"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Samstag, 13. Oktober 2018

Rentner Kicks

Irgendjemand in unserem JZ hatte die erste Undertones-LP, die immer wieder lief, ich kannte die Lieder, ohne zu wissen, wie sie hießen.

Dieses Jahr kamen die Undertones mal wieder nach Berlin, ich hatte sie noch nie live gesehen, dachte, vierzig Jahre Teenage Kicks wäre ja mal eine gute Gelegenheit das nachzuholen. Für das Konzert im Mai hatte ich zwei Karten gekauft, für M. und mich. Das Konzert wurde in den Oktober verlegt, mich begleitete Frau Ackerbau anstelle von M. Ihre Begegnung mit den Undertones kam um einiges später als meine, punkrock-technisch war in den Achtzigern das Allgäu halt besser als Thüringen. Vor knapp zwanzig Jahren hatten wir in einem Pub in Edinburgh eine Band gesehen, die sich durch die Rockmusik der Siebziger durchcoverte, Frau Ackerbau war erstaunt, als M. und ich bei Teenage Kicks lauthals mitsangen. Nun kannte sie das Lied auch.

Das Konzert war im Huxleys, ich würde mal schätzen, dass wir beide den Altersschnitt eher senkten. Die Vorband kam aus Manchester, Shinshon, eine merkwürdige Mischung aus 80er Darkwave mit Rap-Anteilen. Nicht mein Ding, aber die Schlagzeugerin war beeindruckend, in ihre Rhythmen versunken, die Zählzeiten durch ein Wiegen ihres Kopfes nach links und rechts mitzählend und immer wieder unvermutet paßgenaue merkwürdige Wirbel beisteuernd. Der Bassist hingegen war passend für ein neu zu erfindendes Spiel: Doofe Frisur oder Mütze? Es war wohl eine Mütze.

Der Sänger versuchte das Publikum zum Mitmachen zu animieren, mit wenig Erfolg, vor allem, weil er eher schwer zu verstehen war. Nur zum Schluß gab er vor, man solle, nachdem er auf drei gezählt habe, "Shut the fuck up" rufen. Das taten wir, die Band packte ein, verschwand, wurde nicht mehr gesehen.

Bei einem Lied gab es die große Ansage, wie unnötig Wahlen seien, egal was man mache, es ändere sich ja eh nix. Ich kann mir so etwas nicht mehr anhören. Wenn ein Brite so etwas erzählt, muss er schon komplett die letzten Jahre verschlafen haben. Er kann sich auch gerne mit einem US-Amerikaner unterhalten, was er davon hält. Ich kann ja verstehen, wenn man sagt, dass man keine der Alternativen, die zur Wahl stehen, für sonderlich überzeugend hält. Aber es macht halt schon einen Unterschied, [... wenn ich jetzt einem Leser erklären müsste, was der Unterschied zwischen einer SPD und einer AFD-Regierung wäre, lasse ich es lieber bleiben....]

Nach einiger Zeit kamen die Undertones, noch fast in Originalbesetzung, nur Feargal Sharkey wurde durch einen Jungspund ersetzt (Paul McLoone, der erst 51 Jahre alt ist). Die Bandmitglieder sahen so aus wie früher die Leute am Stammtisch meines Großvaters. Hagelbuachn hat man das früher genannt. Die  hatten früher Haarwasser oder Brillantine in den Haaren, dick nach hinten gekämmt, so starker Dialekt, das ich nur wenig verstanden habe. So war es praktisch beim Undertones-Konzert auch.

Ich war mir ja nicht sicher, ob der neue Sänger das Feargal'sche Geknödel ersetzen könnte. Nach dem ersten Lied waren alle Bedenken verschwunden, ein perfekter Ersatz. Paul McLoone gockelte auf der Bühne auch ausgiebig herum, zum Entzücken von Frau Ackerbau.

Die alten Herren spielten die erste LP, ein paar Stücke der zweiten und ein paar neuere. Darunter auch "It's going to happen", das auf der dritten LP war, die bei uns niemand hatte, weil es nicht Punk genug war, und das ich mindestens 25 Jahre nicht mehr gehört hatte. Neben mir stand ein jüngerer Mann, der immer "Mars bars" brüllte, weil er das Lied gerne gehört hätte. Ich brüllte dann auch mit, weil "Mars bars" eines von M.s Lieblingsliedern war (manches Telefonat mit ihm endete damit, dass er mir dringend empfohl "Mars bars" zu hören). Sie spielten es trotzdem nicht. 
Frau Ackerbau und ich standen in den ersten paar Reihen, aufgrund des erhöhten Alters des Publikums ein wenig riskanter Platz. Am Schluss gab es noch schönen Alt-Personen-Pogo, nettes Rumgehopse. Die alten Herren, die Musik schafften es, alles aus dem Kopf zu vertreiben, sich wieder so zu fühlen, wie man sich gefühlt hatte, als man diese Musik zum ersten Mal hörte, Jahrzehnte vorher. Energie und Glück, wie man sie manchmal auf Konzerten erfahren kann.

Das Konzert endete mit zwei Zugaben, nach dem zweiten Teenage Kicks war es vorbei.

Frau Ackerbau träumte dann in der Nacht davon, dass wir in einer Zwischenwelt zusammen mit M. das Konzert gesehen hätten. Ich wünschte, ich hätte diesen Traum gehabt. 

6 Kommentare:

  1. Dass Wahlen keinen Unterschied machen, kann ich auch nicht mehr hören wie überhaupt so vielen Blödsinn nicht,der kursiert und von dem ich momentan das Gefühl habe, er vermehrt sich rasant. :-( Und das im Bekanntenkreis, wo man bisher dachte, hey, die Leute sind okay. Und die erreicht man auch nicht mit Veranstaltungen wie #unteilbar (die ich trotzdem wichtig finde, und sei es als Ermutigung, nicht aufzugeben...)

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    1. Ich habe ja das Gefühl, dass es besser wird. Aber vielleicht klären sich auch nur die Fronten.

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  2. schön von Dir zu hören ! Dein Zwischenwelt-Traum wird bestimmt auch noch erscheinen. Tröstlich ! LG Gitta

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  3. Dann wurde mein hartnäckiges, immer wieder reinschauen, jetzt doch belohnt!! Schön wieder von Dir zu lesen!!! Hat mir irgendwie gefehlt!! Gruß Tina

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    1. Danke für die Hartnäckigkeit. Es wird wieder etwas zu lesen geben, in welcher Taktung weiß ich aber noch nicht.

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