Freitag, 18. April 2014

Frank Turner oder der Atheist und die Metaphysik

Vorab: Ich mag Frank Turner. Hat zwar etwas gedauert, weil ich normalerweise ein großes Misstrauen gegenüber "I won't grow up"-Barden habe (Warnung: Ausnahmsweise ist die Musik, über die ich hier schreibe, praktisch Mainstream. Der Mann hat noch eine große Zukunft vor sich). Aber Frank Turner ist tiefer als es der erste Eindruck erscheinen lässt, und er hat Lieder geschrieben, die ihresgleichen suchen. Allen voran "Long live the queen", ein Lied über Krankheit und Tod einer guten Freundin, eines der traurigsten und gleichzeitig trostreichsten Lieder, das ich kenne.

Ein Blick auf den Tod aus der Perspektive eines Atheisten, eines Menschen, der sich nichts von einem Jenseits erwartet. Auch wenn das nicht meine Perspektive ist, ein trostreiches und sinnstiftendes Lied, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Mich hat diese abgeklärte, trotzdem herzliche Art, sich ohne jede Metaphysik der Tatsache zu nähern, dass man einmal nicht mehr ist, sehr beeindruckt (und vielleicht bin ich auch ein bisschen neidisch, weil ja gesagt wird, Glauben bräuchten nur diejenigen, die zu feige seien, dieser Tatsache ins Auge zu sehen).
Auf der CD "England keep my bones" wird das Thema weiter ausgeführt. In Glory Halleluja heißt es "there never was no God", und Turner führt aus, ja, jeder hat Angst vor dem Sterben, aber es helfe eben auch nix, sich einzureden, da käme noch was. Gut. Wer nun in religiösen Dingen Recht hat, werden wir in diesem Leben nicht herausfinden können, da müssen wir uns überraschen lassen. Was mir aber auf der CD auffällt, ist eine gewisse Todesfixiertheit, ein Versuch der Sinnstiftung, der so weit von der ruhigen Gelassenheit von "Long live the queen" (wer's noch nicht kennt, sollte es spätestens jetzt mit offenen Ohren anhören) entfernt ist, und der schon fast verzweifelt anmutet. Der erste Titel heißt "Eulogy" (Grabrede, Nachruf; das Youtube-Link führt zu einer deutschen Version, auf der sich Turner irgendwie wie Hermann van Veen anhört, süß) und endet auf "At least I fucking tried - ich hab's zumindest versucht". Ich weiß nicht, warum sich Turner, der gerade etwas über 30 ist (da ist also noch einiges an Alterswerk zu erwarten, auch wenn man den Eindruck haben könnte, er schriebe sein Alterswerk schon jetzt), Gedanken über seine Grabrede macht, aber der Gedanke, es komme darauf an, es immer wieder zu versuchen, die Dinge richtig zu machen, ist sicherlich nicht verkehrt. Befremdlicher wird es aus meiner Sicht by "I still believe". Was rettet einem die Seele, wenn man keinen Gott sieht? Und was sagt uns Frank: er glaube an Rock'n'Roll, an Jerry Lee Lewis und was weiß ich noch. C'mon Frank! Great balls of fire! Ich meine, es soll jedem unbenommen bleiben, an was er glaubt, aber eine Rock'n'Roll-Religion scheint mir da doch eher eine bescheuerte Variante, die locker mit dem Katholizismus mithalten könnte. Turner meint dann noch, dass Rock'n'Roll unser aller Seelen retten würde. Natürlich (hoffentlich*) ist das alles nicht ernst gemeint, aber ich habe es nie verstanden, wenn Leute, die in der Metaphysik  (vielleicht zu Recht) unreife Weltflucht sehen, dann auf einmal noch viel kindischere Ersatzglaubensinhalte produzieren. Rock'n'Roll ist eine feine Sache, aber mit gleichem Recht könnte man "I still believe in Polka" singen. Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass demonstrative Areligiosität gerne mit merkwürdigem Aberglauben Hand in Hand geht (das ist jetzt kein Befund zu Herrn Turner).

Nun zieht sich das Thema Tod wie ein roter Faden durch die CD. In "Rivers" wünscht sich Frank Turner in the English sea beerdigt zu werden, so dass er gegen die Küste geworfen wird, bis nichts mehr von ihm bleibt. Dieser Topos der Heimatverbundenheit findet sich ja schon im Titel der CD (England keep my bones), er mutet ein bisschen merkwürdig  an (insbesondere auch im Lied The English curse, in dem a capella die Rache eines englischen Bauern am Sohn von William, dem Eroberer geschildert wird). Noch deutlicher wird es in "One foot before the other", wo Turner darum bittet, nach seinem Tod verbrannt zu werden und die Asche im Londoner Trinkwasserreservoir zu verstreuen, damit er in den sieben Millionen Londonern weiterlebt und er dadurch bleibt. Da scheint er ein bisschen seine Medizin aus "Glory halleluja" vergessen zu haben: es kommt nix, deal with it.

Aber trotzdem, oder eher gerade deswegen: Guter Mann, gute Musik, selten genug, dass einen jemand noch zum Nachdenken bringt.

*Nachtrag 24.6.2015: Es ist ernst gemeint. Habe gerade ein Interview mit ihm zu diesem Lied gelesen. Er mag keine Ironie (was ich grundsätzlich gar nicht schlecht finde).

4 Kommentare:

  1. Schöne Zusammenfassung des Turnerschen Schaffens. Mir ist der Zwiespalt zwischen Areligiösität und Messiassuche auch aufgefallen. Guter Mann, wenn auch inzwischen leider viel zu ... ähem ... Mainstream. Und "Long Live The Queen" läuft jährlich am Sterbetag meines Hundes. Klingt schräg, ist aber richtig so. :)

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    1. Danke, das beruhigt mich; mir fiel es nicht ganz leicht, meine Gedanken hierzu zu Papier zu bringen (und habe die Befürchtung, dass die FT-Freaks dem Beitrag nicht viel abgewinnen könnten). Habe mich gestern weit durch deinen Blog gelesen: Wir alle müssten viel mehr EA 80 hören. Gruß aus Berlin, Andreas

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    2. Freue mich über Dein Interesse. In Zeiten von Facebook und Twitter sind mir die Leser über die Jahre ein bißchen verloren gegangen; umso glücklicher bin ich über jeden neuen. Ich bin übrigens über Frank Turner auf The Smith Street Band gestoßen - da solltest Du unbedingt mal reinhören.

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    3. Danke für den Tipp, kommt gut!

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