"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Dienstag, 19. April 2016

Serienmord und Popmusik

In den letzten Tagen konnte man in der Zeitung lesen, dass Leslie van Houten, die vor 47 Jahren als Mitglied der Manson-Familie an deren Morden beteiligt war, begnadigt werden könnte. Charles Manson selbst ist inzwischen über 80, er wird das Gefängnis wohl kaum noch verlassen.

Manson war für die Popkultur immer sehr faszinierend; für mich zwar komplett unverständlich, aber kaum zu leugnen. Da Manson als Musiker höchst mittelmäßig war, stellt sich zumindest bei ihm nicht die Frage, ob ein Mörder gute Musik machen könnte (schwierige Frage: man stelle sich vor, man erführe, dass Johann Sebastian Bach mehrere Menschen grausam ermordet hätte - würde dadurch seine Musik schlechter?). Ein paar Aspekte der Wechselwirkung zwischen Mördersekten und Popmusik möchte ich aber im Folgenden ansprechen. (Gerade wird mir wieder bewusst, wie wunderbar man inzwischen alle möglichen Informationen finden kann. Als ich mich Ende der 80er zum ersten Mal für das Thema interessierte, gab es ein paar Absätze in Büchern über die Beatles und ein paar obskure Fanzineartikel; in den Bibliotheken war nichts zu finden. Ich erspare mir deswegen, die Manson-Geschichte hier zu skizzieren; inzwischen gibt es ja Wikipedia.)

Manson selbst hat ja im Prozess gesagt, dass er Inspiration oder den Anstoß für seine Mordserie bei dem Weißen Album der Beatles gefunden hat, zum einen in der Paul McCartney-Komposition "Helter Skelter", zum anderen in dem Harrison-Lied "Piggies". "Helter Skelter" war für Manson der Zustand des Chaos vor dem bevorstehenden Rassenkrieg. Eine der merkwürdigsten Aspekte der Manson-Geschichte ist, dass dieser Rassist relativ gut in der Hippieszene eingebunden war. "Helter Skelter" ist ein Beatle-Stück, das Heavy Metal vorwegnimmt; Paul McCartney hatte anscheinend das dringende Bedürfnis zu zeigen, dass er eigentlich ein Rocker sei und auch aggressive und böse Musik machen kann (ich denke mir immer, dass das Lied auch eine Reaktion auf die Musik von Jimi Hendrix war). Trotz allem Krawall kann man "Helter Skelter" aber kaum als Gewaltaufruf sehen.

 (Die Spanier, die die erste halbe Minute quasseln, einfach ignorieren).

Neben den Beatles, die wenig für das Interesse konnten, das Manson an ihnen zeigte,  gab es noch andere Bands, die engere Verbindungen mit Manson hatten. Überraschenderweise die Beach Boys, deren Dennis Wilson in Kontakt mit der Family stand. Die Beach Boys übernahmen sogar eine Manson-Komposition "Cease to exist" unter dem Titel "Never learn not to love", Manson soll sehr ungehalten über die Änderungen am Text gewesen sein.

(In dem Film sieht man auch Interviews mit Manson, nicht jedermanns Sache.)

In den 80ern ging die Faszination für Manson weiter. SST, das Black Flag-Hauslabel, wollte eine Manson-LP herausbringen, Henry Rollins korrespondierte mit Manson und produzierte. Nachdem SST aber verschiedene Besuche von Family-Mitgliedern und Todesdrohungen bekamen, verwarfen sie die Idee schnell wieder. Sonic Youth nahmen "Death Valley 1969" auf, zusammen mit Lydia Lunch. Das Video bezieht sich klar auf die Manson-Mordserien (Das Video sollten zartbesaitete Leser besser nicht ansehen; die einen werden die Bilder, die anderen die Musik als eklig empfinden). Den Umfang des Manson-Revivals kann man recht einfach daran erkennen, wenn man sich auf Youtube mal ansieht, wie viele Bands die Manson-Komposition "Cease to exist" schon gecovert haben.

Eine aus meiner Sicht sehr gelungene Umsetzung der Manson-Thematik gelingt Daniel Clowes in seinem Comic "Like a velvet glove cast in iron", das ohnehin mit allen möglichen popkulturellen Referenzen durchsetzt ist. Ein Handlungsstrang bringt Clay, die Hauptperson, nachdem er von Polizisten verprügelt wurde und eine rätselhafte Tätowierung auf die Fußsohle verpasst bekommen hat, in eine Art Kommune, die von dem charismatischen Godfrey geleitet wird, der seine Inspiration aus dem Elvis-Film "Harum Scarum" bezieht. Godfrey ist der Auffassung, dass der Endkampf zwischen Frauen und Männern bevorsteht. (Ich kann jedem nur empfehlen, der auf merkwürdige Lektüre steht, hier einmal in die Leseprobe des ersten Kapitels hineinzusehen . Absolut fantastisches Buch, eine surreale Komposition in die man sich wochenlang vertiefen kann).

2 Kommentare:

  1. Hilfe! Ist ja alles spannend, aber wie kann es helfen, den alltäglichen Wahnsinn heute zu verstehen? Ich sehe dabei, dass es für jede mögliche geistige Deformation Theorien geben kann, die das untermauern.
    Musik drückt für mich Gefühle und Stimmungen aus, auch Aggression,aber sie mordet nicht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe keine Ahnung. Serienmörder finde ich auch nicht sonderlich interessant, die Verbindung zu den Beatles und Beach Boys finde ich aber merkwürdig. Ich vermute aber, dass sich zu mörderischer Musik einiges sagen ließe...

      Löschen