Die Nightingales waren in Berlin. Die erste Nightingales-LP hatte ich Anfang der 80er gekauft, weil mir irgendjemand auf ein Mixtape ein Rockabilly-Lied aufgenommen hatte, das angeblich von einer Band names Nightingales stammte. Das war wohl eine andere Band, aber die merkwürdige Platte "Pigs on Purpose" hat mich lange begleitet. Die Band hat sich Anfang des Jahrtausends neu formiert, das ging natürlich alles an mir vorbei. Letztes Jahr hat mir Eddie Argos die Band ans Herz gelegt und tatsächlich ist die "No love lost"-CD eine meiner neueren Lieblingsplatten geworden. Ein unglaublicher, ungeordneter Ideenreichtum, rhythmisch, melodisch, gespielt von einer Band, die perfekten Britpop spielen könnte, aber meistens nur für ein kurze Zeit im Lied Lust darauf hat. Die Band geht verschwenderisch mit ihren Ideen um, was die Nightingales in einem Lied unterbringen, würde anderswo für eine ganze CD reichen.
Grund genug trotz stressiger Arbeit um 19 Uhr begleitet von meiner Schwägerin B. in den Schokoladen zu gehen. Als wir dort ankommen, stellen wir fest, dass der Schokoladen quasi der Zwilling des Abseits in Freising ist und Augustiner gibt es auch. Der Eintritt kostet 7 EUR. Auch die Musik, die vor dem Konzert läuft, hört sich eher nach Punkschuppen der späten 80er an.
Das Konzert wird begonnen von Kettenkasten, einer Noiseband. Bis zum Exzess verzerrter Bass, Schlagzeug und gurgelnder Sänger. Schlagzeuger und Basser sind wirklich beeindruckend, der Schlagzeuger sieht allerdings aus wie ein Nachbar von mir und B. meint, dass der Bassist wie ein Architekt aussehe. Ich weiß nicht, wie Architekten aussehen, aber irgendwie ist es plausibel. Wahrscheinlich der Fluch der Jazzcore-Bands der mittelalten Männer. Kettenkasten gefallen mir aber gut, die Lieder werden nicht langweilig. Mir hätte es ja noch besser gefallen, wenn Kettenkasten aus Kempten kämen und dann den Namen entsprechend aussprächen, aber man kann nicht alles haben.
Dann kommen die Nightingales, die - mit Ausnahme der Schlagzeugerin - alle im Anzug auftreten. (Bassist und Gitarrist sehen dazu noch aus wie frühere Kollegen von mir, der Gitarrist wie der einzige Kollege, dem ich mal einen Locher an den Kopf geschmissen habe). Da hätte ich mich nicht extra fürs Konzert umziehen müssen. Optisch sehen sie aus wie die Raiffeisenbank Zolling auf Betriebsausflug, aber das betont nur, wie egal der Band die normalen Rituale des Rockbusiness sind.
Die Band spielt praktisch durch, Lied an Lied, ohne Pause für sich oder das Publikum. Im Wesentlichen spielen sie die neue CD "Perish the thought", ich erkenne noch ein paar Lieder der "No love lost" und auch zwei von der ersten LP.
Nach dem Konzert sind B. und ich glücklich, ich kaufe mir noch ein T-Shirt, auf dem vier Nachtigallen Instrumente bespielen.
Dienstag, 30. Oktober 2018
Samstag, 13. Oktober 2018
Rentner Kicks
Irgendjemand in unserem JZ hatte die erste Undertones-LP, die immer wieder lief, ich kannte die Lieder, ohne zu wissen, wie sie hießen.
Dieses Jahr kamen die Undertones mal wieder nach Berlin, ich hatte sie noch nie live gesehen, dachte, vierzig Jahre Teenage Kicks wäre ja mal eine gute Gelegenheit das nachzuholen. Für das Konzert im Mai hatte ich zwei Karten gekauft, für M. und mich. Das Konzert wurde in den Oktober verlegt, mich begleitete Frau Ackerbau anstelle von M. Ihre Begegnung mit den Undertones kam um einiges später als meine, punkrock-technisch war in den Achtzigern das Allgäu halt besser als Thüringen. Vor knapp zwanzig Jahren hatten wir in einem Pub in Edinburgh eine Band gesehen, die sich durch die Rockmusik der Siebziger durchcoverte, Frau Ackerbau war erstaunt, als M. und ich bei Teenage Kicks lauthals mitsangen. Nun kannte sie das Lied auch.
Das Konzert war im Huxleys, ich würde mal schätzen, dass wir beide den Altersschnitt eher senkten. Die Vorband kam aus Manchester, Shinshon, eine merkwürdige Mischung aus 80er Darkwave mit Rap-Anteilen. Nicht mein Ding, aber die Schlagzeugerin war beeindruckend, in ihre Rhythmen versunken, die Zählzeiten durch ein Wiegen ihres Kopfes nach links und rechts mitzählend und immer wieder unvermutet paßgenaue merkwürdige Wirbel beisteuernd. Der Bassist hingegen war passend für ein neu zu erfindendes Spiel: Doofe Frisur oder Mütze? Es war wohl eine Mütze.
Der Sänger versuchte das Publikum zum Mitmachen zu animieren, mit wenig Erfolg, vor allem, weil er eher schwer zu verstehen war. Nur zum Schluß gab er vor, man solle, nachdem er auf drei gezählt habe, "Shut the fuck up" rufen. Das taten wir, die Band packte ein, verschwand, wurde nicht mehr gesehen.
Bei einem Lied gab es die große Ansage, wie unnötig Wahlen seien, egal was man mache, es ändere sich ja eh nix. Ich kann mir so etwas nicht mehr anhören. Wenn ein Brite so etwas erzählt, muss er schon komplett die letzten Jahre verschlafen haben. Er kann sich auch gerne mit einem US-Amerikaner unterhalten, was er davon hält. Ich kann ja verstehen, wenn man sagt, dass man keine der Alternativen, die zur Wahl stehen, für sonderlich überzeugend hält. Aber es macht halt schon einen Unterschied, [... wenn ich jetzt einem Leser erklären müsste, was der Unterschied zwischen einer SPD und einer AFD-Regierung wäre, lasse ich es lieber bleiben....]
Nach einiger Zeit kamen die Undertones, noch fast in Originalbesetzung, nur Feargal Sharkey wurde durch einen Jungspund ersetzt (Paul McLoone, der erst 51 Jahre alt ist). Die Bandmitglieder sahen so aus wie früher die Leute am Stammtisch meines Großvaters. Hagelbuachn hat man das früher genannt. Die hatten früher Haarwasser oder Brillantine in den Haaren, dick nach hinten gekämmt, so starker Dialekt, das ich nur wenig verstanden habe. So war es praktisch beim Undertones-Konzert auch.
Ich war mir ja nicht sicher, ob der neue Sänger das Feargal'sche Geknödel ersetzen könnte. Nach dem ersten Lied waren alle Bedenken verschwunden, ein perfekter Ersatz. Paul McLoone gockelte auf der Bühne auch ausgiebig herum, zum Entzücken von Frau Ackerbau.
Die alten Herren spielten die erste LP, ein paar Stücke der zweiten und ein paar neuere. Darunter auch "It's going to happen", das auf der dritten LP war, die bei uns niemand hatte, weil es nicht Punk genug war, und das ich mindestens 25 Jahre nicht mehr gehört hatte. Neben mir stand ein jüngerer Mann, der immer "Mars bars" brüllte, weil er das Lied gerne gehört hätte. Ich brüllte dann auch mit, weil "Mars bars" eines von M.s Lieblingsliedern war (manches Telefonat mit ihm endete damit, dass er mir dringend empfohl "Mars bars" zu hören). Sie spielten es trotzdem nicht.
Frau Ackerbau und ich standen in den ersten paar Reihen, aufgrund des erhöhten Alters des Publikums ein wenig riskanter Platz. Am Schluss gab es noch schönen Alt-Personen-Pogo, nettes Rumgehopse. Die alten Herren, die Musik schafften es, alles aus dem Kopf zu vertreiben, sich wieder so zu fühlen, wie man sich gefühlt hatte, als man diese Musik zum ersten Mal hörte, Jahrzehnte vorher. Energie und Glück, wie man sie manchmal auf Konzerten erfahren kann.
Das Konzert endete mit zwei Zugaben, nach dem zweiten Teenage Kicks war es vorbei.
Frau Ackerbau träumte dann in der Nacht davon, dass wir in einer Zwischenwelt zusammen mit M. das Konzert gesehen hätten. Ich wünschte, ich hätte diesen Traum gehabt.
Dieses Jahr kamen die Undertones mal wieder nach Berlin, ich hatte sie noch nie live gesehen, dachte, vierzig Jahre Teenage Kicks wäre ja mal eine gute Gelegenheit das nachzuholen. Für das Konzert im Mai hatte ich zwei Karten gekauft, für M. und mich. Das Konzert wurde in den Oktober verlegt, mich begleitete Frau Ackerbau anstelle von M. Ihre Begegnung mit den Undertones kam um einiges später als meine, punkrock-technisch war in den Achtzigern das Allgäu halt besser als Thüringen. Vor knapp zwanzig Jahren hatten wir in einem Pub in Edinburgh eine Band gesehen, die sich durch die Rockmusik der Siebziger durchcoverte, Frau Ackerbau war erstaunt, als M. und ich bei Teenage Kicks lauthals mitsangen. Nun kannte sie das Lied auch.
Das Konzert war im Huxleys, ich würde mal schätzen, dass wir beide den Altersschnitt eher senkten. Die Vorband kam aus Manchester, Shinshon, eine merkwürdige Mischung aus 80er Darkwave mit Rap-Anteilen. Nicht mein Ding, aber die Schlagzeugerin war beeindruckend, in ihre Rhythmen versunken, die Zählzeiten durch ein Wiegen ihres Kopfes nach links und rechts mitzählend und immer wieder unvermutet paßgenaue merkwürdige Wirbel beisteuernd. Der Bassist hingegen war passend für ein neu zu erfindendes Spiel: Doofe Frisur oder Mütze? Es war wohl eine Mütze.
Der Sänger versuchte das Publikum zum Mitmachen zu animieren, mit wenig Erfolg, vor allem, weil er eher schwer zu verstehen war. Nur zum Schluß gab er vor, man solle, nachdem er auf drei gezählt habe, "Shut the fuck up" rufen. Das taten wir, die Band packte ein, verschwand, wurde nicht mehr gesehen.
Bei einem Lied gab es die große Ansage, wie unnötig Wahlen seien, egal was man mache, es ändere sich ja eh nix. Ich kann mir so etwas nicht mehr anhören. Wenn ein Brite so etwas erzählt, muss er schon komplett die letzten Jahre verschlafen haben. Er kann sich auch gerne mit einem US-Amerikaner unterhalten, was er davon hält. Ich kann ja verstehen, wenn man sagt, dass man keine der Alternativen, die zur Wahl stehen, für sonderlich überzeugend hält. Aber es macht halt schon einen Unterschied, [... wenn ich jetzt einem Leser erklären müsste, was der Unterschied zwischen einer SPD und einer AFD-Regierung wäre, lasse ich es lieber bleiben....]
Nach einiger Zeit kamen die Undertones, noch fast in Originalbesetzung, nur Feargal Sharkey wurde durch einen Jungspund ersetzt (Paul McLoone, der erst 51 Jahre alt ist). Die Bandmitglieder sahen so aus wie früher die Leute am Stammtisch meines Großvaters. Hagelbuachn hat man das früher genannt. Die hatten früher Haarwasser oder Brillantine in den Haaren, dick nach hinten gekämmt, so starker Dialekt, das ich nur wenig verstanden habe. So war es praktisch beim Undertones-Konzert auch.
Ich war mir ja nicht sicher, ob der neue Sänger das Feargal'sche Geknödel ersetzen könnte. Nach dem ersten Lied waren alle Bedenken verschwunden, ein perfekter Ersatz. Paul McLoone gockelte auf der Bühne auch ausgiebig herum, zum Entzücken von Frau Ackerbau.
Die alten Herren spielten die erste LP, ein paar Stücke der zweiten und ein paar neuere. Darunter auch "It's going to happen", das auf der dritten LP war, die bei uns niemand hatte, weil es nicht Punk genug war, und das ich mindestens 25 Jahre nicht mehr gehört hatte. Neben mir stand ein jüngerer Mann, der immer "Mars bars" brüllte, weil er das Lied gerne gehört hätte. Ich brüllte dann auch mit, weil "Mars bars" eines von M.s Lieblingsliedern war (manches Telefonat mit ihm endete damit, dass er mir dringend empfohl "Mars bars" zu hören). Sie spielten es trotzdem nicht.
Frau Ackerbau und ich standen in den ersten paar Reihen, aufgrund des erhöhten Alters des Publikums ein wenig riskanter Platz. Am Schluss gab es noch schönen Alt-Personen-Pogo, nettes Rumgehopse. Die alten Herren, die Musik schafften es, alles aus dem Kopf zu vertreiben, sich wieder so zu fühlen, wie man sich gefühlt hatte, als man diese Musik zum ersten Mal hörte, Jahrzehnte vorher. Energie und Glück, wie man sie manchmal auf Konzerten erfahren kann.
Das Konzert endete mit zwei Zugaben, nach dem zweiten Teenage Kicks war es vorbei.
Frau Ackerbau träumte dann in der Nacht davon, dass wir in einer Zwischenwelt zusammen mit M. das Konzert gesehen hätten. Ich wünschte, ich hätte diesen Traum gehabt.
Mittwoch, 3. Oktober 2018
Bir allah
(Bir Allah, 1947) Wenn der Hodscha zu der Moschee geht, spät, wenn die Nacht kommt und er das Bir Allah sagt, blutet meine Brust. Das war der Moment, in dem ich dich getroffen habe, weit weg, in dem fremden Land. Und wenn ich das Bir Allah höre, denke ich an dich. In den Tiefen Anatoliens, in der dunklen Wüste, wenn ich das Bir Allah höre, rast mein Herz.
(Schön und rätselhaft. Und ich stelle fest, dass ich mich mehr mit Stella Haskil beschäftigen sollte.)