Freitag, 4. Juli 2014

Liebe im Konjunktiv

Ende der 80er brachte W. in unser Jugendzentrum eine neue Platte mit. Im JZ gab es in Bezug auf Musik strenge Regeln: Es gab Punk und New Wave, wer etwa Heavy Metal hören wollte, flog raus.*
Die Platte war von Nikki Sudden und hieß "Dead men tell no tales". Akustische Gitarre, nölender Gesang, teilweise mit wildem Feedback unterlegt. Hätte man für Folk halten können, hatte aber eine klare Punkherangehensweise. Diese Platte leistete erstaunliches: die Punks hielten es für unerträglich (nicht schnell und hart genug), den Althippies war's zu roh, schlecht und ungehobelt. Das Urteil war schnell gefällt: Der kann nicht singen und nicht spielen (und schnell und laut ist es auch nicht).
Trotzdem liefen die Lieder immer wieder mal, für die Zeiten, in denen man sich als 17-Jähriger steinalt fühlte, war das der geeignete Soundtrack.

(Im Nachhinein muss ich sagen: eine fantastische Platte. Sudden war leider nur seiner Zeit voraus)


Ein bisschen später stöberte ich in der Plattenabteilung des Drogerie-Markt Müller herum (man kann es sich heute nicht mehr so richtig vorstellen, aber auf dem Land waren diese Drogerie-Märkte fast der einzige Ort, wo man interessante Schallplatten kaufen konnte. Ansonsten musste man 25 km in die nächste kreisfreie Stadt oder - zwei Mal im Jahr - nach München fahren). Dort fand ich die LP "Last Bandits in the World", auf der Lieder von Nikki Sudden, Carmody und Fean waren (ich habe diese LP seitdem nie wieder irgendwo gesehen, ein Glücksfall, dass ich sie überhaupt gefunden habe).  Die Musik noch ein bisschen reduzierter, Lagerfeuergitarren, relativ schmucklos. Die Reduktion wurde aber bewusst gewählt. Das waren keine Leute, die's nicht besser konnten, sondern die bewusst diese sehr reduzierte Form des Folks wählten. Vielleicht ist es bei neuer, interessanter Musik immer so, dass weniger der musikalische Inhalt als die Haltung dahinter bedeutend ist. Das war bei Elvis nicht anders, nicht bei Ornette Coleman und auch nicht bei Bob Dylan, als er die Leute beim Folkfestival ins Entsetzen trieb, weil er eine elektrische Gitarre verwendete. Und dass die frühen Punkbands und späteren Hardcorebands eine Botschaft jenseits der Musik vermittelten, das weiß jeder, der dabei war.

Nikki Sudden hat in seinen Liedern meistens eine Perspektive des melancholischen Rückblicks gewählt. "When I leave you", "Down on my own again". In "Winter" ist das Ganze auf die Spitze getrieben: "I could have loved you - or just for a while". Die Liebe findet nur im Konjunktiv statt, man hätte das Mädel (zumindest für eine Weile) lieben können, aber das Schicksal war dagegen. So kann man jetzt vor der Flasche Wein sitzen und darüber sinnieren, was alles hätte sein können. Liebe im Konjunktiv. Das passte natürlich zur molllastigen, alkoholgetränkten Gitarrenmusik. Ich fand diese Attitüde auch eine Zeitlang sehr ansprechend, bevorzuge allerdings nunmehr den Indikativ.

Suddens Wahlheimat war in den späten 80ern Augsburg, deswegen habe ich ihn einige Male live gesehen. Je nach Begleitband und Tagesform konnten die Konzerte phantastisch oder gruselig sein. Später hat er mit ein paar REM-Leuten ein Album aufgenommen, das dann ganz erfolgreich war. Er ist 2006 mit 50 gestorben, zu früh. Aber wie sang er selbst auf Last Bandits in the World:  "Too many problems for a boy who looks like me, too many problems I don't need."

Manchmal wünschte ich mir, die derzeitigen Neo-Folk-Protagonisten würden sich ein bisschen an ihren weniger erfolgreichen Vorgängern wie Sudden orientieren, bei dem die Musik noch etwas chaotischer und unfertiger war und nicht ganz so konservativ und an alten Vorbildern ausgerichtet. Diese Sudden'sche Schluffigkeit wäre heute wohl kaum noch geduldet.

Last Bandits in the World war für mich ein Erweckungserlebnis. Als Gitarrist hat man ja immer das Problem, dass man von so vielen Virtuosen, die vor einem waren und die alles schon einmal - und auch besser - gespielt haben, fast erschlagen wird. Es ist schwer, eine eigene Stimme zu finden, wenn alles schon gesagt wurde. Punk war hier immer ein Ausweg, bevor er ein formelhaftes Genre wurde. Mit Nikki Sudden im Walkman wurde mir aber auch klar, dass man auch andere Genres spielen kann, auch wenn einem die Fachleute sagen, dass das anders klingen müsste. Ich hatte das Glück, mit ein paar Schulkameraden in einer Band zu spielen, die hauptsächlich Coverversionen von 50er und 60er-Jahre Musik spielten. Da ich gleichzeitig in einer Punkband mitspielte, war ich eher der Exot (man hat mich deswegen in der Zweitband auch meistens nur an den Bass gelassen, da konnte ich nicht so viel Schaden anrichten). Meine Mitmusiker waren auf jeden Fall erheblich talentierter als ich, trotzdem war zunächst ich der einzige, der eigene Lieder geschrieben hatte, die Kollegen waren mit ihren Versuchen nie so richtig zufrieden.   Ich bin jetzt noch einigermaßen stolz, dass meine Anwesenheit dazu geführt hat, dass jenseits aller Bedenken, ob man gut genug sei, plötzlich ein enormer Kreativitätsschub kam.  Auf einmal hatten wir selbstgeschriebene Lieder, die wie Irish Folk klangen, wie französische Chansons oder angejazzter schwäbischer Mundartrock, ohne uns darum zu kümmern, wie man das "richtig" machen müsste. Wunderbare Zeiten.




*Zu Recht.  

7 Kommentare:

  1. Hey.. nix gegen Heavy Metal, ist nicht nur Mist dabei, kann zwischendurch auch mal ganz gut sein ;)
    Muss mir all diese Bands zu Gemüte führen. Die frühe Punkattitüde gefällt mir, seit ich mal einen Recherche darüber machen musste. Vorallem der Do it yourself Gedanke und die Antimainstreamhaltung dahinter. Mit der gebrüllten Musik muss ich mich erst noch anfreunden .. Zu meiner Teeniezeit waren die Spasspunker in. Ärzte, Green Day... Danke für die Tipps. Sobald ich daheim bin, hör ich mal rein.

    Lieber Gruss
    Anne

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    1. Ach, inzwischen bin ich ja auch nicht mehr so streng. Aber Heavy Metal ist im Regelfall formalistischer langweiliger Kram. Aber gute Musik kann man in allen Genres finden, ich arbeite mich halt immer noch an der Musik meiner Jugend ab. Di Auswahl hier ist ja immer sehr eklektisch, ohne auch nur einen annähernden Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Freut mich sehr, dass dich's interessiert... Liebe Grüße, Andreas

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  2. Stimmt, richtig gut singen tut er nicht. Aber mir gefällt's. Und ich hab es GANZ angehört :) Ist auch eher "my style" als die Musik, die Du sonst hier hast ;)
    Apropos Drogeriemarkt Müller: Dort hab ich welche von meinen Lieblings-CDs gefunden. Weil das Cover so schön war. Z. B. Sophia. Ein einzelner männlicher Typ. Kennt außer mir, glaub ich, niemand...
    Hab jetzt grad auch wieder eine wunderbare CD (ja, ich kauf die hin und wieder noch in echt!). Sooo schönes Cover, soooo schöne Musik: Phosphorescent.

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    1. Ach, ich höre eigentlich ziemlich viel Folk und merkwürdige ruhige Musik, da würden wir uns wohl bei mehr Sachen treffen.....

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  3. Schauen Sie mal hier: https://www.amazon.com/Bandits-World-Sudden-Johnny-Carmody/dp/B005PWYWHK

    Ich musste den Eintrag über G**gle suchen, weil ich mit der Schlagwortwolke nicht klar komme. Gibt es bei Blogspot nicht vielleicht auch eine Suchfunktion als Widget? Ich hab sowas drüben.

    Gerade nochmal Nikki Sudden hier gehört und ganz melancholisch geworden. Schöner Text, den Sie dazu geschrieben haben. Ich möchte nicht die Zeit zurückdrehen, aber ich würde manchmal gerne wieder mehr in der Musik leben.

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    1. Ich muss mir die Posts hier auch meist über Google suchen - es gibt zwar eine Suchfunktion, aber die funktioniert nicht. Das Design ist ja eh hier schlurfig.
      Offensichtlich gibt es die LP also noch einmal (aber nicht digital). Wieder mehr in der Musik zu leben ist ein guter Vorsatz...

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