. Reagan wurde von John Hinckley Jr. (dessen Vater merkwürdigerweise ein Freund von George Bush gewesen sein soll) angeschossen. Hinckley war besessen von dem Film Taxi Driver und von Jodie Foster, die dort mitspielte, und hatte die Vorstellung, dass er durch eine wahnwitzige Tat die Aufmerksamkeit von Foster erringen könnte. So versuchte er ein Attentat auf Ronald Reagan, Reagan wurde angeschossen, sein Pressesprecher erlitt schwere Verletzungen,* genauso wie ein Sicherheitsbeamter. Hinckley wurde festgenommen, aber wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht verurteilt, sondern in die Psychatrie eingewiesen (lockere Besuchsregelungen wurden Ende des letzten Jahrhunderts wieder aufgehoben, da man feststellte, dass Hinckley sie nutzte, um Material über Jodie Foster in die Klinik einzuschmuggeln. Da dieser Attentatversuch keine politischen, sondern popkulturelle Gründe hatte, ist es auch nicht verwunderlich, dass John Hinckley Jr. wiederum verschiedene Musiker beeinflusst (man scheut sich, inspiriert zu sagen) hat. Wenige Tage nach dem Attentat gründete sich die Skatepunkband Jodie Foster Army (irgendwann war es ihnen dann wohl auch zu blöd und sie nannten sich nur noch kurz JFA). Ich habe nie so richtig verstanden, was der stilistische Unterschied zwischen Skatepunk und normalem Punk/Hardcore ist, außer dass die Typen halt Skateboard fahren, aber das Cover einer der ersten Platten muss man als ikonisch für das Genre nennen:

Ich hatte in diesem Zusammenhang auch immer Wall of Voodoo mit "Far side of crazy" im Kopf, von dem ich immer dachte, es basiere auf einem Gedicht von John Hinckley Jr.. Der Song beschäftigt sich zwar mit der Thematik, aber basiert höchstens lose auf dem Brief, den Hinckley an Foster schreiben wollte. Nicht nur da lag ich falsch, ich hatte auch immer gedacht, da hätte Stan Ridgway gesungen, der war aber zu der Zeit schon lange nicht mehr Sänger, sondern Andy Prieboy, der auch den Text geschrieben hat (damit erklärt sich auch zwanglos, warum Ridgway sich zwischen 1983 und 1985 äußerlich so sehr verändert hat....). Schönes Lied, und schönes abgedrehtes Western-Video dazu.

Tatsächlich ein Gedicht von Hinckley vertont haben aber einmal DEVO, "I desire", das Lied kenne ich aber nicht. Die Band meinte im Nachhinein, es sei nicht der beste "career move" gewesen. Bei der Recherche bin ich auch darauf gestoßen, dass ein Lied von Capitol Punishment "Jodie is my bloody love" auf dem Attentat basiert, hätte ich auch selbst drauf kommen können. Dieses Lied hat ein früherer Gitarrist von uns immer gehört und ich habe es schon immer gehasst. Leider war das Lied eine Blaupause für etwa 1000 schleppende Hardcore-Songs, so dass man es wahrscheinlich schon gehört hat, auch wenn man es noch nie gehört hat.

Was soll man davon halten, dass sich Musiker an Wirrköpfen oder bösen Leuten orientieren? Aber Goethe hat auch lieber Faust geschrieben als Heiligenlegenden.

2. Zur Jodie Foster Army kam ich eigentlich nur, weil ich mich daran erinnert habe, dass es einmal eine Punkband in Deutschland gab, die Petra Kelly Army hieß (zu einem Zeitpunkt, als Kelly noch lebte). Hier zeigt sich ein Phänomen, das zumindest für Jüngere nicht so richtig nachvollziehbar ist: Während inzwischen praktisch alles, was es an Musik gab, irgendwo im Netz dokumentiert ist und man auch keine Probleme hat, umfassende Informationen über griechische Musik der Dreißiger Jahre online sofort zu finden, gibt es einiges aus der Zeit zwischen 1980- 1995, was in keiner Weise dokumentiert ist. Das hat auch damit zu tun, dass es Anfang der 80er keine vernünftige Infrastruktur für Underground-Musik gab. Die Kommunikation erfolgte durch Fanzines, die Musik war größtenteils nur auf Cassetten verfügbar. LPs konnten nur ganz wenige Gruppen machen. Es gab viele tolle Dinge, die so gut wie nicht mehr verfügbar sind. Die Petra Kelly Army ist im Netz zum Beispiel nur mittelbar über eine Auflistung eines Tapesamplers zu finden, der "Wir schlagen das Imperium" hieß (den hatte mein Bruder, glaube ich, auch einmal, es war zumindest auch eine Band aus unserer Heimatstadt drauf). Ich kann mich nicht erinnern, was für Musik die PKA gemacht hat, bei den Bands, die sich noch auf dem Sampler fanden, sind allerdings ein paar, die ich auch gerne mal wieder hören würde. Zum Beispiel die New born babies, die ein wunderbares Lied "Streifenwagen" hatten, das mir jetzt noch jedes Mal durch den Kopf geht, wenn ich einen Streifenwagen sehe (unvergleichlicher Refrain: Tatü tata tatü tata). Oder Rudolfs Rache, die einen kleinen Hit mit "Wir rasieren uns" hatten (auch heute noch eine wichtige Botschaft!) und deren Lied "Wenn das Bier verboten wird, dann gibt es nur noch Milch beim Wirt" auch noch besürzende Aktualität hat. Oder die Sportsgroup aus Frankfurt, die ein paar unglaubliche Tapes gemacht haben, an die sich aber inzwischen kaum jemand erinnert. Es gibt ein paar Seiten, auf denen die Tapes und Fanzines dokumentiert werden. Tape attack z.B. ist hier wirklich eine Fundgrube, als Neuling bräuchte man aber sicher eine kuratierte Version, da manches doch recht obskur ist. Auf meinem Dachboden steht noch ein Koffer mit alten Briefen, die ich damals mit allen möglichen Fanzinemachern und Kassettenlabel-Betreibern gewechselt habe, vielleicht sollte ich da mal wieder etwas stöbern. Die meisten Fanzines, die ich hatte, sind allerdings irgendwann verloren gegangen.


*Und da hier alles mit allem zusammenhängt,  basiert die erste Geschichte in dem Kurzgeschichtenband "Nixen auf dem Golfplatz" von Patricia Highsmith, der hier schon einmal vorgestellt wurde, auf der Geschichte des Pressesprechers.

Dienstag, 26. Mai 2015

Scheiße

Soeben lese ich, dass Fil morgen mit seinem Didi & Stulle-Comic in der Zitty aufhört. Den Comic über die zwei Schweine gab es seit 1997 alle zwei Wochen in dem Stadtmagazin, praktisch seit ich nach Berlin gezogen bin. Für mich waren Didi & Stulle auch immer ein Berlin Wegweiser, in dem die Sprache auch wunderbar aufgefangen wurde. Die Geschichten, die in Zwei-Wochen-Häppchen manchmal etwas sehr konfus, aber immer unglaublich komisch wirkten, waren dann später im Zusammenhang gelesen dramaturgisch bewundernswert (auch wenn andere meinen, dass er ansonsten zu viel über seinen Penis erzählt). Zeichnerisch ohnehin phantastisch. Einzelne Geschichten waren für mich immer wie der Soundtrack für die Stadt. Einzelne Fil-Sätze gehören zum ewigen Zitatenschatz der Familie. Und nu hört er auf.

Das macht mich traurig, aber ich bin sicher, dass Fil dann andere wunderbare Sachen machen wird. (Bitte, bitte!)

Montag, 25. Mai 2015

Happy Birthday Charlie!

Gerade lese ich, dass Charlie Harper, der Sänger der britischen Punkband UK Subs heute 71 Jahre alt wird. Er ist damit ein paar Tage älter als mein Vater. Das erste Mal habe ich die UK Subs wohl mit 11, 12 gehört, auf einer Cassette, die mir jemand aufgenommen hat, war ein Lied, leider nicht ganz, das ich total prima fand: Lady Esquire. Das soll mal das Geburtstagslied sein, auch wenn ich heute zum ersten Mal verstehe, dass es da um irgendwelche Drogen geht. Die Band hat noch viele tolle Lieder gemacht; die LPs hatten immer Titel, die das Alphabet runtergingen (vielleicht sind sie schon bei Z); A (Another Kind of Blues) -E (Endangered Species) sind uneingeschränkt zu empfehlen.

Die UK Subs sind immer noch unterwegs, schaut euch Charlie mal an.

Dienstag, 19. Mai 2015

52 Bücher: Ärger mit der Unsterblichkeit

1. Immer noch der Vorsatz, bei den 52 Büchern wieder aufzuholen. Aber die Wochen gehen so schnell vorbei, wenn man 40 Tomatenpflanzen gießen muss und drei Blogs bestücken. Das Motto dieser Woche ist "Es war einmal" und eigentlich dachte ich, dass ich da nichts beitragen kann, als mir plötzlich aufging, dass das Buch, das ich gerade lese, genau passt.

2. Andreas Dorau kennen praktisch alle als Sänger von "Fred vom Jupiter", ein Lied, das er als 15-Jähriger bei einem Schulprojekt aufgenommen hatte und das irgendwie zum Neuen Deutsche Welle Hit wurde. In "Ärger mit der Unsterblichkeit" hat er einige Geschichten aus seinem Leben erzählt, die Sven Regener aufgeschrieben hat. Ich habe das Buch quasi in einem Rutsch durchgelesen und am liebsten hätte ich die Hälfte davon gleich meiner Familie vorgelesen.

3. Dorau ist Künstler in der Tradition der Genialen Dilletanten und erzählt in dem Buch von seinen verschiedenen Projekten, Platten, Filmen, Opern und was er ansonsten noch so gemacht hat. Das Ganze sehr lakonisch. Ich weiß ja nicht, wie außergewöhnlich oder aufregend euer Leben bis jetzt so war, aber gegenüber Doraus Erzählungen kommt einem das eigene Leben extrem gewöhnlich und ereignislos vor. Dorau schafft es aber, selbst die seltsamsten Begebenheiten vollkommen normal klingen zu lassen: "Ich trieb ein paar Meter Filmmaterial auf und nahm mir vor, damit sparsam umzugehen. Deshalb verzichtete ich wieder auf Schauspieler und Handlung, außerdem auf Beleuchtung und Geräusche. Also alles fast wieder wie bei meinem ersten Film." Oder zu seiner Kurzoper: "Die Handlung sollte in Moritatenform von einem Hosenchor erzählt werden und ging so: Ein junges Mädchen, die schöne Lucy, Tochter eines Teppichs, verliebt sich in eine Hose, doch der Vater ist gegen diese Verbindung und am Ende sterben alle.... Als wir aber aus der Mittagpause zurückkamen, teilte Eckhart Schmidt uns mit, dass die Kameraleute, größtenteils ältere Damen, die sich bis dahin nicht weiter bemerkbar gemacht hatten, die Arbeit niedergelegt hätten, weil sie "so einen Scheiß" nicht mitmachen wollten." (In jeder Rezension des Buches, die ich bislang gelesen habe, wird ausgiebig zitiert, weil fast jeder Satz unglaublich ist. Die Geschichten von der dreifachen Anzeige wegen der Kinderoper, der Entsorgung des Rammstein-Rammsteins oder wie ihm sein erster Dackel in den Hoden biss, müsst ihr aber selbst lesen.)

4. Man lernt nebenbei noch einiges über das Musikgeschäft, es kommen einige mehr oder weniger bekannte Leute vor, darunter wohl auch ein Berliner Kultursenator, der aus gutem Grund nicht mit Namen genannt wird. Ich habs`s, wie gesagt, an einem Stück gelesen. Am nächsten Tag stöberte ich in meinen Platten und zog seit langem mal wieder die Fehlfarben heraus, im Nachhinein wurde mir klar, dass da auch Frank Fenstermacher mitspielte, der im Buch auch häufiger vorkommt.

Freitag, 15. Mai 2015

Misheard Lyrics

Diesen Hinweis verdanke ich meinen Nichten. Es gibt auf Youtube Frau Coldmirror, die fremde Songtexte illustriert. Und zwar so, dass sie das aufzeichnet, was man verstehen könnte, wenn es sich um ein deutsches Lied handelte. Der psychologische Trick dabei ist, dass Schrift und Bild ganz kurze Zeit vor dem gesungenen Wort erscheint, so dass das Hirn bereit ist, tatsächlich zu glauben, dass gerade "Kritzel Riesenpriester" oder "Ist der mit Ohrsand?" gesungen wird.  Die Sternstunden sind da natürlich bei irgendwelchen exotischen Sprachen, das türkische Lied "Keks, alter Keks" sollte man sich auf jeden Fall anhören, aber auch englisch-sprachiger Heavy Metal* kann dabei überraschend angenehm erscheinen. Sehr, sehr lustig. J.J. hat mir erzählt, dass Coldmirror inzwischen diese Videos nicht mehr macht, aber für Leute wie mich, die alles erst drei Jahre zu spät mitbekommen, gibt es ja Youtube zum Nachgucken. Bühne frei für Coldmirror!

*Wer hier ab und zu mitliest hat ja eine Vorstellung, wie groß meine Abneigung gegen Heavy Metal ansonsten ist. Aber: "Du machst den Kakao" ist in Ordnung.

Montag, 11. Mai 2015

Dangers of Rock'n'Roll

Letzthin bin ich im Internet zufällig auf die Geschichte von Louie, Louie, den Kingsmen und dem FBI gestoßen. Ich habe dann zwar herausgefunden, dass die Geschichte wohl schon länger bekannt ist, aber was soll's. Aber der Reihe nach:

1. l963 nahm eine Musikgruppe namens The Kingsmen ein Stück auf, das es schon seit einigen Jahren gab. Louie, Louie war die Geschichte eines Seemanns, der in einer Bar davon erzählt, wie er zu seinem Mädel zurück will. Die Originalversion hatte karibische Wurzeln, die Kingsmen saßen aber in der Nähe von Seattle und hatten Mühe, das Stück zu spielen. Die Aufnahme kostete 50 Dollar, alle waren zusammen in einem Raum und der Sänger versuchte, über den Krach hinweg in das Mikro, das von der Decke hing, zu singen (hier kann man eine Darstellung des Sängers über die Aufnahme hören). Die Körperhaltung führte dazu, dass die Phrasierung und die Aussprache ohnehin anders klang als in normaler Haltung, howling at the moon, quasi. Louie, Louie war eines dieser 60er Jahre Proto-Punk-Stücke, ziemlich roh, aber mit einem Anfangsriff, das man nicht mehr aus dem Kopf bekam. Die Version der Kingsmen wurde ziemlich bekannt und beliebt und kam sogar in die Hitparaden. Da ging der Ärger los.

Beim FBI kamen zahlreiche Beschwerden an, dass es sich um ein obszönes und damit verbotenes Lied handelte. Väter beschwerten sich, sie hätten diese sicherlich pornografische Single bei ihren Kindern gefunden, hier müsse das FBI einschreiten. Die FBI-Akte kann man inzwischen im Internet nachlesen, ein Dokument, das zum einen zeigt, wie sich die Welt in den letzten 50 Jahren verändert hat, zum andern aber auch eine ziemlich lustige Lektüre. Das FBI war durchaus willig zu ermitteln, aber: sie verstanden den Text nicht. Konnten ihn auch nicht verstehen, weil weite Passagen aufgrund der schlechten Aufnahme komplett undeutlich waren. Es kursierten verschiedene Textblätter, ein harmloses Original-Textblatt und dann verschiedene scharfe Versionen, entweder von Teenagern erstellt oder von Vätern, die versuchten den Text zu fassen. Das FBI gab die Single ins Labor, ließ sie  auf allen Geschwindigkeiten von 16, 33, 45, 78 abspielen, aber es half nichts: Der Text war nicht zu verstehen. Nach zwei Jahren gab das FBI dann auf.

2. Muss man sich das Lied wie einen Rorschachtest vorstellen, einem Psychotest, bei dem den Probanden Tintenklecksbilder vorgelegt werden, und dann gefragt wird, was sie sehen? Die Versuche zeigen, dass bei der Erläuterung eigentlich unverständlicher Bilder Bewußtseinsinhalte freigelegt werden, die ansonsten verborgen blieben. Hörten alle, insbesondere auch die Eltern, Schweinereien in  dem Genuschel von Jack Ely, dem Sänger, weil sie Anfang der Sechziger in einer sexualisierten, aber unterdrückten Gesellschaft lebten? FBI-Chef Hoover war gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, als er meinte, es sei egal, ob der Originaltext unbedenklich sei. Die Teenager würden den bedenklichen Text trotzdem hören. Wahrscheinlich muss man hier tatsächlich gar nicht besonders psychologisieren; 15-17 Jährige haben wohl zu jeder Zeit irgendwelche obszönen Versionen von populären Liedern fabriziert, unabhängig davon, ob das Original verständlich war oder nicht.

3. Wahrscheinlich ist es doch komplizierter. So harmlos das Liedchen auch war, die Väter und das FBI waren sicher zu Recht besorgt. Weil auch unabhängig vom fassbaren Inhalt, war dieses Lied bedrohlich. Diese Low budget-Produktion, die rohe Darbietung zeigen demonstrativ, dass den Kingsmen die Mainstreamästhetik ziemlich wurscht war. Das Lied zeigt komplettes Desinteresse daran, den gängigen Vorstellungen von schöner Musik zu entsprechen, und Amerikas Jugend verstand die Botschaft wohl. Das war insgesamt gefährlicher als ein möglicher obszöner Text, aber nichts, gegen das das FBI etwas machen hätte können...

Jack Ely, über dessen gesungene Zeilen FBI-Agenten gerätstelt haben, ist vor einigen Wochen im Alter von 71 Jahren gestorben.

Samstag, 9. Mai 2015

Pirate Satellite Festival

Mal wieder ein Konzert in Berlin. Das Pirate Satellite Festival, ein Haufen Bands an einem Abend. Die meisten kenne ich nicht, aber da spielen auch die Smith Street Band, die mir Torsten von der Bördebehörde immer ans Herz gelegt hat, und Samiam, von denen ich vor Jahrzehnten mal eine LP hatte, die ich sehr gerne gehört habe.

Das Ganze soll um 18.30 Uhr beginnen, ich muss vorher noch J.S. abholen und nach Hause bringen, und mit Bahnstreik dauert die Fahrt von Pankow nach Kreuzberg auch ein bisschen länger. Als ich dann um 20.30 ankomme, muss ich feststellen, dass die Smith Street Band schon von 19.30 Uhr bis 20 Uhr gespielt haben und dass Samiam als letzte kurz vor 24 Uhr spielen werden.

Fucketyfucketyfuck, wie der Schwede zu sagen pflegt.

Die Auftritte sind abwechselnd im C-Club und im Crystal Club, so dass die Bands praktisch nonstop spielen können; während auf der einen Bühne gespielt wird, macht man auf der anderen den Soundcheck. Im Crystal Club stehen Typen mit farbigen Skimasken auf der Bühne, nein, nicht Pussy Riot, sondern Masked Intruder. Ich kannte die Band vorher noch nicht, man muss aber sagen, dass es schon eine relativ bescheuerte Idee ist, sich in der Bühnenhitze mit Skimasken hinzustellen. Am Rande der Bühne sass dann noch ein korpulenter Typ, der keine Skimaske aufhatte, sondern Mütze und Schnauzbart. Mir wurde dann erst beim ersten Lied klar, dass das ein Polizist sein soll, der praktisch die ganzen maskierten Verbrecher jagen soll. Der Officer dirigierte dann bei ein paar Liedern das Publikum, später saß er dann in knappen Radlerhosen am Merchandise-Stand rum. Süß! Komplettes Kasperletheater (fand ich natürlich gut). Masked Intruder bollerten live ziemlich rum, die Lieder könnten allerdings alles Outtakes vom zweiten Descendents-Album sein; eine Mischung aus Ramones und Beach Boys, mit schönen Gesangsarrangements. Hat mich wirklich begeistert, obwohl (nein: natürlich weil) die ganze Band so herrlich bescheuert war. Eine kleine Kostprobe der Musik und des Humors der Band kann man hier sehen:

Danach auf der großen Bühne Teenage Bottlerocket. Kannte ich auch vorher nicht, technisch sauberer Green Blink FX-Punk, mit allen zugehörigen Rockerposen. Fehlt mir ein bisschen der Zugang dazu, ist mir auch etwas zu langweilig. Irgendwann erklärte allerdings der Sänger, dass er mal ein Jahr deutsch gelernt habe und spielte ein deutsches Lied, mit folgendem Text: "Ich bin Ausländer und spreche nicht gut deutsch, bitte sprechen Sie langsam, sprechen Sie langsam." Da musste ich doch lachen. Dann fragte der Sänger, wer denn im Publikum Minecraft spiele und war enttäuscht, dass sich nur ein, zwei meldeten (mein Zwischenruf "my sons" ging wohl unter). Er schob es darauf, dass das Spiel in Deutschland nicht beliebt sei, ich würde es eher dem Verwitterungsgrad des Publikums zuschreiben

Auf der anderen Bühne dann Lower than Atlantis, hörte sich nicht schlecht an, aber nicht mein Ding. Ich könnte noch nicht mal sagen, wie man die Musik beschreiben sollte.

Ich setzte mich vor die große Bühne und sah Samian beim Aufbauen zu. Die Band war Mitte der 90er recht groß, gilt wohl als Pionier der Emo-Szene. Ich kenne, wie gesagt, nur eine frühe LP, die ich aber gerne mag. Der Sänger kam zum Mikro-Check, ein wohlbeleibter, unrasierter Basecap-Träger, der eine blaue Latzhose trug. Sah aus wie aus der Stihl-Motorsägen-Werbung (leider hat keiner von den zahlreichen Schlümpfen, die das Konzert auf dem Handy aufgenommen haben, bislang etwas bei Youtube eingestellt, den Anblick kann man nicht beschreiben). Da wußte ich, dass es ein gutes Konzert werden würde.

 (In dem Video hat der Sänger noch Haare und trägt Anzug. Ich finde er hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert.)

Samian spielten eine gute Stunde, ich kannte kein einziges Lied, sehr kraftvoll, treibend und abwechslungsreich. Man merkte, dass die Band schon lange zusammenspielt und Spaß an der Sache hat. Der Sänger hat eine relativ hohe Tonlage für Punk, interessanterweise fand ich ihn jetzt in etwas gesetzteren Alter sogar besser als auf den frühen Aufnahmen; normalerweise lässt hier ja das Vermögen eher etwas nach. Vor der Bühne eine große Meute von Leuten, die jedes Lied mitsingen konnten. Muss mir mal ein paar Sachen von Samiam besorgen.

Um halb 1 war's dann zu Ende, im Taxi nach Hause konnte ich die Ehrfurcht des Taxifahrers erringen, da ich, nachdem er das Radio anmachte und zwei Töne erklangen, den Sänger als Robert Johnson identifizieren konnte. Wir hörten zunächst den "Me and the Devil Blues" und dann, dass Johnson vor 113 Jahren geboren wurde. Guter Tag für die Populärmusik also.