Donnerstag, 12. Dezember 2019

Stranglers plus Ruts im Huxley

Nach längerer Pause mal wieder auf ein Konzert. J., der Vater eines früheren Kindergartenkumpels von unserem Kleinen, hat sich die letzten Jahre jedesmal die Ruts angesehen, wenn sie in Berlin waren, und mich diesmal erfolgreich dazu gebracht mitzukommen. Die Ruts mag ich ja sehr gerne, die zwei Platten zeigen noch schlimmste Jugendzentrumsspuren, weil da mehrere Biere drüber geschüttet wurden. Gesehen habe ich sie allerdings noch nie, also passte das gut.

Wir treffen uns am S-Bahnhof Wollankstraße, J. hat gleich seine ganze Band mitgebracht, also wird es nicht langweilig. Dann mit der U8 Richtung Hermannplatz und es bestätigt sich wieder die alte ÖPNV-Weisheit, dass es immer einen Grund hat, wenn es an einer Stelle im Waggon besonders leer ist.

Das Huxley war bereits ganz gut gefüllt, wir hoben den Altersschnitt allerdings nicht. Die Ruts haben als Backdrop beim Konzert das Bild, das auf der ersten LP "The Crack" war, die nun auch schon 40 Jahr alt ist. Von der ursprünglichen Band sind nur noch zwei übrig, der Sänger Malcolm Owen starb schon 1980 an einer Überdosis, der Gitarrist Paul Fox starb 2007. Inzwischen sind sie als Trio unterwegs, mit neuem Gitarristen. Drei alte Männer mit Hüten, die allerdings sehr präzise und gut loslegen. Ich hatte zunächst gehofft, dass sie The Crack ganz durchspielen zum Jubiläum, das war nicht der Fall, aber dafür gab es alle Hits. Die Ruts waren damals musikalisch ziemlich weit den anderen Punk-Bands voraus, insbesondere, was die Gitarrenarrangements betraf. Nach einer Stunde hatten wir Staring at the Rude Boys, West One, In a Rut, Babylon's Burning und Jah War (und noch einiges mehr) gehört, da konnte ich es auch verschmerzen, dass mein Favorit Demolition Dancing nicht auf dem Programm war.

Danach die Stranglers. Mir ist vor dem Konzert aufgefallen, dass ich eigentlich relativ wenig von der Band kenne, ich habe eine Best of bis 1981, die ich zwar oft und gerne höre, und kenne halt noch die Radiohits. Deswegen hatte ich keine allzu großen Erwartungen an das Konzert, mit einer Ausnahme: Einer meiner Lieblings-Konzertberichte, die ich in jungen Jahren gelesen habe, war "Stranglers plus Dickies in Hamburg" aus dem Shit-Bolzen (wohl von 1979, abgedruckt in dem schönen Band "Wir waren Helden für einen Tag"). Untertitelt war das "Ein Erlebnisbericht voller Spannung und Dynamik erlebt und durchgestanden von Ludwig Karnickel". Dort finden sich Sternstunden der Konzertberichterstattung, die vor allem davon handeln, wie die Band einzelne Leute aus dem Publikum verprügelt, die mit Dingen werfen. "Danach war dann der Schlußpunkt gesetzt, und ein etwas verwirrtes Publikum verließ mit gespaltener Meinung (oder Schädel) den Saal."

Gut, auch die Stranglers werden älter. Hugh Cornwell, der Gitarrist und Sänger, hat die Band schon lange verlassen, er wird jetzt aber durch Baz Warne ersetzt, bei dem ich zunächst dachte, es sei Cornwell, weil er sich wirklich haargenau so anhörte. Der Schlagzeuger macht keine Touren mehr mit, deswegen saß ein junger Mann an den Drums. Ich habe die famose Idee, meine Runde Bier genau dann holen zu wollen, als die Stranglers anfangen. Die Würger sind traditionell alle in schwarz gekleidet und beginnen mit Duchess, das finde ich nett, weil ich das Lied zumindest kenne. Auf der Best of bis 1981 ist das eines der ruhigeren Lieder, hier wird es allerdings ziemlich durchgebollert. Ich finde das nicht schlecht, der Rest der Truppe ist allerdings nicht ganz so begeistert. Es folgen netterweise alle Hits wie Hanging Around, No more heroes, Nice and Sleazy, zwischendrin dann auch mal die ganzen radiotauglichen Sachen wie Golden Brown, Always the Sun, Life shows no mercy und Skin deep. Danach wird aber weitergebollert. Irgendwann öffnet sich vor uns etwas das Publikum, ich gehe näher zur Bühne, bei dem furchtbaren Walk on by stürze ich mich dann auch in die Hopsermenge, die eine Mischung aus alten Herren und jungen Frauen ist. Mit Walk on by schließt sich ein Kreis des Karmas, vor ein paar Jahrzehnten bin ich mal im Jugendzentrum zum Diensthabenden gegangen, als Walk on by lief, und fragte ihn, ob er den Scheiß nicht ausmachen könne, das Keyboardgedudel sei ja nicht zu ertragen. Ist es auch jetzt noch nicht, ich nahm es aber mal als Buße, der Keyboarder, der früher Prinz-Eisenherz-Frisur und Schnauzbart hatte, sieht jetzt aus wie eine Idealbesetzung für Ebenezer McScrooge.

Der neue Sänger ist herzlich unsympathisch, aber immerhin wurde anders als vor vierzig Jahren niemand aus dem Publikum verprügelt, sondern er machte sich bei einer Ansage nur lustig über die Leute, die sich irgendwo hingesetzt hatten. Theatralisch zeigte er auf die Leute, die "beim Rockkonzert sitzen, hinten, links, rechts", nett fand ich, dass die jeweils Angesprochenen freundlich zurückwinkten. Geht doch. Bei Peaches fand ich mich dann neben vielen hopsenden jungen Frauen; ich versuchte kurz darüber nachzudenken, ob es jetzt eine gute oder schlechte Sache sei, dass junge Frauen zu so einem schäbigen misogynen Machwerk (das leider recht eingängig ist) tanzen, kam aber zu keinem Ergebnis, und war froh, als es vorbei war. Danach gab es allerdings noch einige Lieder, zu denen man ohne schlechtes Gewissen hopsen konnte (bzw. bei denen ich den Text noch nie verstanden habe), dabei trat mir irgendjemand gegen den Knöchel, ich torkelte gegen ein paar andere, die mich sofort wieder in die Tanzfläche zurückschubsten - aber alles ganz harmlos, anders als 1979. Deswegen gibt es auch von mir kein Schlußwort wie damals von Ludwig Karnickel, der die goldenen Worte sprach: "Beguckt euer Gesicht noch mal gründlich im Spiegel, auf dass ihr euren Kindern später auch ruhigen Gewissens sagen könnt, dass ihr früher auch mal eine richtige Nase im Gesicht hattet."

Ein schönes Konzert.

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