Samstag, 21. Oktober 2017

Die Ente, die eigentlich eine Maus war

Die Donaldisten haben ein nettes Buch herausgegeben, eine Sammlung von Donald Duck-Geschichten, die im englischen Mickey Mouse Weekly in den Jahren 1937-1940 veröffentlicht wurden und von dem britischen Zeichner William Ward gezeichnet wurden.

Die Geschichten sind schon deswegen interessant, weil die amerikanischen Micky Maus-Comics zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich als Zeitungscomics stattfanden. Es gab zum einen den täglichen Micky Maus-Abenteuerstrip, der seit den frühen 30ern von Floyd Gottfredson gezeichnet wurde, und den täglichen Donald-Strip, der vor allem von Al Taliaferro gezeichnet wurde. Während die Micky-Geschichten sich teilweise über halbe Jahre hinstreckten, waren die Donald-Geschichten kurze Gag-Strips, die meist nur aus wenigen Panels bestanden. Ausführlicheres Donald-Material gab es damals nur in den zahlreichen Kurzfilmen. Das Entenhausener Universum, mit den ganzen Nebenfiguren, wurde in den Comics erst in den Vierzigern durch Carl Barks entworfen.

In dem britischen Mickey Mouse Weekly wollte man aber nun eigenes Donald-Material, zusammenhängende Geschichten, mit jeweils einer Seite pro Woche. Woran orientierte sich nun William Ward? Wenig überraschend nahm er die Donald-Kurzfilme als Inspiration. Die erste Geschichte heißt Donald und Donna, die weibliche Hauptfigur Donna tauchte 1937 in dem Kurzfilm "Don Donald" auf. (Daisy hatte, soweit ich das sehe, erst 1940 ihren ersten Auftritt in dem sehr schönen Film "Ein Tänzchen mit Daisy".) Die Geschichte beginnt sehr britisch, Donald bringt Donna als Geschenk Räucherhering (Kippers) mit, sie ist nicht begeistert, also verspricht er ihr, Diamanten zu besorgen. Das hört ein Ganove, es folgt eine Verfolgungsjagd, verschiedene Entführungen, Schatzsuchen auf afrikanischen Inseln, auf knapp 14 Seiten. Den Ganoven Squinch hat sich Ward aus den Micky-Comics von Gottfredson geborgt, er taucht zum ersten Mal 10.9.1934 in der Geschichte "Bobo, der Elefant" auf. Auch die Darstellung der "Wilden" auf den afrikanischen Inseln ist leider nicht weniger von rassistischen Stereotypen geprägt als die in den amerikanischen Comics der Zeit.


Ward ließ Donna nach der ersten Geschichte fallen, Donalds Begleiter wird nun ein Matrose Mac (der eine britische Neuschöpfung ist). Die Geschichten bleiben slapstickartig, allerdings bleibt die Notwendigkeit, längere Erzählungen zu etablieren. Ward bleibt bei den Abenteuergeschichten, mit leichten Detektivanteilen. Interessant ist, wie sich das auf Donalds Persönlichkeit auswirkt. In den Kurzfilmen ist Donald ein jähzorniger Pechvogel, der im Kampf mit sich und der Umwelt ist. Dies findet sich auch in den Strips von Al Taliaferro. Carl Barks hat später Donald in ein festes soziales Gefüge aus Neffen, Onkeln, Freundinnen und Rivalen gestellt, das die Folie zu seinen wütenden Kleinbürgereskapaden darstellte. Für die Abenteuergeschichten war Dagobert Ducks Geldgier immer der Ansporn. Barks Geschichten waren auch immer gut durchkomponiert, mit einem Plot, der sich folgerichtig von Anfang bis Ende entwickelte. Ganz anders die langen Zeitungscomics von Gottfredson, bei denen man sich vor allem am Anfang und dann in den Vierzigern fragen musste, ob die Autoren sich am Ende eigentlich noch daran erinnerten, wie das Ganze begonnen hatte.

Ward orientierte sich bei seinen Geschichten klar an den Zeitungscomics. Wichtig war ein Cliffhanger am Ende jeder Seite, ausreichend Spektakel, weniger eine klar durchkomponierte Struktur. Wenn man sich die Asterix oder Spirou und Fantasio- Geschichten ansieht, die auch ursprünglich wöchentlich mit einer Seite veröffentlicht wurden, merkt man einen deutlichen Unterschied.

Der Donald des Mickey Mouse Weekly unterscheidet sich nur wenig von dem Micky Maus der frühen Zeitungscomics. Eine etwas alberne Hauptfigur, die interessante Abenteuer besteht. Die Nebenfigur Mac bleibt einigermaßen blaß, ähnlich wie Mickys erster Kumpan, Horaz Pferdehalfter (Goofy kam erst später als Nebenfigur als Micky immer erwachsener und vernünftiger wurde). Für Donaldisten ist das natürlich enttäuschend, da die vernünftige und langweilige Maus immer das Feindbild bleibt.

1938 schickt Ward Donald und Mac nach England, in der Geschichte "The Mystery of Merlyn Towers". Hier lässt sich schön sehen, wie Ward sich an Gottfredsons Material orientiert, aber ganz neue Dinge schafft. In dem englischen Schloss scheint es zu spuken, Donald und Mac stellen aber bald fest, dass hinter dem Spuk Gangster stecken, die es auf wertvolle Gemälde abgesehen haben. Eine Spukgeschichte hat auch Gottfredson zwei Jahre vorher mit dem "Haus der sieben Geister" geliefert (eine der schönsten klassischen Micky-Geschichten, vor allem, weil hier Micky, Goofy und Donald als Detektive vereint sind). Auch hier sind die Geister in Wirklichkeit Gangster, allerdings Schmuggler.

Wenn man sich ein paar Panels ansieht, gewinnt man den Eindruck, dass Ward die Gottfredson-Vorlage genau begutachtet hat.




(Interessant ist, dass Donald mit einem Kamin, aus dem er gerade herausgeklettert ist, abstürzt, der dann aber doch - wie im Gottfredson Vorbild - wie ein Regen-Fallrohr befestigt ist.)

Die Ward'schen Donald-Geschichten enden dann auch 1940 mit einer freien Nacherzählung einer Gottfredson Geschichte - aus der "Wolkeninsel" wird "Dr. Einmugs Sklave". (Ein Scherz, den ich auch erst Jahrzehnte später verstanden habe. Der Wissenschaftler bei Gottfredson und Ward heißt "Einmug". Der Witz erschließt sich nur, wenn man weiß, dass die Briten und Amerikaner der Auffassung sind, dass ein Bierkrug in Deutschland "Stein" heißt. Aus dem "Stein" wird im Namen also die "Mug" (Teetasse)).


Es gäbe noch genügend Aspekte der Geschichten von Ward, die man auf Einflüsse und Vorbilder untersuchen könnte. Vielleicht ein andermal. Allerdings muss man darauf hinweisen, dass Ward vor allem gegen Schluß eine fantastische Welt entworfen hat, die im sonstigen Disney-Universum keine Entsprechung hat. 




(Bildnachweis: Alle Copyright Walt Disney; Bilder von Donald von William Ward, Donaldist Sonderheft Extra, Bilder von Micky, aus Fantagrafics, Floyd Gottfredson Mickey Mouse).  

Hinweis: Eine Einführung zu Floyd Gottfredson findet man  in diesem Beitrag, zu seinen Comics im Zweiten Weltkrieg hier, zu seiner Figur Gamma hier, zu einem Vergleich seiner Zeitungscomics und der Nachzeichnungen für die Nachkriegscomichefte hier.

11 Kommentare:

  1. Oh, ich wusste das alles gar nicht. Haben Sie das höchstselbst so recherchiert? Und das mit dem Einmug selbst herausgefunden?

    Ich bin ja seit meiner Kindheit schwerstens in Donald verliebt. Einfach so und ohne Kenntnis über die Entwicklung der Figur. Die Zeichnungen von Barks haben mir immer am Besten gefallen und da ist auch schon Ende mit meinem "Wissen". Deshalb: besten Dank für diesen interessanten Beitrag, den ich unbedingt noch einmal lesen werde!

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    1. Zusammengekramt aus verschiedenen Büchern, nachgelesen; alles, woran ich mich glaubte zu erinnern, stimmte so nicht. Gottfredson ist ein Lieblingszeichner seit Jugendzeiten.

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    2. Micky gefällt mir bei Gottfriedson auch am Besten, und die Verbrecher, als Vorbilder der Panzerknacker - wie englische Bulldoggen.

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    3. Das wäre auch mal ein Thema: Gottfredsons Gangster - mehr Ratten oder mehr Hunde?

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    4. Sagen Sie es mir. Sie sind der Comic-Experte.

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    5. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht setze ich mich mal mit einem Stapel Bücher hin und finde es raus.

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    6. Ich hab mir jetzt mal 1930-35 durchgesehen: Kater und Ratten. Hunde nur gelegentlich.

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    7. Leben Sie eigentlich in einem schloss mit einer riesigen Bibliothek, oder wie kann es sein, dass Sie zu allem die passende Literatur griffbereit haben?

      Kater hätte ich nun nicht gedacht. Gibt doch eigentlich nur den dicken Carlo, oder?

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    8. Karlo (auf englisch Pegleg Pete) war am Anfang alles andere als dick. Holzbein, schlanke Taille und breite Schultern. Es gab z.B. noch Cat Nip, der Micky immer Knoten in den Schwanz machte. Wenn ich mal Zeit habe, stelle ich die Burschen zusammen (wobei es schon schwierig ist, bei Comicfiguren die Spezies zu bestimmen).
      Vergessen habe ich noch die Affen. Es gibt einmal drei verrückte Affen, die die Menschheit versklaven wollen.
      Meine Bibliothek ist zwar nicht klein, aber reüberschaubar. In Bezug auf ein paar Dinge, die mich interessieren, bin ich aber ganz gut ausgestattet, dazu gehören halt auch Zeitungscomics der Dreißiger.

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  2. Als KIND nie genug Geld hatte, für diese Comics... seufz ;)

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    1. Ich habe mein Taschengeld dafür eingesetzt (bis dann Schallplatten kamen).

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