"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Donnerstag, 14. Mai 2020

Die militante Cheerleaderin

Die beklemmende Wirkung der Musik von Black Flag hing für mich immer auch mit der Cover-Art von Raymond Pettibon zusammen. Pettibon, der Bruder von Gitarristen Greg Ginn, machte kopierte Heftchen mit Zeichnungen, die zunächst comic-artig erschienen, aber letztlich immer bedrohlich wirkten. Die 1980er Mini-LP "Jealous Again" ist dafür ein gutes Beispiel. Fünf Lieder, die gerade mal sechseinhalb Minuten dauern. Der Titelsong über eine eifersüchtige Freundin, danach wird "Revenge", Rache angekündigt. Das letzte Lied heißt einfach "Da kannst du drauf wetten, dass wir persönlich etwas gegen dich haben", "You bet we've got something personal against you", ein Lied des alten Sängers Keith Morris, der von der Band herausgeschmissen wurde, versehen mit einem neuen Text des Bass-Spielers Chuck Dukowski, in dem klargestellt wird, dass alle Morris für einen Arsch halten. (Chuck und Keith vertragen sich wieder, nur Greg Ginn mag inzwischen niemand mehr.)

Die Beklemmung der Musik wird durch das Cover noch verstärkt. Wir sehen zwei Frauen in einer Art Cheerleader-Uniform, mit Waffen, Pistolen und Schlagstöcken versehen, offensichtlich gerade in mitten einer Attacke. Einer ist der Cowboyhut schon heruntergefallen, hinter ihnen eine Fahne, auf der "Miltown High Cow" steht, die Uniformen haben jeweils ein "M" auf der Brust. Die Rückseite zeigt eine Szene, die wohl danach spielt, eine der beiden Frauen steht, nunmehr wieder ruhig, mit der Pistole in der Hand, vor einem Mann, der offensichtlich einen Kopfschuss bekommen hat (der eine College-Jacke mit einem "M" trägt). Die Frau sagt: "Bevor du stirbst, sag mir, dass du mich immer lieben wirst." Man muss jetzt nicht besonders tiefgründig sein, um sowohl bei der Musik als auch bei der Artwork ein zutiefst misogynes Element festzustellen (obwohl ich es immer wieder bemerkenswert finde, wie sich da viele bei der Punk-Geschichtsschreibung selbst in die Tasche lügen), das sei aber hier nur markiert, mir geht es um etwas ganz anderes.

Die Platte habe ich nun auch schon knappe vierzig Jahre, die zwei Bilder erzählen ja auch eine Geschichte, die ich mir aber nie so zusammenreimen konnte. Die militanten Cheerleaderinnen blieben für mich vollkommen unerklärlich. Gehörten sie zu einer Sekte? Was versetzte sie so in Wut? Äußerlich blieben sie ja ein Abbild des American oder vielleicht auch Californian Dreams. Vielleicht ein Grund, warum die Platte immer so gut funktioniert hat: Musik und Artwork zeigen ein Kalifornien, das so ganz weit entfernt von allen Vorstellungen ist, die man ansonsten von ihm hat.

Das Rätsel der militanten Cheerleaderinnen begleitete mich also ein paar Jahrzehnte, vor ein paar Tagen fand es dann aber eine - für mich überraschende - Auflösung. Auf Twitter sah ich verschiedene Bilder von Anti-Coronamaßnahmen-Demos in den USA. Während in den meisten Staaten irgendwelchen Säcke mit automatischen Waffen demonstrierten, sahen die Fotos von den Demos in Kalifornien anders aus. Man sah zwei Frauen, vor einer Polizeisperre, mit verzerrten Gesichtern. Als ich das sah, wusste ich, dass ich die Frauen schon einmal gesehen hatte. Es dauerte nur ein paar Stunden, bis mir die richtige Eingebung kam und ich zum Plattenregal ging.


Pettibon hat 1980 schon die Demonstrantinnen von 2020 gezeichnet. Die Frau muss auch eine der Organisatorinnen der Impfgegner-Bewegung sein. Offensichtlich ist die militante Cheerleaderin für den Rest der Welt ein Rätsel, in Kalifornien aber Realität.
 

Montag, 4. Mai 2020

Nicht das Ende der Welt

Ende des letzten Jahres bin ich eher durch Zufall bei Twitter über Josienne Clarke gestolpert, die seitdem zu den am häufigsten gehörten Musikerinnen im Haushalt gehört. Josienne Clarke hat nun ein Album von Mr. Alec Bowman, "I used to be sad and then I forget" produziert, das es seit letztem Freitag gibt. Ich habe es mir seitdem schon über fünf mal angehört, man könnte also sagen, dass es mir gut gefällt.

Vor dreißig Jahren saßen wir in der WG-Küche, tranken Rotwein (Le filou rouge) und hörten Leonard Cohen und fühlten uns dann genial oder traurig oder einfach nur betrunken. Ich habe jetzt kein Interesse, meine Zwanziger wieder nachzustellen und auch kein Interesse an Musikern, die die Sechziger nachstellen. Mr Alec Bowman erinnert mich allerdings ein bisschen an Leonard Cohen, er macht auch ruhige Musik, mit bitter-traurigen Texten. Aber da ist nichts nostalgisch und da ist auch nichts rückwärtsgewandt, das ist Musik, die man 2020 gut anhören kann und zu der man, so man denn will, auch Rotwein trinken kann (inzwischen kann ich mir auch etwas besseres als Le filou rouge leisten). Was mich an der Musik fasziniert, ist, dass sich hinter den zunächst so einfachen Liedern so viel mehr versteckt, wunderbare Arrangement-Ideen, kleine Soundschnipsel. Man kann die Musik gut hören, wenn man früher Leonard Cohen mochte, man kann sie auch gut hören, wenn man Nikki Sudden mochte, wahrscheinlich auch, wenn man Nick Cave mochte (hier bin ich nicht qualifiziert, eine Meinung zu haben).

Eine Liveversion des schönen Lieds Long Goodbyes (das auf der LP noch schöner arrangiert ist), kann man hier sehen: Ein Quarantänevideo bei den Müllcontainern. Josienne Clarke sitzt hinter Bowman, dreht während der ersten Strophe versonnen an ihrem Ring am Finger und singt dann leise beim Refrain mit. Diese Unmittelbarkeit gefällt mir natürlich, die Platte selbst ist dann noch um einiges kunstfertiger, ohne dass sie einem die Virtuosität ins Gesicht klatscht.
Wahrscheinlich gefällt mir an der Musik der beiden (die oberflächlich ähnlich, aber doch sehr verschieden ist), dass sie sich ganz offensichtlich nicht mehr darum kümmern, ob das, was sie machen cool ist oder was erwartet wird, sie machen es einfach. Das hat sicher auch damit zu tun, dass beide vorher in anderen Konstellationen Musik gemacht haben, die dies nicht ermöglicht haben.

Das letzte Lied der LP ist Never the end of the world. Der letzte Vers, die letzten Zeilen des Albums, haben es in sich. Hört es euch an.

Sonntag, 3. Mai 2020

Der Tag, an dem sich die Beatles aufgelöst haben

Wenn ich es richtig verstehe, streitet sich die Beatologie über das genaue Datum, meist wird aber der 10.4.1970 genannt, der Tag, an dem McCartney die Presseerklärung zu seinem ersten Soloalbum verschickte. Irgendwie bin ich immer ein bisschen darauf stolz, dass ich zu einem Zeitpunkt auf die Welt kam, als es die Beatles noch gab, auch wenn das sicher einer der am wenigsten berechtigten Gründe stolz zu sein ist. Dieses Jahr war also der 50. Jahrestag des Breakups der Beatles und Life is a minestrone, von denen ich nicht einmal richtig weiß, ob es sich um eine Band oder einfach um musikalische Netzwerker handelt, nahmen das als Anlass für eine schöne Aktion. Normalerweise organisieren Life is a minestrone wohl in Paris Wohnzimmerkonzerte, da das aber zur Zeit nicht möglich ist, begannen sie auf ihrer Facebookseite am 10.4. eine Serie von Beatles-Coverversionen von befreundeten Musikern. Insgesamt kamen 40 kleine Musikvideos zusammen, in Wohnzimmern und Gärten aufgenommen.

Facebook ist ja eine furchtbare Plattform, deswegen ist es gut, dass sich die Videos auch auf Youtube ansehen lassen, hier in einer Gesamt-Playlist:




Ich habe mir das alles angesehen, mit wachsender Rührung. Zum einen, weil man den Leuten in die Wohnung sehen konnte, jeder auf sich geworfen, aber verbunden durch einen Kanon an Liedern, der für jede Gemütslage einen Ausdruck findet. (Meine eigene Beatles-Geschichte habe ich hier und hier einmal aufgeschrieben.) Die Isolation überwunden durch die Musik. Das griff (zumindest mir) ans Herz.

Meine vier Favoriten möchte ich hier noch einzeln aufführen (aber hört mal in alles rein, schaut in die Küchen und Wohnzimmer...)



(Das Original-Lied mag ich eigentlich gar nicht so gerne, aber hier hüpft mein Herz.)




(Auch ein eher obskures Lied, das ich in dieser Version aber absolut liebe.)



(Das kannte ich noch nicht einmal richtig, weil es von der ersten McCartney-Solo-LP ist. Wunderschön.)

Auf die ganze Aktion aufmerksam bin ich nur durch Robert Rotifer geworden, auf dessen Empfehlungen man sich immer verlassen kann und dessen eigenes musikalisches Schaffen mir die letzten Jahre viel erträglicher gemacht hat. Er war auch mit einem Lied vertreten.


In Verbundenheit mit allen, die mit ihren Gitarren in den Zimmern sitzen, habe ich dann auch meine herausgeholt und mich unter den blühenden Kirschbaum gesetzt. Vor dreißig Jahren wäre es akustisch noch ein größeres Vergnügen gewesen, aber es ist halt wie es ist.



 

Freitag, 1. Mai 2020

Aus fernen Zeiten

Ich habe hier noch etwas aus dem Januar nachzutragen. Am 11.1. gab es im 8mm im Prenzlauer Berg ein Club-Konzert von Art Brut.

Eddie Argos ist zwar inzwischen nach Prenzlauer Berg weitergezogen und somit kein Nachbar mehr, trotzdem war der Besuch natürlich für mich Pflicht. Das 8mm ist relativ überschaubar, deswegen war ich auch früh genug da und durfte vor dem Laden anstehen. Das Publikum war international, die meisten hatten Art Brut wohl in ihren Hochzeiten 2005 schon gesehen und gehört und kamen, um noch einmal an ihre Jugend erinnert zu werden. Ich war also einer der deutlich Älteren im Publikum, für mich sind Art  Brut auch weniger nostalgisch (immerhin haben sie aber den Soundtrack für meine letzte Kündigung geliefert), sondern sie waren 2009 eine Band, die mich wieder dazu gebracht hat, mich für kontemporäre Musik zu interessieren. 

Wie ich ein bisschen zu spät gemerkt habe, hätte ich tatsächlich auf der Guest list gestanden . Das ist mir, glaube ich, erst einmal passiert. Im 8mm winkt mir ein Mensch mit Vollbart zu, ich ignoriere ihn höflich, weil ich davon ausgehe, dass er jemand neben mir meint (ich kenne in dem Laden, abgesehen von Eddie Argos, wirklich niemand).  

Art Brut kommen auf die Bühne und beginnen mit einem AC/DC-Riff. Merkwürdig. Diesmal ist Freddy, die Bassistin, wieder dabei, die wegen ihres Kindes ausgesetzt hatte. Das tut dem Sound gut. Die Band spielt viel von den frühen LPs, ich hätte auch gerne mehr von der neuen Platte gehört. Alle Knaller sind dabei, Modern Art, My little brother, Emily Kane und - was mich besonders freut - Bad Weekend, das ich in der letzten Zeit auch häufig gehört habe. Der Refrain, Popular Culture no longer applies to me, schwirrt mir ohnehin die ganze Zeit durch den Kopf. Die Bühne ist relativ niedrig, als Hintergrund werden merkwürdige Filme projeziert, ich erkenne Teile des Chien andalou. Weil es kein richtiges Backstage gibt, schlägt die Band vor, dass sie sich einfach auf die Bühne setzt, während alle Zugabe brüllen. Das geht auch und alle sind nach dem Konzert zufrieden. 


Ich unterhalte mich kurz mit Eddie Argos, da kommt wieder der Vollbart vorbei: Tatsächlich kenne ich ihn von der Arbeit, lang ist es her. 

Ich gehe nach Hause, ohne zu wissen, dass das mein letztes Konzert für lange Zeit sein wird.