"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Sonntag, 27. Oktober 2019

Vor 30 Jahren

Vor dreißig Jahren war ich im Zivildienst, als Hausmeister in einem Kurkrankenhaus. Ich war einer der Glücklichen, die zwanzig Monate Zivildienst machen durften. Glücklich deswegen, weil 1990 die Zeit auf zwei Jahre hochgesetzt werden sollte. Im Grundgesetz stand zwar, dass der Ersatzdienst nicht länger als der Wehrdienst sein durfte, trotzdem dauerte mein Dienst fünf Monate länger als der meiner Schulkollegen, die beim Bund waren (ich war übrigens der einzige aus dem Gymnasialjahrgang, der verweigert hatte; im Allgäu gingen auch 1989 noch die Uhren anders). Jeder unseres Jahrgangs wurde unmittelbar nach dem Abitur gezogen; wir waren immerhin noch im Kalten Krieg.

Während meine früheren Freunde bereits mit dem Studieren beginnen konnten, war ich also noch mit Grasrechen beschäftigt. Mir graute vor dem Winter und den Holzfällarbeiten, die dann auf mich zukamen. Beim Grasrechen kam mir irgendwann der Gedanke, dass man ein Konzert der ganzen lokalen Bands organisieren könnte. Mit meinem Bruder hatte ich ein kleines Cassettenlabel, auf dem wir unseren eigenen Kram veröffentlichten, von unserem 1988er Tape hatten wir immerhin knapp 200 verkauft. Das Label hieß "Die Henne Records", nach dem damals bei uns gebräuchlichen Ausruf der Überraschung, "ach, fick doch die Henne". Wir waren halt vom Land (im hohen Norden gab es ein ungleich einflussreicheres Tapelabel, das Pissende Kuh hieß).

Meine Idee war, dass man beim Konzert mit dem Eintritt ein Mixtape mit den auftretenden Bands verteilen könnte, um die Musik der einzelnen Combos etwas bekannter zu machen. Mein Bruder und ich kümmerten uns um die Tapes (es gab einen Punk in Ludwigshafen, der connections zu BASF hatte und Tapes in jeder Länge besorgen konnte). Ich weiß nicht mehr, ob wir die Cassetten alle selber überspielten oder nur ein Mastertape an den Cassettenhändler schickten; irgendwie habe ich aber noch die Erinnerung an das Doppelcassettendeck bei uns im Wohnzimmer, das im Dauerbetrieb war. Unsere Cassetten hatten immer Klappcover, damit man die Texte unterbringen konnte; das war damals ohne Copyshops in der Nähe gar nicht so einfach. Aber man hat halt alles mit Prit-Klebestift gemacht. Ich habe für die einzelnen Bands Linernotes geschrieben, die auf geteiltes Echo stießen.

Ein Mitstreiter von damals hat nun die Cassette auf Youtube hochgeladen und man kann sich anhören, was 1989 im Unterallgäu so angesagt war (ich mag die meisten Lieder immer noch ganz gerne).  Ich selbst habe die Cassette, glaube ich, gar nicht mehr, meine Erinnerungen an das Konzert, das genau am 28.10.1989 stattfand, sind auch durchaus durchwachsen. Wir haben danach hauptsächlich in der Freisinger Gegend gespielt, 1994 noch einmal im Unterallgäu, dann aber schon alle weit entfernt und kicked out of the scene. (Über meine eigene Rolle möchte ich hier nicht sprechen, nichts worauf ich sonderlich stolz sein könnte).



Was mich komplett fertig macht: Das Konzert fand statt, als der Mauerfall kurz bevor stand. Egon Krenz hatte schon Erich Honecker abgelöst, immer mehr Leute kamen vom Osten in den Westen. Ich habe mich im Nachhinein oft gefragt, wie ich das eigentlich wahrgenommen habe. Seit ich wieder weiß, dass dieses Konzert am 28.10.1989 stattgefunden hat, weiß ich: gar nicht. Natürlich habe ich die Nachrichten gehört, natürlich wusste ich, was passiert, aber das war für mich so weit entfernt wie jetzt die Nachrichten von den Protesten in Chile oder im Libanon. Ich hatte sicher keine Sympathien für die DDR, man kannte ein paar der frühen Übersiedler, wusste auch, wie dort mit Punks umgegangen wurde. Aber diejenigen, die vor 1989 von Wiedervereinigung redeten, waren Leute wie Strauß oder Dregger oder Reagan. Mit denen hatte man nichts gemeinsam.

Mich quält im Nachhinein diese komplette Blindheit und Ignoranz, die ich damals hatte. Zum Teil lag es sicher daran, dass ich alles andere als weltgewandt war. Ich hatte wenig Ahnung vom Osten, aber ich war zu dem Zeitpunkt auch noch fast nie in Baden-Württemberg oder Hessen gewesen (geschweige denn von irgendwelchen Besuchen in Norddeutschland). Was immer in der DDR passierte, ich hatte andere Probleme. Wir saßen damals im Voralpenland und dachten, das habe mit uns alles nichts zu tun.

Inzwischen bin ich älter und in dieser Hinsicht schlauer. Ich werde aber nie begreifen, wie ich damals (und leider auch noch ein paar Jahre länger) das alles vollkommen ignorieren konnte. Ein Problem ist sicherlich, dass auch dreißig Jahre später hüben wie drüben Desinteresse herrscht, was auf der jeweils anderen Seite passiert ist. Ich wünschte mir, dass unsere Kinder irgendwann über der Ost-West-Einteilung stehen, aber dafür werden wohl noch ein paar Jahrzehnte ins Land gehen müssen.

(Dieser Eintrag ist teilweise angeregt durch diesen Blogpost. Dort gibt es keinen Punk, aber Ost-West-Problematik.)

Donnerstag, 10. Oktober 2019

Töte den alten grauen Esel

Andere kriegen von Youtube nur Verschwörungstheorie-Müll vorgeschlagen, mir werden immer wieder musikalische Perlen empfohlen, die ich sonst nie gefunden hätte.

Von Belton Sutherland habe ich vorher noch nie gehört, dieser stoische Blues gehört aber zu den besten, die ich kenne. Alleine den Fingern zuzusehen ist ein Vergnügen. Und wie es Sutherland schafft, über vier Minuten mit der Kippe im Mund zu singen, ist auch fantastisch. Die Gitarre ist anscheinend tiefer gestimmt, auch das gibt dem Lied einen besonderen Klang.

Über sein Leben findet man nicht viel, zum Zeitpunkt der Aufnahmen war er 67 Jahre alt. Er war wohl bekannt und erfolgreich, es gibt aber nur wenige Lieder von ihm, die aufgenommen wurden. Er ist 1983 gestorben und hat noch nicht einmal einen Grabstein.

Mittwoch, 2. Oktober 2019

Das Lied für die glückliche Ehe

Das Superhelden-Video darf nicht täuschen, Eddie Argos wird häuslich.  Man kommt von einem unangenehmen Arbeitstag nach Hause und spricht bei einem Glas Wein über seinen Tag. Eddie Argos will gar nicht wissen, wer recht und wer unrecht hat, weil schon feststeht: Deine Feinde sind auch meine Feinde. Ein Hoch auf die Loyalität, was für fragwürdige Folgen sie auch haben mag (das Video gibt ein schönes Beispiel). Trotzdem, gut zu wissen, dass es jemand gibt, für den meine Feinde auch seine Feinde sind.