Donnerstag, 8. März 2018

Robert Rotifer

Obwohl ich jetzt schon über zwei Jahrzehnte in Berlin wohne, habe ich es bislang nie ins Quasimodo, einen alten Jazz-Club im Westen, geschafft. (Wer übrigens meint, dass das grusligste Publikum auf Konzerten der angejahrten Punkbands zu finden sei, täuscht sich. Jazzclubs sind schlimmer. Lauter alte Männer, die sich modisch aufgegeben haben. Ich passe da sehr gut hin).

Letztes Jahr hatte ich schon Karten für Mike Watt, der dort spielte, aber da wurde ich leider krank. Gestern machte ich mich spät auf den Weg, weil Robert Rotifer dort ein Konzert spielte. Robert Rotifer ist Österreicher, der seit zwanzig Jahren im UK lebt. Ich schätze die Berichte von Rotifer zu Brexit-England, die immer wieder auf der fm4-Seite erscheinen (und als ich das hier schreibe, fällt mir auf, dass ich schon vor Jahren in der Berliner Zeitung immer seine kleinen Berichte aus England gelesen habe).

Eigentlich ist Robert Rotifer aber Musiker. Mit seiner Band hat er verschiedene Platten aufgenommen, die man vielleicht als kenntnisreichen, detailverliebten Britpop bezeichnen kann. Die letzte Platte ist aber anders: Sie enthält deutschsprachige Lieder zur akustischen Gitarre. Der Wechsel zum deutschen Gesang kommt nicht zufällig mit den neuen politischen Entwicklungen im UK. Rotifer begleitet sich mit flinkem und präzisem Fingerpicking. Ich konnte ihm beim Konzert auf die Hände sehen und war fasziniert, wie schnell sich Daumen und Zeigefinger über die Saiten bewegten und den filigranen Hintergrund zum Gesang bauten.

Ich hatte mir vor dem Konzert einige der Lieder schon angehört, der richtige Zugang hatte mir aber gefehlt. Die Texte sind politisch auf eine Weise, die sich nicht sofort erschließt. Sie haben eine Qualität einer nüchternen Klarheit, für die ich ansonsten kaum Beispiele finde. Im Konzert verstand ich dann, was ich vorher nur in Ansätzen erahnte. In den Liedern findet sich die Trauer über den Verlust von etwas, das man zuvor als eine sichere Errungenschaft gesehen hatte. Sie beschreiben den Alltag, während sich ringsherum das Unheil zusammen braut. In "Sie können schon" wird - anhand einer Beobachtung beim Sicherheitscheck am Flughafen beschrieben, wie schnell Dinge, von denen man denkt, "das können die nicht machen", "das lässt sich doch niemand gefallen" dann doch passieren. Ich habe an dem Abend besser verstanden, warum mich der Brexit so sehr beschäftigt. Meine Zeit im UK ist schon Jahrzehnte her, ich kenne auch nur noch wenige Leute dort, aber das UK war in meinen Gedanken immer ein sicherer Hafen der Vernunft, wenn es bei uns den Bach runtergehen sollte. Und nun haben die's schon vor uns geschafft. Vielleicht lässt sich, wenn man sich die Entwicklungen dort genau ansieht, lernen was zu tun ist, wenn um einen herum alle verrückt werden.


Die Texte beschreiben alltägliche Dinge, man kann sie wohl auch hören, ohne groß an Politik zu denken, sie weisen allerdings auf die großen Dinge. Sie sind wie kleine, harmlos scheinende parabelhafte Kurzgeschichten, die man zweimal hören, lesen muss. Dann bleiben aber die Refrains im Ohr hängen und kommen wieder, als hellsichtige Kommentierung von harmlos scheinenden Ereignissen.

(Die Platte von Robert Rotifer heißt "Über uns", allein zu dem Titel und dessen möglichen Bedeutungen könnte man ja einen kleinen Aufsatz schreiben.)




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