Samstag, 30. Mai 2015

Attentäter und Kassettentäter

"Der eine hobelt Lattenbretter und heiratet nach Damaskus und wird Attentäter." (Josef Hader, So ist das Leben)

1. Durch Diskussion anderswo angeregt habe ich einmal wieder etwas dazu nachgelesen, wie das Reagan-Attentat 1981 die amerikanische Alternativmusik beeinflusst hat. Reagan wurde von John Hinckley Jr. (dessen Vater merkwürdigerweise ein Freund von George Bush gewesen sein soll) angeschossen. Hinckley war besessen von dem Film Taxi Driver und von Jodie Foster, die dort mitspielte, und hatte die Vorstellung, dass er durch eine wahnwitzige Tat die Aufmerksamkeit von Foster erringen könnte. So versuchte er ein Attentat auf Ronald Reagan, Reagan wurde angeschossen, sein Pressesprecher erlitt schwere Verletzungen,* genauso wie ein Sicherheitsbeamter. Hinckley wurde festgenommen, aber wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht verurteilt, sondern in die Psychatrie eingewiesen (lockere Besuchsregelungen wurden Ende des letzten Jahrhunderts wieder aufgehoben, da man feststellte, dass Hinckley sie nutzte, um Material über Jodie Foster in die Klinik einzuschmuggeln. Da dieser Attentatversuch keine politischen, sondern popkulturelle Gründe hatte, ist es auch nicht verwunderlich, dass John Hinckley Jr. wiederum verschiedene Musiker beeinflusst (man scheut sich, inspiriert zu sagen) hat. Wenige Tage nach dem Attentat gründete sich die Skatepunkband Jodie Foster Army (irgendwann war es ihnen dann wohl auch zu blöd und sie nannten sich nur noch kurz JFA). Ich habe nie so richtig verstanden, was der stilistische Unterschied zwischen Skatepunk und normalem Punk/Hardcore ist, außer dass die Typen halt Skateboard fahren, aber das Cover einer der ersten Platten muss man als ikonisch für das Genre nennen:

Ich hatte in diesem Zusammenhang auch immer Wall of Voodoo mit "Far side of crazy" im Kopf, von dem ich immer dachte, es basiere auf einem Gedicht von John Hinckley Jr.. Der Song beschäftigt sich zwar mit der Thematik, aber basiert höchstens lose auf dem Brief, den Hinckley an Foster schreiben wollte. Nicht nur da lag ich falsch, ich hatte auch immer gedacht, da hätte Stan Ridgway gesungen, der war aber zu der Zeit schon lange nicht mehr Sänger, sondern Andy Prieboy, der auch den Text geschrieben hat (damit erklärt sich auch zwanglos, warum Ridgway sich zwischen 1983 und 1985 äußerlich so sehr verändert hat....). Schönes Lied, und schönes abgedrehtes Western-Video dazu.

Tatsächlich ein Gedicht von Hinckley vertont haben aber einmal DEVO, "I desire", das Lied kenne ich aber nicht. Die Band meinte im Nachhinein, es sei nicht der beste "career move" gewesen. Bei der Recherche bin ich auch darauf gestoßen, dass ein Lied von Capitol Punishment "Jodie is my bloody love" auf dem Attentat basiert, hätte ich auch selbst drauf kommen können. Dieses Lied hat ein früherer Gitarrist von uns immer gehört und ich habe es schon immer gehasst. Leider war das Lied eine Blaupause für etwa 1000 schleppende Hardcore-Songs, so dass man es wahrscheinlich schon gehört hat, auch wenn man es noch nie gehört hat.

Was soll man davon halten, dass sich Musiker an Wirrköpfen oder bösen Leuten orientieren? Aber Goethe hat auch lieber Faust geschrieben als Heiligenlegenden.

2. Zur Jodie Foster Army kam ich eigentlich nur, weil ich mich daran erinnert habe, dass es einmal eine Punkband in Deutschland gab, die Petra Kelly Army hieß (zu einem Zeitpunkt, als Kelly noch lebte). Hier zeigt sich ein Phänomen, das zumindest für Jüngere nicht so richtig nachvollziehbar ist: Während inzwischen praktisch alles, was es an Musik gab, irgendwo im Netz dokumentiert ist und man auch keine Probleme hat, umfassende Informationen über griechische Musik der Dreißiger Jahre online sofort zu finden, gibt es einiges aus der Zeit zwischen 1980- 1995, was in keiner Weise dokumentiert ist. Das hat auch damit zu tun, dass es Anfang der 80er keine vernünftige Infrastruktur für Underground-Musik gab. Die Kommunikation erfolgte durch Fanzines, die Musik war größtenteils nur auf Cassetten verfügbar. LPs konnten nur ganz wenige Gruppen machen. Es gab viele tolle Dinge, die so gut wie nicht mehr verfügbar sind. Die Petra Kelly Army ist im Netz zum Beispiel nur mittelbar über eine Auflistung eines Tapesamplers zu finden, der "Wir schlagen das Imperium" hieß (den hatte mein Bruder, glaube ich, auch einmal, es war zumindest auch eine Band aus unserer Heimatstadt drauf). Ich kann mich nicht erinnern, was für Musik die PKA gemacht hat, bei den Bands, die sich noch auf dem Sampler fanden, sind allerdings ein paar, die ich auch gerne mal wieder hören würde. Zum Beispiel die New born babies, die ein wunderbares Lied "Streifenwagen" hatten, das mir jetzt noch jedes Mal durch den Kopf geht, wenn ich einen Streifenwagen sehe (unvergleichlicher Refrain: Tatü tata tatü tata). Oder Rudolfs Rache, die einen kleinen Hit mit "Wir rasieren uns" hatten (auch heute noch eine wichtige Botschaft!) und deren Lied "Wenn das Bier verboten wird, dann gibt es nur noch Milch beim Wirt" auch noch besürzende Aktualität hat. Oder die Sportsgroup aus Frankfurt, die ein paar unglaubliche Tapes gemacht haben, an die sich aber inzwischen kaum jemand erinnert. Es gibt ein paar Seiten, auf denen die Tapes und Fanzines dokumentiert werden. Tape attack z.B. ist hier wirklich eine Fundgrube, als Neuling bräuchte man aber sicher eine kuratierte Version, da manches doch recht obskur ist. Auf meinem Dachboden steht noch ein Koffer mit alten Briefen, die ich damals mit allen möglichen Fanzinemachern und Kassettenlabel-Betreibern gewechselt habe, vielleicht sollte ich da mal wieder etwas stöbern. Die meisten Fanzines, die ich hatte, sind allerdings irgendwann verloren gegangen.


*Und da hier alles mit allem zusammenhängt,  basiert die erste Geschichte in dem Kurzgeschichtenband "Nixen auf dem Golfplatz" von Patricia Highsmith, der hier schon einmal vorgestellt wurde, auf der Geschichte des Pressesprechers.

6 Kommentare:

  1. Taxi Driver fasziniert mich ebenfalls, aber es ist Robert de Niro und die berühmte Spiegel-Szene, die nächtlichen Fahrten durch New York, der Iro, den er auf dem Kriegspfad trägt (1976 - hat Punk den Film beeinflusst oder umgekehrt?), die sich in mein Hirn gebrannt haben.

    #Fanzines, Musikmagazine: Habe mich gestern mit einem Freund unterhalten, der den Rolling Stone liest. Da fiel uns auf: Früher haben wir alle Musikmagazine gelesen. Ist irgendwie aus der Mode gekommen. Auch bei den ganzen Amateur-Rockband-Gestalten, die meinen Freundeskreis bevölkern.

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    1. Ich glaube, Taxi Driver hat die Punks beeinflusst; bin mir aber nicht sicher. Ich lese noch das Ox-Fanzine, weil ich das von früher kenne, das meiste an Musik kenne ich da aber auch nicht mehr. Den Rolling Stone gibt es ab und zu bei Flügen. Grundsätzlich furchtbar. Letzthin war ein Artikel über Kim Gordon (Sonic Youth) im Rolling Stone, wo es im Wesentlichen um die gemeinsame Sonic Youth und Neil Young Tournee irgendwann in den 90ern ging. Wenn Rolling Stone den Papst interviewt, werden sie auch nur fragen, wie denn die Audienz mit Bob Dylan war...

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    2. Kannst du dich noch an Spex erinnern? Man hat zwar kein Wort verstanden (ich zumindest nicht), aber es war Pflichtlektüre. Und angefangen haben wir vermutlich alle mit der Bravo, später dann kam der Musikexpress. Das will nur niemand mehr zugeben - und damals konnte man ja via Social Media seine Peinlichkeit nicht über Äonen konservieren.

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    3. Die Spex habe ich Ende der 80er/Anfang der 90er praktisch auswendig gelernt. Unter dem Tapeattack-Link oben findet man auch einige der alten Spex-Ausgaben als pdf, da werde ich ein paar meiner Lieblingsartikel nachlesen. Da es damals praktisch keine anderen Informationsquellen gab, hat man den Kram ja immer mit Ehrfurcht gelesen.

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  2. zur einleitung, passt zwar nicht zum thema hab ich aber gleich auch noch angehört: "topfpflanzen habts a hirn ausse ausm hapfn und gehts spaziern"

    grüße michali

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