Sonntag, 11. Dezember 2016

Wer wird herrschen, wenn die Regierungen fallen?

Eine kleine Zeile aus dem schönen Lied der Ruts, Secret Soldiers. Who's gonna rule when the governments fall? Der Titel "Secret Soldiers" gibt schon einen Hinweis darauf, dass es wahrscheinlich nicht die friedlichen Kooperativen der liberitären Landkommunen wären (ich weiß, es gibt da auch die Gegenauffassung). Für mich immer eine Erinnerung daran, dass man sich, bevor man sich etwas weg wünscht, erst einmal überlegen muss, was nachkommt. G.K. Chesterton hat die klassische Formulierung dieses Prinzips im Paradox von Chestertons Zaun: Einen Zaun sollte man erst dann einreißen, wenn man genau verstanden hat, warum er errichtet wurde.

Es geht natürlich wieder um die Briten, was macht der Brexit denn so?

Machen wir's kurz: Es passiert einiges, aber schön ist das alles nicht. Theresa May hat immer noch das Problem, dass sie nicht konkreter mit ihren Plänen werden kann, weil sie ansonsten entweder die Wirtschaft oder ihre Brexiteer-Parteifreunde am Hals hat. May behilft sich damit, dass sie sagt, sie dürfe ihren Plan gar nicht dem Parlament oder der Öffentlichkeit mitteilen, weil das UK ansonsten in den Verhandlungen im Nachteil sei. Als Ersatz gibt es dafür Sprüche wie "Brexit means Brexit" und - seit neuestem "Our Brexit will be red, white and blue". Es ist natürlich Schwachsinn, dass man Verhandlungspositionen geheim halten muss - irgendwann muss man dem Gegenüber schon offenbaren, was man eigentlich will. Das ganze UK schwelgt aber in Poker-Vergleichen (man darf seine Karten nicht zeigen!) und lässt sich's gefallen. Dahinter versteckt ist natürlich immer noch die hirnverbrannte Johnson`sche Vorstellung, man könne eigentlich die ganzen Vorteile der EU in Anspruch nehmen, ohne die Verpflichtungen anzunehmen. Have our cake and eat it. They need us more than we need them. We are anti-pasto but definitely pro-secco. Daneben gibt es genügend Leute  (auch im Parlament), die der Auffassung sind, die EU brächte gar keine Vorteile.   Auch wenn das stimmte, sollte es einen nachdenklich stimmen, wenn man innerhalb von zwei Jahren eigene nationale Zoll- und Außenhandelskompetenzen aufbauen muss, die man seit über vierzig Jahren aufgegeben hat. Ganz abgesehen davon, dass man sehr schnell für die zahlreichen Brüsseler Behörden  eine nationale Instanz als Ersatz braucht, z.B. eine, die Medikamente zulässt. Der Verzicht auf Brüsseler Bürokratie bedeutet zunächst, dass man die Bürokratie national wieder aufbauen muss. Diese Diskussion wird aber gar nicht geführt. Ein Teil der Politik ist zu dämlich zu verstehen, was passiert, der andere weiß es recht gut, fürchtet sich aber vor dem Wahlvolk. Die traurige Wahrheit ist, dass eine Abkehr von Europa wahrscheinlich dazu führen würde, dass das UK vollständig abhängig von den USA wird.

Die bekannten Verhandlungslinien sind: Schluß mit der Freizügigkeit der EU-Bürger, keine Zahlungen mehr an die EU, keine Zuständigkeit europäischer Gerichte mehr, ausschließliche Kompetenz des britischen Parlaments. Daneben der bestmögliche Zugang zum europäischen Markt. Hört sich zunächst nett an, funktioniert aber aus verschiedenen Gründen nicht. Die Minister knicken auch an verschiedenen Stellen ein, Johnson will nicht ausschließen, dass es noch weiter Freizügigkeit geben könnte, Davis hält es für möglich, dass man auch noch weiterhin Zahlungen an Europa leistet und so weiter. Ich lese mir regelmäßig auch alles durch, was von den überzeugten Brexiteers kommt, da man ja nie ausschließen sollte, dass man den gegnerischen Standpunkt einfach nicht verstanden hat. Was da kommt, ist allerdings vollkommen illusorisch. Der Optimismus der Brexit-Anhänger ist derzeit der Optimismus eines Mannes, der sich von seiner Frau trennen will und darauf hofft, danach Affären mit Supermodels zu haben. Mag sein, dass es in Erfüllung geht, eine Strategie sieht anders aus. Hope is not a strategy.

Das eigentlich Erschreckende ist aber der politische Diskurs. Brexit ist angetreten, um die nationale Souveränität wieder zu sichern. Über britische Angelegenheiten sollte wieder das britische Parlament und die britischen Gerichte das letzte Wort haben, keine Institutionen in Brüssel oder Luxemburg. Auch wenn ich den Standpunkt nicht teile, halte ich das zumindest für eine diskussionswürdige Position. Was passierte aber in der Zwischenzeit? Verschiedene Bürger haben eine Klage eingereicht, mit der festgestellt werden soll, dass nicht die Regierung einfach den Austritt aus der EU erklären kann, sondern dass es dazu eines Parlamentsbeschlusses bedarf. Eigentlich ein Anliegen, das jeder Brexiteer verstehen müsste - über diese wichtigen Fragen bestimmen nun britische Gerichte und das britische Parlament. Allerdings tobt hier ein Kampf. Die Regierung teilt mit, dass diejenigen, die eine Parlamentsabstimmung fordern, nur den Willen des Volkes behindern wollen und antidemokratisch seien. Die Gerichtsverfahren werden ebenfalls als antidemokratisch angesehen. Ungewähte Richter maßen sich an, sich gegen den Willen des Volkes zu stellen. Die Daily Mail titelte mit Bildern der Richter und der Überschrift "Volksfeinde". Sie deckte außerdem auf, dass einige der Richter Verbindungen zu Europa hätten und dass einer der Richter ein schwuler ehemaliger Olympiafechter sei. Ich halte mich normalerweise mit derlei Vergleichen zurück, aber in Bezug auf Parlament und Gerichte ist das definitiv ein Tonfall wie bei uns in den früheren Dreißigern. Und nicht nur von der legendär bösartigen britischen Presse, sondern von der Regierungsfraktion. Das hätte ich mir von den Briten nicht vorstellen können. Wenn dieses besonnene Volk mit jahrhundertelanger parlamentarischer Tradition innerhalb kürzester Zeit allen Anstand verliert, dürfen wir uns nicht allzu viele Hoffnungen machen.

Das geht alles gegen die Wand.

Alle, die den Zusammenbruch der EU mit Gelassenheit oder gar mit Sympathie betrachten: Wegen der vielen Defizite verstehe ich euch durchaus. Bevor ich auf eurer Seite bin, müsst ihr mir aber zeigen, was an die Stelle der EU treten soll. Ich habe eine klare Vorstellung, was das gerade wäre, und nehme dann lieber die Unsagbarkeiten aus Brüssel in Kauf.


3 Kommentare:

  1. Den generellen Pessimismus deiner ersten Zeilen teile ich nicht. Wir stehen doch in D nicht kurz vor der Anarchie. Ganz im Gegenteil, wir bekommen 2017 noch nicht mal einen Regierungswechsel, sondern haben Merkel bis 2021 - mindestens.

    EU: Wir sehen aktuell, dass sich Vertiefung und Erweiterung der EU nicht mehr fortsetzen lassen. Das heißt aber doch nicht, dass die Strukturen komplett abgewickelt werden. Vielleicht macht die EU nur eine Atempause, vielleicht werden falsche Schritte (der Euro!) auch wieder zurückgenommen, ohne das wir gleich wieder in der Steinzeit landen?

    Auch EU-Kritiker können überzeugte Europäer sein. Wenn ich den Euro ablehne, will ich nicht eine Rückkehr in den Nationalismus (falls wir ihn überhaupt je überwunden haben, aber das ist eine andere Frage). Wer die israelische Regierung kritisiert, ist ja auch kein Antisemit, wer die US-Außenpolitik kritisiert, ist kein Antiamerikaner (Bolschewist sagte man früher). Kritik an der EU, gerade angesichts des Brexit, ist nötiger denn je. Mit dem Verweis auf Extrem-Szenarien ("Secret Soldier") wird man diese Debatten auf Dauer nicht unterdrücken können.

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    1. Mir geht es auch eher um diejenigen, die sich auf den Zusammenbruch der EU freuen. Da kommt nix gutes bei raus. Kritik und Reform der EU ist wichtiger denn je. Die Institution als solche sollte man nicht leichtfertig in Frage stellen.

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    2. WENN DU DIE EU KRITISIERST, KOMMEN DIE GEHEIMEN MILIZEN!
      (Das ist nicht die Zusammenfassung.)

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