Dienstag, 25. November 2014

Riot

Anfang der Achtziger hörte ich zum ersten Mal die Dead Kennedys, ich glaube, das war meine erste Berührung mit amerikanischem Punk jenseits der Ramones. Eine meiner ersten Singles war "California uber alles". Die Musik war brachialer als alles, was man vorher gehört hatte, dabei aber auch innovativer und jenseits der normalen Punkklischees. Die Texte, gesungen von einem manischen Sänger, waren auch politisch hintergründiger als man das gewohnt war (soweit man das mit drei Jahren Schulenglisch beurteilen konnte).

Die zweite Dead Kennedys-LP "Plastic Surgery Disasters" (in der 17 km entfernten kreisfreien Stadt im einzigen Plattenladen als spanische Pressung gekauft) ist für mich immer noch eine der besten Punk-LPs. Die Dead Kennedys pflegten immer eine Art der politischen Satire, die zwar einigermaßen grobschlächtig, aber trotzdem intelligent war. Die LP stellt für mich eine Art Panoptikum der amerikanischen Gesellschaft Anfang der Achtziger dar. In "Terminal Preppie" wird ein College-Student beschrieben, der studiert, weil es eben cool ist und weil er später einen gutbezahlten Job haben will. "My ambition in life/is to look good on paper". "Trust your mechanic" nimmt das Bild eines Handwerkers, der ein Teil reparieren und gleichzeitig ein anderes lockert, damit man bald wieder zur Werkstatt muss, um das Gesundheitswesen zu beschreiben. Beide Lieder zeigen die Verachtung der Band für Leute, die eine Beschäftigung nur für Geld ausüben; wie manches andere bei den Dead Kennedys eigentlich ein konservativer Standpunkt. Der "Well paid scientist" beschreibt den gut bezahlten Wissenschaftler, der für ein großes Unternehmen arbeitet, aber gar nicht so richtig weiß oder vielleicht auch nicht wissen will, für was seine Erkenntnisse eingesetzt werden. Der Refrain "Something is wrong here/ you won't find it out, no way" begleitet mich über die letzten Jahrzehnte. In "Forest fire" verursacht ein Villenbesitzer einen Waldbrand und stellt fest, dass sein wie eine Festung ausgebautes Haus jetzt zu einem Gefängnis in den Flammen wird. Etwas leichtere Satire in "Buzzbomb" und "Winnebago Warrior", über einen Autonarr und einen Campingfreund mit Wohnmobil (Winnebago). ("feed doritos to the bears"). "Halloween" , auch ein Klassiker, beschreibt einen Typen, der immer nur an Halloween aus seinem langweiligen Leben ausbrechen kann und ansonsten schön konform lebt. Denn "what will your boss say to you? and what will your girlfriend say to you?".

Die zweite Seite beginnt mit "Riot", dem Stück, dem dieser Eintrag eigentlich gewidmet ist. "Riot" ist eine lange Beschreibung von Randale in den Städten; ich habe in den letzten Tagen, als ich über Ferguson gelesen habe*, oft an das Stück denken müssen. Es beginnt ruhig, aber: "Everyone knows this town is gonna blow". Und schon geht es los mit der Randale, Adrenalin, zerschlagene Scheiben, noch spielt man mit der Polizei Katz und Maus. Weil die besseren Viertel zu gut bewacht sind, setzt man die eigene Nachbarschaft in Brand. So langsam ändert sich das Kräfteverhältnisse, Barrikaden tauchen auf, besser ausgerüstete Polizei, Rückzug, noch die letzte Gelegenheit, Schaden anzurichten, das Adrenalin verfliegt, die Musik wird wieder ruhiger und das Fazit, das schon von Anfang an im Refrain gezogen wurde, wird wiederholt: Tomorrow you're homeless, but tonight it's a blast. War's das wert? In dem Lied hielten die Dead Kennedys ähnlich nüchtern dem jugendlichen Randalierer den Spiegel vor's Gesicht, wie sie's in den anderen Songs mit anderen Beispielamerikanern getan hatten. Die Botschaft war nicht unbedingt eine friedliche, sondern eher: Erreicht man auf diese Weise etwas oder schadet man sich nicht eher selber?


Musik, die anstrengend und beunruhigend ist, aber für mich auch immer ein Beispiel dafür, was Punk sein konnte.

*Wie in meinem Wohnzimmer bleiben hier im Blog auch manchmal Sachen etwas liegen... Aber wenn man die Sachen lange genug liegen lässt, sind sie auf einmal wieder aktuell...

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