Montag, 23. Oktober 2017

Armagideon Time

Mal wieder ein bisschen zu den Briten. Ich muss sagen, dass es derzeit nicht sonderlich hilfreich für das Wohlbefinden ist, sich eingehender mit der britischen Politik zu beschäftigen, insbesondere wenn man - wie ich - an enttäuschter Liebe zum UK leidet. Als ich mich vor knapp zwanzig Jahren für meinen ersten Job in Berlin beworben habe, unterhielt ich mich mit meinem zukünftigen Chef, der - wie ich - ein Jahr als Student im UK verbracht hatte. Wir waren uns einig, dass man, wenn Deutschland wieder auf schlechte Wege käme, immer einen sicheren Hafen im UK hätte. Tja.


Wo stehen wir? Die Briten haben Ende März mit ihrer Art. 50 Notifikation praktisch jeden Hebel aus der Hand gegeben, den sie in dem Prozess hatten. Bis zu der Notifikation konnten sie den Zeitplan bestimmen, jetzt läuft die Zweijahres-Frist, und sie läuft gegen die Briten.

Der Brexit war anfangs sicher auch so geplant, dass er der Anfang einer euroskeptischen Austrittswelle sein sollte, Brexit, Frexit, Nexit... Danach hätte die EU - nach Vorstellung der Initiatoren - als reiner intergouvermentaler Handelsblock neu geschaffen werden können. Das hat so unmittelbar nicht geklappt, nicht zuletzt, weil sich die Briten als abschreckend unfähig erwiesen haben, hier ein Vorbild zu sein. Man muss abwarten, wie und ob die EU die mittelbaren Folgen übersteht.

Nun hätten die Briten ihr Votum in einer Weise umsetzen können, die formal zu einem Austritt aus der EU führt, die aber die wirtschaftlichen Folgen abfedert. Das hätte erfordert, dass
die Briten  dem Beispiel Norwegens, Liechtensteins und Islands folgen und über die EFTA Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums bleiben (eine in vielerlei Hinsicht unbefriedigende Situation, die aber die Zusammenarbeit in Innen- und Justizpolitik, die gemeinsame Agrarpolitik und Fischereipolitik beendet hätte). Diese Möglichkeit, die auch die einzige Variante wäre, in der man einen einigermaßen geordneten Übergang schaffen könnte, hat T. May durch verschiedene rote Linien in der Verhandlung aber explizit ausgeschlossen. Was die Briten eigentlich wollen, wissen sie gerade nicht mal selbst - jede Entscheidung für eines der Modelle der künftigen Zusammenarbeit würde die Konservativen in einen selbstzerstörerischen Streit stürzen. Man nimmt deswegen fassungslos zur Kenntnis, dass die Frage, welches Modell der Zusammenarbeit mit der EU gewählt werden sollte, im britischen Kabinett noch gar nicht besprochen wurde - man müsste sonst Rücktritte befürchten.

Die Verhandlungen laufen derweil nicht gut. Während nach dem Referendum noch gesagt wurde, es würden die schnellsten Verhandlungen überhaupt, da die EU auf die Briten angewiesen sei und deswegen allen Wünschen nachgeben werde, stellt man jetzt fest, dass dem doch nicht so ist. Nun ist die Mehrheitsmeinung, dass die EU erpresserische Verhandlungsmethoden nutze und dass die EU offenbar gar nicht an Verhandlungen interessiert sei (im Gegensatz zu den fairen und vernünftigen Briten, die immerhin Europa in den letzten 100 Jahren zwei Mal gerettet haben).

Eine wachsende Strömung der Politiker im UK plädiert deswegen für "No deal". D.h., man bricht die Verhandlungen ab, kommt zu keiner Übereinkunft und ist dann ab Ende März 2019 von allen europäischen Fesseln befreit, zahlt vor allem keinen Pfennig mehr. Das ist eine wahnsinnige Idee, die katastrophale wirtschaftliche Auswirkungen hätte. Weite Teile des öffentlichen Lebens kämen zum Erliegen (ich fange erst gar nicht damit an, was das im Einzelnen bedeutete). Aber, wie gesagt,  im UK ist das gerade eine Idee, die eine große Anhängerschaft hat. Die Briten könnten sich damit trösten, dass sie nicht nur ihre eigene Wirtschaft schädigen würden, sondern auch der EU (wenn auch lang nicht in dem Maße wie den Briten) schaden könnten.

Dieser selbstmörderische Zug der britischen Politik wird m.E. in Deutschland gar nicht so richtig wahrgenommen, weil man sich eben nicht vorstellen kann, dass irgendjemand im Ernst eine solch schädliche Politik verfolgen könnte. Aber es ist so. Bleibt die Frage, warum? Zum einen spielt hier sicher eine britische Selbstüberschätzung mit, die immer noch in imperialen Träumen hängt. Aber kann das zu einer kompletten ökonomischen Verblödung einer eigentlich wirtschaftsfreundlichen Partei führen? Mir drängt sich immer mehr der Gedanke auf, dass hier Leute am Werk sind, die sowohl den Briten als auch der EU maximalen Schaden zufügen wollen. Unter den Beratern der britischen Regierung findet sich z.B. ein Think-Tank, der einen Disaster Kapitalismus vertritt. D.h., für Leute arbeitet, die in Krisenregionen billige Assets kaufen, um sie später mit Gewinn verkaufen zu können. Von den kommendem Tumult könnten sicher einige profitieren. Wenn sich das weiter so entwickelt, lässt sich das Ganze aber nur noch mit Verschwörungstheorien erklären. Wenn man sich ein paar Verbindungen einiger der Protagonisten ansieht, drängen sich verschiedene Dinge auf.

Man darf nicht annehmen, dass die Briten (mehrheitlich) zur Vernunft kommen. Wenn das alles schief geht, sind die bloody foreigners schuld, die EU-Diktatoren und natürlich Merkel, die sozialistische Nazidiktatorin, die nach Auffassung vieler Briten für alles verantwortlich ist, was passiert und was nicht passiert. Wenn die Briten aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs in einen Kompromiß gezwungen werden, wird das das Land zerreißen.

Das alles nimmt kein gutes Ende mehr. Die Briten werden in die Geschichte eingehen als das Volk, das das eigene Haus anzündete, weil dann vielleicht auch das Haus des Nachbars zu brennen beginnen könnte.

(Ich habe auf Links oder Quellen verzichtet, liefere bei Interesse gerne nach. Wer meint, das sei alles übertrieben: leider nicht.)


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