Samstag, 24. Mai 2014

The Ballad of Buddy Bradley

Vor gut 20 Jahren freute ich mich, endlich in einer Stadt zu sein, in der es auch vernünftige Comic-Läden gab. Leider konnte ich mir das meiste nur ansehen, da mein Geld meistens schon für die Miete und das Essen draufging, aber ein Heft, das mir in die Hände fiel, musste ich mir dann doch kaufen: Es war eine deutsche Ausgabe eines amerikanischen Comics von Peter Bagge, das sehr nach Underground aussah, zumindest mehr als das, was der Carlsen-Verlag damals sonst so veröffentlichte. Die amerikanische Reihe hieß HATE (eigentlich wollte Bagge sie Love & Hate nennen, aber im gleichen Verlag gab es schon eine Reihe, die Love & Rockets hieß, so dass er die Kurzfassung wählte). Der Carlsen-Verlag machte LECK MICH draus und vermarktete das ganze als eine Art Grunge-Comic. Auf gewisse Weise stimmte das fast: Peter Bagge hatte seinen Helden Buddy Bradley in Seattle angesiedelt, wo er auch selbst wohnte, und fand sich dann unwillkürlich inmitten des damaligen Grunge-Hypes wieder. Dokumentiert wurde das in einer Geschichte, in der Buddy eine Band managte, in der drei Mitglieder Kurt hießen. Bagge selbst hält es wohl mehr mit der Musik der 60ern.

Buddy war schon der Held der Comic-Serie Die Bradleys, in der Bagge eine ziemlich dysfunktionale amerikanische Familie darstellte. Nach allem, was man weiß, mit durchaus autobiographischen Bezügen. Buddy, seinen Eltern, seiner Schwester Babs, seinen kleinen Bruder Butch sollte man dann in Hate wieder begegnen, allerdings ein paar Jahre später. Eine Sammlung planloser Zwanzigjähriger.

Bagge hat später gesagt, dass er schon immer Sitcoms geliebt hat. Entsprechend sind seine Geschichten auch immer komisch, mit Sinn für Slapstick und absurde Pointen. Deswegen funktionierte auch die Zuschreibung als Grunge-Comic eine Weile ganz gut. Lustige Geschichten, etwas sehr derbe, mit viel Alkohol. Ein Atze Schröder für die Grunge-Generation. Nur war das nie das, was Bagge machte oder machen wollte. Sit-Coms sind statisch, leben von der leichten Abwandlung immer gleicher Situationen. Bagge dagegen ist anscheinend schnell gelangweilt. Seine Personen werden älter, entwickeln sich. Nebenfiguren tauchen auf, verschwinden (teilweise auf tragischem Weg) wieder. Als Buddy als Band-Manager den Gipfel der Coolness erreicht, dauert es nicht lang, bis ihn die Band hinauswirft. Gleichzeitig verliert er seine coole Freundin, beginnt zu arbeiten. Schließlich zieht er zurück nach New Jersey zu seinen Eltern, zusammen mit seiner neuen Freundin Lisa. Da hatte der Carlsen-Verlag schon längst die Reihe aufgehört.

Jahre später bin ich dann in Berlin auf die amerikanischen Heftchen gestoßen und habe mich gefreut, dass die Geschichte noch weiter ging. Aus den Leserbriefen in den Heften kann man ersehen, dass viele nicht glücklich über den Verlauf der Geschichte waren. Aber Bagge ließ sich nicht beirren. Buddy beginnt in einem Second-Hand-Laden zu arbeiten, seine Freundin bekommt Depressionen und wird immer merkwürdiger, sein Vater hat einen Herzinfarkt. Die alten Freunde haben alle möglichen merkwürdigen kleinkriminelle Geschäfte, die Schwester hat als alleinerziehende Mutter zwei eher wenig gut geratene Kinder. Auch wenn die einzelnen Episoden immer noch als Comedy strukturiert und die Begebenheiten wild überzeichnet sind, geben sie hintereinander gelesen ein Bild der amerikanischen Vorstadtwirklichkeit. Man kann Bagge nicht nachsagen, dass er besonders menschenfreundlich wäre, aber was seine Geschichten auszeichnet ist, dass er seine Figuren ernst nimmt und nicht bewertet und sich von jedem Versuch, Normalität zu konstruieren, fern hält. Die Protagonisten haben alle ihre Probleme und merkwürdigen Arrangements, sie werden aber alle gleich ernst genommen und in der ganzen Besetzung gibt es niemanden, der Normalität verkörpern könnte - nicht, weil für die Geschichte nur skurrile Typen angesammelt würden, sondern weil es in der Welt, die Bagge beschreibt, Normalität nicht mehr gibt. Bagge bewertet aber nicht, er romantisiert auch nicht, er beschreibt nur. Trotz aller Plakativität und trotz allem Holzhammerhumor sind die Figuren keine bloßen Klischees oder Abziehbilder. Und seine Besetzung von Kartoffelnasen bietet manchmal ein realistischeres Bild als mancher Gegenwartsroman.
(Weibliche und ...

...männliche Philosophie bei Bagge)


Buddys Freundin Lisa ist hier ein gutes Beispiel. Sie zieht mit zu Buddys Eltern nach New Jersey, pflegt Buddys Vater nach seinem Herzinfarkt, obwohl sie ihre eigenen Eltern seit Jahren nicht mehr gesehen hat,  benimmt sich irrational und hat Depressionen, ist in verschiedenen Behandlungen und verlässt dann schließlich Buddy wegen einer Arbeitskollegin. Die Leserbriefe der vornehmlich männlichen Leserschaft feierten die Trennung und zeigen, dass Lisa wenig Freunde bei den Lesern hatte, sehr zum Unverständnis von Bagge, der die erratische und impulsive Lisa immer für interessanter hielt als seinen eher passiven und selbstzerstörerischen Helden. Die  Leserschaft musste dann aber feststellen, dass Buddys Singlezeiten und Dateversuche eher noch frustrierender wurden. Bagge hatte keine Probleme, die Erwartungen der Leser, die lustige Zoten wünschten, zu frustrieren.

(Hier findet sich die männliche Leserschaft u.U. nicht so richtig wieder)

HATE endete damit, dass Buddy und Lisa wieder zusammen kommen (die Empörung in den Leserbriefen war groß) und Lisa schwanger wird. Bagge beendete dann das regelmäßige Comic-Heft und steuerte einmal im Jahr einzelne Buddy Bradley-Geschichten bei. Ich hatte die neuen Geschichten nicht regelmäßig gelesen und den Eindruck gewonnen, dass Bagge jetzt nur noch einzelne Episoden über die junge Familie ohne den großen Zusammenhang schreiben wollte. Ich habe mich getäuscht. In "Buddy buys a dump" sind diese neuen Geschichten gesammelt. Buddy hat genug von seinem Second Hand-Shop und kauft einen Schrottplatz. Die junge Familie zieht dort hin, Buddy und Lisa finden sich irgendwann als 40jährige auf dem ersten Schulelternabend, Buddy versucht sich als Paketdienstfahrer und Altmetallhändler. (Merkwürdigerweise ist Harold Bradley Jr, sein Sohn, trotz seiner Eltern tatsächlich der am wenigsten Auffällige in den ganzen Geschichten). Doch dann hört Lisa nach Jahrzehnten wieder von ihren Eltern in Seattle und fährt zu ihnen, die Mutter schwer krank, der Vater dement. Und was sich in den einzelnen Geschichten noch als eher belanglose Unterhaltung darstellt, zeigt sich jetzt als Fortschreibung des amerikanischen Sittenbildes. Buddy scheint etwa mein Jahrgang zu sein, er wird von seinem Autor durchs Leben geschickt, ohne ihm viel zu ersparen. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.

(Buddy will nicht König der Löwen hören)

Der englische Sammelband Buddy does Seattle, der die ersten 15 Hefte HATE beinhaltet, ist für sehr schmales Geld bei den üblichen Verdächtigen zu haben. Der zweite Band, Buddy does Jersey, scheint gerade vergriffen zu sein, kommt aber sicher bald wieder.


2 Kommentare:

  1. Klingt als müsste ich die Reihe mal lesen :)
    Kennst du Robert Crumb? Einer meiner favorisierten Comiczeichner, auch er ist keiner, der das Leben weichzeichnet.

    Lieber Gruss
    Anne

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    1. Crumb ist natürlich fantastisch! Wenn du Crumb magst, solltest du dir Bagge tatsächlich mal ansehen. Die beiden haben auch ein, zwei Sachen zusammen gemacht.

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