Sonntag, 14. September 2014

52 Bücher: Der Daumen des Ingenieurs

1. Wieder ein neues Motto, um Bücher vorzustellen: Physik. Hrrmpf. Danke, Katrin! Meine Physikbücher habe ich schon lange nicht mehr, in der Schule haben wir von Dürrenmatt "Die Physiker" gelesen, aber auch da keine rechte Erinnerung mehr. In Erinnerung geblieben ist mir allerdings der Satz aus Dürrenmatts Dramentheorie, dass eine Geschichte erst dann zu Ende erzählt ist, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Den bringe ich gelegentlich in Projektmeetings in der Arbeit an.

2. Bei Physik könnte man ja auch den "Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil anbringen, der immerhin als zweiten Satz hat: "Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit." (gut, Meteorologie ist ja auch so eine Art Physik) und am Ende der ersten Seite die der Optik zuzuordnende Frage aufwirft: " Es wäre wichtig, zu wissen, warum man sich bei einer roten Nase ganz ungenau damit begnügt, sie sei rot, und die danach fragt,welches besondere Rot sie habe, obgleich sich das durch die Wellenlänge auf Mikromillimeter genau ausdrücken ließe; ..." Nun liebe ich das Buch, muss aber zugeben, dass ich herzlich wenig davon verstanden habe. Nicht die beste Ausgangslage für eine Buchvorstellung, will mir scheinen.

3. Aber da kam mir der rettende Gedanke: Der Daumen des Ingenieurs! Da ist der Ingenieur schon im Titel, es geht u.a. um eine hydraulische Presse, was will man denn noch mehr an Physik haben. Das Buch, in dem sich diese Geschichte, die jetzt etwa 120 Jahre alt ist, findet, heißt "Die Abenteuer des Sherlock Holmes" von Arthur Conan Doyle. Es war der erste Sammelband der Erzählungen, die Doyle im Strand Magazine monatlich veröffentlicht hatte. Doyle war in Edinburgh geboren, hatte dort auch Medizin studiert. Ich habe im Old College dort auch mal ein Jahr studiert, wenn auch nicht Medizin. Als ich die Geschichte zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich mir den Sammelband "Sherlock Holmes Geschichten" aus unserer Bibliothek ausgeliehen, ich weiß nicht, wie oft ich mir diesen Band durchgelesen habe. Die Geschichte war auch in einer Taschenbuchausgabe von Holmes Geschichten, die in einem Jugendbuchverlag erschienen ist. Ich habe damals mit 10-15 alle Kriminalkurzgeschichten durchgelesen, die ich in die Finger bekommen konnte, Sherlock Holmes, Pater Brown, Lord Peter Wimsey, Hercule Poirot, habe sie alle geliebt und erst mit etwas Abstand verstanden, wie unterschiedlich die Autoren und ihre Weltsicht waren.

4. Holmes ist auf jeden Fall ein Mann der Wissenschaft. Er atmet das ausgehende 18. Jahrhundert, in dem die Ingenieure übernahmen und alle überzeugt waren, die Probleme der Welt ließen sich durch Technik lösen. Und was für wunderbare Dinge wurden damals erfunden! Holmes ist durch und durch rational, im Glauben an die Logik und Deduktion. Wir Spätergeborene haben dann schon gesehen, wie dieser Fortschrittsglaube an die Wand gefahren ist.

5. Die Geschichte beginnt damit, dass ein Ingenieur zu Dr. Watson kommt, dessen Daumen bei seiner Flucht aus einem Haus abgerissen wurde. Er sollte dort eine hydraulische Presse reparieren. Der Ingenieur wußte weder, wo das Haus war, noch hatte er eine Ahnung, wie er seine traumatischen Erlebnisse dort einordnen sollte. Holmes hört sich das Ganze an und findet dann für alles eine Erklärung. Als Kind habe ich immer den Schlußdialog geliebt, in dem sich zunächst der Ingenieur (nicht ganz zu unrecht beklagt), dass er bei dem Abenteuer seinen Daumen eingebüßt habe und auch das versprochene Honorar nicht bekommen habe. Er fragt: "Und was habe ich gewonnen?" Und Holmes antwortet: "Erfahrung." In meiner Jugendausgabe war da tatsächlich Schluß, inzwischen habe ich eine bessere Übersetzung und musste zu meinem Leidwesen feststellen, dass der Schluß sich  originalgetreu so liest: " Erfahrung", sagte Holmes lachend. "Das könnte indirekt sehr wertvoll sein, wissen Sie; Sie brauchen das Erlebnis nur in Worte zu fassen, um bis an Ihr Lebensende den Ruf zu genießen, dass Sie ein ausgezeichneter Gesellschafter sind." Hrrmpf. Vielleicht hat Doyle ja Zeilenhonorar bekommen, der wortkarge Holmes hat mir besser gefallen.

6. Die Geschichten sind auf jeden Fall und immer noch lesenswert und haben trotz ihrer Zeitgebundenheit die letzten 100 Jahre besser überstanden als manches andere Werk. Als E-Books werden sie manchmal verschenkt, das sind dann aber zumeist Übersetzungen, bei denen es der Sau und dem Leser graut.

3 Kommentare:

  1. Die Sache mit der schlimmstmöglichen Wendung werde ich mir merken. Klingt so, als wurde diese Weisheit für die Anstalt erfunden... Wäre die perfekte Anmerkung am letzten Donnerstag in einem Meeting gewesen, aber ich glaube, ich habe mich auch so schon nicht gerade beliebter gemacht. :-)

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  2. Klasse! A.C. Doyle ist wirklich ein Klassiker (ebenso wie E.A. Poe) und diesen 'Daumen des Ingenieurs' muss ich unbedingt mal verschlingen ... ;)

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  3. Oh Gott.. Bei welcher Woche sind wir inzwischen? Mistmistmist. Ich habe noch jede Menge nachholposts vor mir. Hmpf.

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