Samstag, 3. Dezember 2016

Beggar's City/ Radio Banquet

Im Hauptblog bin ich durch ein Foto an zwei LPs erinnert worden, die ich sehr gerne mag. Ein Foto einer blutrot gestrichenen Hoteltoilette sah für mich aus wie ein Mashup der Cover-Artwork von Big Stars "Radio City" und Rolling Stones "Beggar's Banquet" (die ursprüngliche LP kam mit einem neutralen Cover, weil die Plattenfirma das Toilettenbild als nicht angemessen empfand, die Nachpressungen und die CD kommen mit dem ursprünglichem Artwork). Eine kleine Illustration zu der Behauptung:


Ich hatte mir schon mal überlegt, hier eine lose Reihe über Lieblings-LPs zu starten, vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, damit anzufangen.

Radio City war die zweite LP von Big Star. Die erste hatte die Band (ähnlich größenwahnsinnig wie ihr Name) "No. 1 Record" genannt, der Erfolg blieb aber weitgehend aus. Anfang der Siebziger Jahre war für eine Band, die eine amerikanische Version des Brit-Beats spielte, kaum Interesse vorhanden und das renommierte Ardent-Plattenlabel bot nicht die Unterstützung, die die Band gebraucht hätte. Bei der ersten LP bestand der Reiz noch in der Spannung zwischen den beiden Songwritern Alex Chilton und Chris Bell, das Ergebnis waren einige der schönsten Beatles-Lieder, die die Beatles nie geschrieben haben. Bei der zweiten war Chris Bell schon ausgestiegen, Alex Chilton, den jeder schon als Bobby Boxtop, den Sänger des Boxtops Hits "The letter" gehört hat, übernahm und Radio City wurde um einiges kantiger als der Vorgänger, immer noch aber voller schöner Melodien und schöner Gitarrenarrangements. Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum nicht jeder das wunderbare "September Gurls" kennt, das - wenn es irgendeine Gerechtigkeit gäbe - bei den Oldie-Sendern rauf und runter gespielt werden müsste.

(Ein anderer guter Einstieg in die LP ist "Back of a car", von der ersten LP sollte man sich auf jeden Fall "Thirteen" einmal anhören.)
Die dritte LP "Sister Lovers" war dann das Dokument einer zerfallenden Band und von zu viel Alkohol. Ich halte sie für großartig, habe anderswo schon darüber geschrieben.

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Beggar`s Banquet war das letzte Stones-Album, auf dem Brian Jones noch mitspielte, danach wurde er aus der Band geworfen und bald dann ertrunken im Pool seines Hauses aufgefunden. Inwieweit er im Studio überhaupt noch sinnvoll beigetragen hat, weiß ich nicht. Die Stones hatten noch nicht so richtig ihren Platz gefunden, die frühen Blues-Plagiate standen neben merkwürdigen fast schlagerhaften Experimenten, die sie beim Versuch, die Beatles auf ihrem Gebiet zu schlagen, machten. Die letzte LP, die psychedelische "their Satanic Majesties request", sollte wohl so etwas wie das Gegenstück zur "Sergeant Pepper" sein, von ein paar Liedern abgesehen ist sie aber auch für hartgesottene Hörer schwer erträglich. Die Stones fanden danach eine ähnliche Lösung wie die Beatles, zurück zu den Ursprüngen. Ihre Variante funktionierte aber weit besser als "Let it be" von der Konkurrenz. Die bekanntesten Lieder der "Beggar`s Banquet" sind "Sympathy for the devil" und "Street fighting man", über die will ich aber mal kein Wort verlieren. Sympathy war zwar vor drei Jahrzehnten der Grund, dass ich mich überhaupt mit den Stones beschäftigt habe, deren Dickehosen-Rock mir sonst gewaltig auf den Geist gegangen ist. "Street fighting man" zeigt das Dilemma der Band recht deutlich: Radikal große Fresse, aber dann schnell wieder zurückziehen.
Die Gründe, warum ich das Album mag, sind eigentlich andere Lieder. Die Stones haben sich auf den Blues zurückbesonnen und anders als Anfang der Sechziger waren sie inzwischen in der Lage, ihn angemessen zu spielen. "No expectations" ist für mich eines der schönsten Lieder der Band, wenn sie danach nix mehr aufgenommen hätten, würde ich sie eigentlich noch lieber mögen.

"Prodigal Son" ist das Cover eines alten Bluegrass-Stücks, das die Geschichte vom Verlorenen Sohn nacherzählt. Sparsam instrumentiert und zurückhaltend gesungen fragt man sich, wie das hier neben "Sympathy for the devil" kam. (Die Byrds haben ja noch in weiterem Umfang christliche Bluegrass-Musik gecovert, immer eine schwierige Aufgabe für den Ironie-Detektor.) Eine Stones-Eigenkomposition, die ähnlich schön ist, folgt mit "Factory Girl". Auch hier nimmt man Jagger ausnahmsweise mal ab, was er singt, obwohl er sicher nicht auf die Fabrikarbeitermädels gewartet hat. Ein Lied wie der "Stray Cat Blues" würde heute sicher nicht mehr geschrieben, ein großmäuliger Jagger, der über minderjährige Mädchen singt. Ein Grundproblem dieser Band, die sich immer gerne in falschen Posen, sei es in dem Pseudo-Radikalismus oder Pseudo-Satanismus gefiel, dabei aber nie wusste, was sie damit lostrat. (Man muss sich nur den schönen "Gimme shelter"-Film dazu ansehen.) Naja, auf der "Beggar`s Banquet" finden sich zumindest noch ein Perlen, spätestens fünf Jahre später werden dann aber die LPs eine unhörbare Ansammlung von leeren Posen.

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