Mittwoch, 23. Dezember 2020

24. Das große Finale

Und schon sind wir am Ende des musikalischen Adventskalender, der ja der Musik gewidmet war, die ich 2020 besonders häufig gehört habe. Da ist es relativ selbstverständlich, dass eigentliche Weihnachtsmusik noch nicht dabei war. Das wollen wir heute nachholen. Zu den bisher neun vertretenden Ländern, aus denen die Musik kommt, kann ich dann noch ein zehntes hinzufügen und außerdem die Gelegenheit nutzen, den Ex-Nachbar, der sich allerdings inzwischen in den Prenzlauer Berg geflüchtet hat, hier wieder einmal vorkommen zu lassen. 

Also, her mit der Weihnachtsmusik! Alle Gäste noch einmal auf die Bühne! Wir fangen an in Berlin, mit Gurr, die sich für das Weihnachtsfest Eddie Argos geholt haben. Das Lied ist zwar schon zwei Jahre alt, ich finde es immer noch gut. 


Weiter mit den verehrten Sonic Boom Six, deren Weihnachtslied allerdings nicht mit den geltenden Besuchsbeschränkungen vereinbar ist. Macht nix, es ist immer Weihnachten, wenn ich an dich denke. 


Ganz neu ist die Variation des Klassikers Fairytale of New York von Grace Petrie, die beweist, dass man den Schlagabtausch auch zwischen zwei Frauen spielen lassen kann. 


Schließlich, damit neben Deutschland, Dschibutti, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Israel, Kenia, Österreich und den USA noch ein zehntes Land in dem Liederreigen vertreten ist, die alten Favoriten von Ebba Grön, die - das ist Punkrock, Alter - eine eher schwierige Fassung des schwedischen Weihnachtslied "Nun lasst uns tausend Weihnachtskerzen anzünden" aufgenommen haben. Das war das letzte Lied auf der "Samlade Singlar 78/82", die ich in mehrfacher Ausführung kaputtgespielt habe. Irgendwann fing die Platte an, in dem abschließenden Lalalala zu hängen, so dass man unendlichen Engelsgesang hatte. Den wünsche ich Euch auch allen!

Dienstag, 22. Dezember 2020

23. Christiane Paul

 Der Adventskalender soll ja vor allem die Musik, die ich im letzten Jahr gehört habe, darstellen. Dazu gehören merkwürdigerweise auch die Zimmermänner, die mir eigentlich immer ein bisschen zu schlau waren. Letztes Jahr, auf dem Liga der Gewöhnlichen Gentlemen-Konzert, war allerdings Timo Blunck von den Zimmermännern Ersatzgitarrist und ich habe mir wieder mal ein paar Sachen rausgekramt. 

Im Herbst blieb ich dann bei dem eher älteren Lied "Christiane Paul" hängen, vor allem, weil wir die nette Fernsehserie "Parlament" angesehen haben, in der Frau Paul eine ziemlich furchterregende Mitarbeiterin im Europäischen Parlament spielt (wenn das noch in der Mediathek ist, kann man sich ein paar lustige Stunden damit machen).

Einem früheren Freund ist Christiane Paul einmal bei einer Party auf die Hand getreten, als er auf dem Boden saß und sie in das Zimmer kam. Seine schmerzerfüllte Ansprache verstand sie wegen der lauten Musik nicht und dachte, es sei eine schlechte Anmache. Sonst weiß ich nichts über Frau Paul, also abgesehen davon, was die Zimmermänner so über sie singen. 

 

 

 

Montag, 21. Dezember 2020

22. Corona

Heute vor 35 Jahren starb der Minutemen-Gitarrist D Boon mit 27 Jahren bei einem Autounfall. Was hätte er noch alles an Musik gemacht, wenn er noch bei uns wäre? Er fehlt.

Das Lied heißt Corona, nach dem mexikanischen Bier, der Text handelt von Pfandflaschensuchern in Mexiko. 5 cent deposit. 



Sonntag, 20. Dezember 2020

21. Abschließend möchte ich sagen

Spotify sagt, En katakleidi sei das Lied, das ich 2020 am häufigsten gehört habe. Pavlos Sidiropoulos höre ich ja ohnehin gerne, dieses Lied kannte ich vorher noch gar nicht, es wurde mir in irgendeine Playlist geschwemmt. Ich mag diesen sanften Anfang, die nette Instrumentierung. Der Internetübersetzer sagt, der Titel bedeute "Abschließend möchte ich sagen". Was sich mild und altersweise anhört, passt allerdings ganz gut in dieses furchtbare Jahr. (Manchmal weiß ich nicht, ob die neuen Übersetzungsmöglichkeiten Fluch oder Segen sind.) 

Man kann für das am häufigsten gehörte Lied des Jahres eine deutlich schlechtere Auswahl treffen. 

Samstag, 19. Dezember 2020

20. Nicht auf Tour

 Die israelische Band Not on Tour gibt es zwar schon einige Zeit, 2020 haben sie aber das allgemein gültige Bandshirt. Niemand ist auf Tour.



Ich mag diesen melodischen Hochgeschwindigkeitspunk sehr gerne, in den jeweils knapp über eine Minute langen Liedern passiert mehr als auf manchem ganzen Album. Das Stück heißt Therapy, und dieses Jahr macht uns ja alle wahnsinnig.


19. Die mondlose Nacht

Dieses Lied ist hier auch schon früher aufgetaucht, aber ich habe dieses Jahr noch einmal ein bisschen mehr Stella Haskil gehört. Ihre besten Lieder hat sie in den späten 40ern aufgenommen. 

Das Lied stammt aus der Zeit des griechischen Bürgerkriegs, es handelt von einem Jungen, der in Thessaloniki im Gefängnis sitzt, durch das schmale Fenster der Zelle kommt nicht einmal das Licht des Mondes. 

Ein eindringliches und schwermütiges Lied. (Wer eine modernere Fassung bevorzugt, diese hier mit Katerina Pachaki fand ich auch recht gelungen.)

Donnerstag, 17. Dezember 2020

18. Mit diesen Schuhen? Ich glaube, eher nicht

Heute vor 20 Jahren starb Kirsty MacColl bei einem Bootsunfall, viel zu früh mit 41 Jahren. Viele werden sie kennen, weil sie eine Coverversion von Billy Braggs "A new England" aufgenommen hat, die recht erfolgreich war, viele von ihrer Mitwirkung beim "Fairytale of New York" der Pogues.

Ich mag aber dieses etwas schräge Lied über Schuhe und Briten und sexuelle Verirrungen noch lieber. Lautstärke auf!



Mittwoch, 16. Dezember 2020

17. Was kann ich schon sagen?

Auch Skinny Lister hätte ich mir dieses Jahr noch einmal live angesehen (Die letzte Konzertkritik für die Band hatte hier im Blog die Überschrift "Angriff der Polka-Frauen"). So habe ich von ihnen nur ein Lockdown-Video gesehen, in dem Sängerin und Gitarrist zusammen vor dem Computer gesungen und gespielt haben, die Sängerin Lorna mit einem kleinen Kind, das über die Schulter gelegt schlief. Auf vielerlei Weise anrührend. Die Band hat als Kontrast gerade ein neues Lied aufgenommen, das Video ein Zusammenschnitt der wilden Konzertszenen, ein Versuch, die Energie im Lockdown aufrecht zu erhalten. Aber da wird man noch warten müssen. 

Tja, was kann man sagen? Es folgt eine für die Band eher ruhige Nummer. Hoffentlich sieht man sich im nächsten Jahr. 

Dienstag, 15. Dezember 2020

16. Niemandsland

Noch einmal die fantastische Helen McCookerybook, diesmal mit einem Stück der im Dezember erschienen EP "Equal Parts" die sie gemeinsam mit Robert Rotifer, den ich ja auch sehr schätze und gerne höre, aufgenommen hat. 

Zweisprachiger Pop, in einem schönen Sixties-Arrangement. 

Definitiv stimmungsaufhellend. 



Montag, 14. Dezember 2020

15. Track a Lackin'

 (Bei diesem Lied habe ich schon das erste Mal, als es im Blog auftauchte, den Titel nicht übersetzen können. Also bleibt es bei der englischen Überschrift.)

Die zwei Schwestern von Xylaroo haben gerade auch neue Lieder veröffentlicht, z.B. Wild Woman,  das sich gut hören lässt, mein Herz hängt allerdings an den Liedern der Sweetooth-LP.  Das erste Stück, Track a lackin mag ich am liebsten.  

Das Video beginnt relativ albern, wird dann aber doch noch einigermaßen gruselig, wie es sich auch für ein Lied gehört, in dem der Teufel ein und aus geht. 


Sonntag, 13. Dezember 2020

14. Die tanzenden Teufel von Dschibuti

So heißt eine LP der Gruppe RTD aus Dschibuti, die dieses Jahr herausgekommen ist. Die Gruppe ist anscheinend die Stammband des staatlichen Fernsehsenders. Die Musik ist schwer zu beschreiben, eine Art Nomaden-Reggae oder Ska. Mir gefällt das sehr gut, für manchen mag es gewöhnungsbedürftig sein (das könnte allerdings auch das Motto dieses Blogs sein). Vielleicht keine Hops-Musik, aber man kann sicher sehr gut dazu langsam durch das Wohnzimmer grooven, wenn man auch so ein tanzendes Teuflein ist.  




Samstag, 12. Dezember 2020

13. Was wird die Edeltraud sagen?

 Noch ein Zufallsfund, den mir Youtube inmitten von anderen österreichischen Liedern untergemischt hat. Ich kenne die Band nicht, sah nur das ernste Setting, die Band im Anzug, am Klavier mit Orchesterbegleitung. Dann greift der Herr in die Tasten und hat den merkwürdigsten ersten Satz, den man sich für ein Lied vorstellen kann. Ich bin ja ein großer Freund des Unerwarteten und mag es, wenn sich Lieder ganz anders entwickeln, als man zunächst denkt. 


Dieses Lied finde ich tatsächlich auch sehr schön, auch wenn mir wirklich vieles noch sehr unklar bleibt. Immerhin kann man das österreichische Wort für Brotzeitbeutel lernen. 

Freitag, 11. Dezember 2020

12. Schwarze Krawatte

 Eigentlich hätte ich dieses Jahr Grace Petrie zum ersten Mal live gesehen. Bislang kannte ich sie noch nicht, sie wäre ein Teil des viertägigen von Frank Turner organisierten Musikfestival in Berlin gewesen. Tja, Karten rechtzeitig gekauft, aber natürlich fand das Konzert nicht statt. Dafür habe ich Grace Petrie mir so angehört und war sehr begeistert. Die neueste LP heißt "Queer as folk" und das gibt schon die Richtung an, LGBTI-Folk. 

Wenige Lieder haben mich in diesem Jahr so begeistert wie Black Tie, eine Geschichte davon, herauszufinden, wer man selbst ist, und warum nicht jeder sich in die Erwartungen der anderen einfügen kann und muss. Dazu noch wundervoll gespielt und gesungen. Auch hier gilt, dass ich hoffentlich das Liveerlebnis noch nachholen kann. 


Donnerstag, 10. Dezember 2020

11. Virus

Sonic Boom Six ist eine der Bands, die mir die Ohren für Musik geöffnet haben, die ich ansonsten nicht gehört hätte. Deswegen liebe ich diese Band und verstehe immer noch nicht, warum sie nicht weiter bekannt sind.   

Schon 2012 haben Sonic Boom Six über den Virus gesungen:

Es ist wie die Krankenschwester, die eine 12-Stunden-Schicht arbeitet, es ist wie 35.000 für eine Flasche Champagner, es ist wie multinationale Gesellschaften, die keine Steuern zahlen, während man die Steuern für die Bankenrettung erhöht, es ist wie der Junior, der die Pfandleihe zerschlägt, es ist wie der Bonus für die Bosse der Firmenfusion. Wie wir nach einer Quarantäne für alle anderen schreien und nicht erkennen, dass wir den Virus selbst haben.

Könnte man prophetisch nennen. Das Lied ist eigentlich eher eine Dance-Nummer, da ich weiß, dass ihr alle eher Old-School seid, verlinke ich die akustische Version. 

 

 




Mittwoch, 9. Dezember 2020

10. Lange Abschiede

Das hatten wir natürlich im Blog schon einmal, aber ich komme daran auch für den Adventskalender nicht vorbei. Zum einen ist die LP von Mr. Alec Bowman "I used to be sad and then I forgot" eine der meistgehörtesten 2020 in unserem Haushalt, zum anderen ist das ein so typisches 2020er Video - Lockdown-Aufnahmen neben den Müllcontainern. An anderer Stelle habe ich schon geschrieben, wie fantastisch ich es finde, wie Josienne Clarke im Hintergrund zuhört, ihren Ring dreht und leise dann den Refrain mitsingt. Groß.  


Dienstag, 8. Dezember 2020

9. Ein gutes Leben mit einem schlechten Apfel

Helen McCookerybook habe ich dieses Jahr zum ersten Mal gehört, bei der Beatles-Coverversions-Aktion zu Ostern. Dabei hat sie schon Ende der siebziger Jahren mit den Chefs und später mit Helen & the Horns tolle Musik gemacht. Ich habe mir über Bandcamp ein paar Sachen von ihr besorgt, mein Lieblingslied "Degas" gibt es leider nirgendwo sonst verfügbar. Ein Lied über den Maler Edgar Degas, das so schön zu seinen Bildern passt, dass ich jetzt keines mehr sehen kann, ohne Helen McCookerybook "Degas, Degas" singen zu hören. 

Helen McCookerybook hat auch ein sehr lesenswertes Buch über die Frauen der ersten Punkwelle geschrieben, "The lost women of rock music".




Heute hören wir ein schönes Stück von ihrer LP "Green", über das Leben mit schlechten Äpfeln. (Später gibt es noch einmal mehr von ihr zu hören.)



Montag, 7. Dezember 2020

8. Alles, was ich habe, bist du

Holy Moly & the Crackers ist ja eine der Bands, die ich dieses Jahr gerne noch einmal live gesehen hätte. Aber da wir 2020 haben, ist daran ja nicht zu denken. Wieder ein Lied, das äußerst geeignet zum Durch-die-Wohnung-Hopsen ist und außerdem eine schöne Botschaft hat. Also: Lautstärke aufdrehen und den/die Liebste über das Parkett zerren.




Sonntag, 6. Dezember 2020

7. Schwarze Weihnacht

Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich Poly Styrene das erste Mal im Fernsehen gesehen habe. Es hatte auf jeden Fall eine unglaubliche Wirkung: Während die Musik ihrer Band X-RaySpex im frühen Punk-Kontext eher unauffällig war, galt das sicher nicht für sie. Wer sie sah, dem war klar, dass ihr vollkommen egal war, welche Erwartungen an Sängerinnen gestellt wurden. Sie machte ihr Ding. "Identity" wird eines meines Lieblingslieder bleiben. 

X-Ray Spex lösten sich bald auf, Poly Styrene nahm immer wieder mal etwas auf, zuletzt 2010. Vom letzten Album stammt die folgende Nummer, ein sanfter Reggae, aber ein trauriges Weihnachtslied. Die junge Frau im Video ist ihre Tochter. Poly Styrene starb 2011 mit 53 Jahren an Krebs. 

 

 

Samstag, 5. Dezember 2020

6. Der Tukan

Viel gehört habe ich in diesem Jahr auch die wunderbare Julii Sharp, obwohl das gar nicht so einfach ist: Man findet von ihr nur ein paar Youtube-Videos. Ich habe sie ja letztes Jahr live gesehen (übrigens findet man über den jeweiligen Tag des Künstlers die anderen Posts im Blog, die von ihnen handeln; so auch die damalige Konzertkritik). 

In den letzten Monaten hat Julii Sharp aber ein paar neue Videos veröffentlicht, eine Liveperformance in einem menschenleeren Auftrittsort in Toulouse, mit guter musikalischer Unterstützung, u.a. auch Kieran Thorpe, mit dem sie damals auch in Berlin aufgetreten ist. Das folgende Lied kommt von diesen Aufnahmen.


Man kann sich auch den ganzen Mini-Gig ansehen.  Demnächst soll es mal eine Single geben, das würde mich freuen. 



Freitag, 4. Dezember 2020

5. An der geisteswissenschaftlichen Fakultät

Spotify hat mir mitgeteilt, dass ich 2020 am meisten Musik von Jacqueline Taieb gehört habe. Das wird nicht ganz stimmen, weil ich Musik ja über verschiedenste Quellen höre. Aber, wie schon anderswo ausgeführt, Mme Taieb ist eine der schönsten Neuentdeckungen des Jahres, auch wenn die Lieder schon älter sind als ich. 

In dem folgenden Stück singt Jacqueline über die geisteswissenschaftliche Fakultät und was man da so macht. Wenn man sich in ein Lied hineinlegen könnte, würde ich das mit diesem sofort tun.  Auf geht es mit ein bisschen Ye Ye.




Donnerstag, 3. Dezember 2020

4. Habe die Ehre!

Über die folgende Band weiß ich überhaupt nichts. Youtube hat sie mir präsentiert, nachdem ich mir einige andere österreichische Sachen angehört habe. Das Lied ist ein schönes Beispiel für die Verwendung von Blasinstrumenten für etwas schmissigere Musik, Brass Banda waren da wohl die ersten. Skolka sind jung und machen Musik, zu der man gut hopsen kann bzw. könnte. 

Wenn man sich das Video ansieht, erschrickt man erst einmal. Kein Abstand, keine Desinfektion. Wie gerne würde ich auch wieder zu einem solchen Konzert gehen, die morschen Knochen schütteln und durch die Gegend hopsen. Ob das nächstes Jahr wieder möglich sein wird?



Mittwoch, 2. Dezember 2020

3. Sünde

Über Twitter wurde mir der kenianische Sänger Billy Black in die Timeline gespült. Er bezeichnet seine Musik als akustischen Soul, es ist sehr beruhigende, klare Gitarrenmusik. Auf Spotify findet man seine letzte (weitgehend englische) Veröffentlichung "From my heart to yours", die ich gerne höre (ein nicht offizielles Video mit einem Lied, das ich auch sehr gerne höre, daraus gibt es hier). Eigentlich ist mir diese Art von Musik normalerweise zu smooth, aber in diesem Jahr kann es ja nicht schaden. Auf Youtube gibt es einen aktuelleren Titel, der wohl in Swahili ist. Wenn das Internet recht hat, bedeutet er Sünde. 


Kann man mal im Auge behalten. (Der Name Billy Black ist natürlich googlemäßig schwierig, da gibt es zu viele.)

Dienstag, 1. Dezember 2020

2. Ouzo, Morphium und Haschisch

Roza Eskenazi ist vor genau 40 Jahren gestorben. Sie wurde Ende des 19. Jhd. in Konstantinopel in einer jüdischen Familie geboren,  Sie war eine der bekanntesten Sängerinnen im Griechenland der 30er Jahre, mit Liedern wie "Warum ich Kokain rauche" und dem programmatischen "Ouzo, Morphium und Haschisch".

 

Zu Zeiten der deutschen Besetzung nutzte sie ihre Stellung und ermöglichte griechischen Juden die Flucht vor den Deutschen.  (Ich weiß nicht, ob sich Griechenlandbesucher auch nur annähernd klar machen, wieviel Leid wir über das Land gebracht haben.)

Sie blieb auch nach dem Krieg bekannt, eine der letzten Aufnahmen ist von 1975 und zeigt eine immer noch beeindruckende Frau. 

Trinken wir einen Ouzo auf sie (Morphium und Haschisch optional)!

Montag, 30. November 2020

1. Das Ziehen der Grenze

Vorbemerkung:

Die letzten Monate habe ich überlegt, hier ein bisschen etwas von der Musik einzustellen, die mich über dieses Jahr gebracht hat. Meine Kapazitäten sind aber meist schon davon überlastet, dass ich den Erstblog einigermaßen bestücke.  Aber: Warum nicht einen musikalischen Adventskalender? Das zwingt einen zumindest dazu, regelmäßig zu posten. Im Nachhinein machen die Posts ja immer auch Spaß, z.B. wenn man in Twitter-Diskussionen darauf hinweisen kann, dass man schon vor Jahren die Abhandlung über den Waschbär in der Populärmusik geschrieben hat. Aber wer soll's lesen?

Hüsker Dü haben das Problem schon zu Zeiten erkannt, als es noch keine Blogs gab. Auf dem Textblatt der "Warehous Songs and Stories" stand "And everybody in the whole world has their own song in their heads. The best songs ever. Problem is figuring a way to get them out and present them to others." (Etwas später: "Revolution starts at home. Preferably in the bathroom mirror.") 

Also, los geht es. Jeden Tag ein Lied, das mir dieses Jahr erträglich gemacht hat. Alte Bekannte, Neuentdeckungen und (wer hier mitliest, die wird's nicht überraschen) meistens nix, was man schon kennt. 

Josienne Clarke habe ich vor ziemlich genau einem Jahr das erste Mal gehört, weil auf Twitter sowohl Will Varley als auch Robert Rotifer auf Twitter ihre LP "(Learning to sail) In all weather" empfohlen haben. Josienne Clarke war in der britischen Folkszene schon gut etabliert als Mitglied eines Folkduos, das sie aber verlassen hat.  Wahrscheinlich habe ich im letzten Jahr niemanden häufiger gehört als Josienne Clarke. Die "In all weather"-LP ist eine gut arrangierte, vielseitige, wunderschön gesungene Platte. In den Gitarrenskizzen zu den Liedern merkt man aber, wie viel Energie und Verwundetheit darin steckt, obwohl die Texte kühle Präzision sind. 

 

Ich kann nur empfehlen, sich einmal in die Lieder hineinzuhören. Auf Bandcamp gibt es die verschiedenen Demos und Gitarrenversionen zur LP als "Historic Record Vol. 3&4".

Der neunte Titel, Sea, hat mich durch die letzten Monate begleitet. (Wir alle brauchen etwas, um uns daran festzuhalten. Wir sind auf See.) 




Sonntag, 1. November 2020

Die erste links

Nachdem ja jetzt sowohl das Wetter, als auch die allgemeine Lage wieder unerfreulich wird, ist es vielleicht nicht verkehrt, hier wieder ein paar Hinweise auf schöne Dinge zu geben:

Jacqueline Taeb war mir bis Anfang des Jahres kein Begriff. Sie war eine Vertreterin der französischen Beat-Musik, des Yeye. In den späten 60ern hat sie ein paar fantastische Platten aufgenommen, die man auch heute noch wirklich gut anhören kann. 

Am bekanntesten ist wahrscheinlich Sept heures du matin, um sieben in der Früh. 

 

 

 Mir vollkommen unbegreiflich, warum man das bei uns nicht weiter bekannt ist? Wie viel dummes Zeug muss man sich im Radio anhören, wenn man doch auch Jacqueline Taieb hören könnte. 

Die weiteren Lieder sind weniger rockig, aber sehr schön arrangiert. So zum Beispiel das "La prémiere à gauche",  die Geschichte einer Partyeinladung, die nicht funktioniert, weil die Wegbeschreibung nicht ganz eindeutig ist.



Samstag, 29. August 2020

Please kill me

Vor ein paar Wochen habe ich entdeckt, dass ich schon vor längeren "Please Kill Me! - Die unzensierte Geschichte des Punk" von Gillian McCain und Legs McNeil gekauft hatte, aber damals nach ein paar Seiten wieder weggelegt hatte. Im Buch findet sich die Oral History des amerikanischen Punks, wobei die Geschichten schon Ende der 60er losgeht, mit Velvet Underground, den Stooges, den MC5, New York Dolls etc. Das Ganze besteht aus (geschickt) aneinander montierten Interviewaussagen, aus denen sich dann das ganze Elend erschließt. (Ich bin etwa ein Vierteljahrhundert zu spät zu der Party, das Buch ist schon 1996 erschienen.)

Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich älter werde, aber ich finde diese Darstellung furchtbar deprimierend. Eine Aneinanderreihung von Gewalt, Dummheit und Niedertracht. Bislang habe ich Glück, da ich die beschriebenen Bands ohnehin nicht übermäßig schätze, irgendwann kommen dann auch welche, die ich ganz gut finde und möglicherweise nicht mehr hören mag, weil ich ein paar strunzdumme Aussagen von ihnen lesen muss.

Frau Ackerbau hat sich anfangs noch gewundert, dass ich alle paar Minuten "was für Arschlöcher" gemurmelt habe. Misogynie und Drogensucht sind eine schlechte Mischung, aber anscheinend das Fundament der Populärkultur.

Das Buch hat mir auch kurz Zweifel an meiner geistigen Gesundheit beschert. Jemanden, der nach dem Register bereits 1982 gestorben ist, habe ich nach meiner Erinnerung noch live gesehen. Als ich darüber nachdachte, fiel mir ein, dass mein damaliger Begleiter R. auch schon tot ist. Ein Blick auf Wikipedia konnte mich beruhigen: Der Musiker starb erst 1990, ich hatte ihn also tatsächlich gesehen.

Samstag, 11. Juli 2020

Afrika

Vor einigen Jahren war ich auf einer internationalen Konferenz in Berlin. Bei der Abendveranstaltung hatte ich keine Lust, mich an einen Tisch zu setzen, an dem Leute waren, die ich kannte; ich setzte mich einfach irgendwo hin und fand mich dann in der Gesellschaft zweier Konferenzteilnehmer aus Botswana und Zambia wieder. Es war ein sehr lustiger Abend, bei dem ich vor allem feststellte, dass die Kollegen extrem gut informiert über europäische und deutsche Politik waren, während ich absolut keine Ahnung von Afrika hatte. Vor dem Abschied (beinahe hätten die Kollegen das geschafft, was mir nie gelang: Frau Ackerbau überzeugt, dass man natürlich eigene Hühner halten muss) fragte ich noch, was sie mir an afrikanischer Literatur empfehlen könnten. Sie nannten Chinua Achebe, für mich waren die Bücher dann aber eher historisch interessant. Danach habe ich mir allerdings Mühe gegeben, etwas mehr über die verschiedenen Länder zu verstehen (Geographie war allerdings nie meine Stärke und meine hinterwäldlerische Herkunft lässt sich halt auch nicht vollständig verleugnen).

Über Twitter habe ich mir dann nach und nach ein paar afrikanische Accounts herausgesucht, denen ich gefolgt bin, irgendwann wurde mir dann ein kurzer Artikel des südafrikanischen Autors Niq Mhlongo in die Timeline gespült, wo er über das Spazierengehen auf Berliner Straßen berichtet. Das hat mir natürlich gefallen und ich habe mich nach Büchern von ihm umgesehen. Der Rest der Familie liest E-Book, ich eher nicht. Ein Vorteil ist aber, dass man sehr einfach Bücher aus fremden Ländern bekommen kann. Niq Mhlongo ist auch auf Twitter, allerdings eher schweigsam. Über den Account bin ich dann allerdings auf ein paar andere Autoren und einen afrikanischen Buchblog aufmerksam geworden

Vor ein paar Wochen hatte ich dann genug von meiner sonstigen Lektüre und wollte ein paar neue Sachen lesen, also habe ich ein bisschen herumgelesen. Der typische deutsche Roman ist ja über die Qualen mittelalter Männer, die Eheprobleme haben oder über kauzige Privatermittler im südlichen Weser-Ems-Kreis, das fand ich etwas ermüdend. Also wollte ich mir ein paar Romane aus (1) verschiedenen afrikanischen Ländern, die (2) im Wesentlichen für ein afrikanisches Publikum geschrieben wurden, holen. Nach ein bisschen Stöbern entschied ich mich für die folgenden vier Bücher. Ich habe sie in weniger als einer Woche gelesen, fand sie anregender und unterhaltsamer als das meiste, was ich die letzte Zeit gelesen habe. Da es sich um Romane handelt, die nicht vorrangig für ein europäisches Publikum geschrieben wurden, gibt es ein paar Dinge, die ich nur schwer verstanden habe, das wunderbare war aber, dass sich die Geschichten meistens ganz anders entwickelt haben, als zunächst vermutet. Was ich sehr faszinierend fand: eine Vorstellung vom Alltag in den Ländern zu bekommen. Wie gesagt, ich fand mich sehr gut unterhalten.

Was habe ich gelesen?

Südafrika - Niq Mhlongo. Niq Mhlongo hat einige Bücher geschrieben, die das Südafrika der 90er und 00er Jahre beschreiben. Dog eats Dog beschreibt eine Jugend in Johannesburg, kurz nach dem Ende der Apartheid, ziemlich unmittelbar und drastisch. Der Protagonist studiert ohne rechten Ehrgeiz und versucht sich durchzumogeln. Quasi der Nachfolger dazu ist After Tears; der Protagonist ist durch die letze Prüfung seines Jurastudiums durchgefallen, kommt wieder zurück, kann aber seiner Mutter nicht sagen, dass er nicht bestanden hat. Alle sind in dem Glauben, einen Rechtsanwalt unter sich zu haben, der die Hoffnung der Familie ist. Auch ansonsten ist einiges nicht so, wie es scheint. Mhlongo hat in einem Interview gesagt, dass er es etwas ermüdend findet, wenn vor allem Weiße diese Bücher als rein autobiographisch sehen. Tatsächlich sind die Geschichten zwar unmittelbar und drastisch erzählt, aber gut und klug konstruiert. Die großmäuligen Schelmengeschichten ergeben ein lebendiges Panorama des Lebens in Südafrika. Das wird noch ein bisschen deutlicher in der Kurzgeschichtensammlung Soweto, Under the Apricot Tree. Die Kurzgeschichten, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erzählt, geben eine atmosphärisch dichte Vorstellung des Lebens in Soweto. Ich habe die Figuren nicht immer verstanden, hatte aber das Gefühl neben ihnen zu sitzen, zu hören, was sie hören, zu sehen, was sie sehen. Mhlongo hat auch so eine Art sehr direkt zu schreiben, dass man zunächst denkt, alles im Text sei offensichtlich und offenbar, und dann doch feststellt, dass es noch zahlreiche weitere Ebenen der Geschichte gibt. Das mag ich gerne.

Auf deutsch ist von Niq Mhlongo nur Way back home erschienen, ein Buch, das ich noch nicht kenne. Wer englisch lesen will, dem würde ich Soweto, Under the Apricot Tree empfehlen oder After Tears.

Zimbabwe - Sue Nyathi. Sue Nyathi beschreibt in Gold Diggers die Reise von mehreren Menschen, die von Zimbabwe nach Südafrika illegal einwandern. Wir folgen den Menschen auf der Reise, bei der nächtlichen Überquerung des Limpopo, erfahren über die Gründe, warum sie Zimbabwe verlassen und wie es ihnen in Südafrika entgeht. Das Buch ist klug konstruiert, absolut spannend, durchaus effektreich. Auch wenn die Geschichten so tatsächlich nicht passiert sind, besteht kein Zweifel, dass sie genauso passieren hätten können. Ich musste häufig beim Lesen pausieren.  Das Buch enthält viel Gewalt, insbesondere Gewalt gegen Frauen, der Realismus ist hier teilweise schwer zu ertragen. Aber man fiebert mit den Protagonisten mit und bekommt eine Vorstellung davon, was es bedeutet, Immigrant in Südafrika zu sein. Sue Nyathi gelingt es, sehr unterschiedliche Personen zu beschreiben, die einem sehr bald als Leser ans Herz wachsen, auch wenn es eigentlich keinen konventionell guten Helden in dem Buch gibt. Nyathi war wenigstens so nett, ein paar der Geschichten zumindest einigermaßen gut enden zu lassen. Noch mehr als bei Mhlongo zeigt das Buch auch die enorme Ungleichheit in Südafrika.

Sue Nyathi hat noch einen weiteren Roman, The Polygamist veröffentlicht, den ich noch nicht kenne (aber sicher lesen werde). Auf deutsch gibt es von ihr leider noch nichts.

Nigeria - Adaobi Tricia Nwaubani. Der Roman I do not come to you by chance spielt im nigeranischen Internetbetrüger-Milieu. Die Hauptperson hat einen hervorragenden Universitätsabschluss abgelegt, trotzdem findet sich keine Arbeitsstelle. Die Familie glaubt an den Wert der Bildung, ein Verwandter, der sein Geld mit Internetbetrügereien macht, wird geächtet. Verschiedene Umstände zwingen die Hauptperson, diesen Verwandten, der unter dem Spitznamen Cash Daddy bekannt ist, um Unterstützung zu bitten. Die Familie distanziert sich,  aber im Team des Internetbetrügers lässt sich Geld verdienen, das alles übersteigt, was mit ehrlicher Arbeit zu erreichen ist. Aber lässt sich so ein Lebensstil auf Dauer durchhalten? Das Buch ist eine unterhaltsame Satire, die Auflösung am Schluss ist dann durchaus anders als erwartet.
Auf deutsch ist das Buch als Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash-Daddy erschienen (ich habe die deutsche Übersetzung nicht gelesen).

Ghana - Nii Ayikwei Parkes. Hier haben wir das afrikanische Pendant zum Regionalkrimi. In Tail of the Blue Bird wird ein Pathologe aus Accra in ein Dorf geschickt, in dem ein rätselhaftes Ereignis geschehen ist. Er wird mehr oder weniger von einem korrupten Polizisten gezwungen zu ermitteln. Er beginnt mit Spurensicherung wie bei CSI, in einem afrikanischen Dorf, in dem der Jäger noch mythische Geschichten aus dem Wald erzählt. Man findet verschiedene Elemente, die wir aus den Krimis kennen, die Begegnung Großstadt und Provinz, die Begegnung zwischen einfachem Polizist und studiertem Experten etc. Die afrikanische Auflösung ist dann aber doch ganz anders und mehr der Erzähltradition geschuldet. Während man liest, fühlt man sich palmweinberauscht. Ich habe danach gelesen, dass Parkes eigentlich Lyriker ist; das ist an einigen Stellen zu spüren. Parkes ist im UK geboren, in Ghana aufgewachsen, wohnt allerdings inzwischen wieder im UK.

Tail of the Blue Bird ist auf deutsch als Die Spur des Bienenfressers erschienen, ich habe die deutsche Übersetzung nicht gelesen.

Ich habe diese Bücher mit großem Vergnügen gelesen.  

Donnerstag, 14. Mai 2020

Die militante Cheerleaderin

Die beklemmende Wirkung der Musik von Black Flag hing für mich immer auch mit der Cover-Art von Raymond Pettibon zusammen. Pettibon, der Bruder von Gitarristen Greg Ginn, machte kopierte Heftchen mit Zeichnungen, die zunächst comic-artig erschienen, aber letztlich immer bedrohlich wirkten. Die 1980er Mini-LP "Jealous Again" ist dafür ein gutes Beispiel. Fünf Lieder, die gerade mal sechseinhalb Minuten dauern. Der Titelsong über eine eifersüchtige Freundin, danach wird "Revenge", Rache angekündigt. Das letzte Lied heißt einfach "Da kannst du drauf wetten, dass wir persönlich etwas gegen dich haben", "You bet we've got something personal against you", ein Lied des alten Sängers Keith Morris, der von der Band herausgeschmissen wurde, versehen mit einem neuen Text des Bass-Spielers Chuck Dukowski, in dem klargestellt wird, dass alle Morris für einen Arsch halten. (Chuck und Keith vertragen sich wieder, nur Greg Ginn mag inzwischen niemand mehr.)

Die Beklemmung der Musik wird durch das Cover noch verstärkt. Wir sehen zwei Frauen in einer Art Cheerleader-Uniform, mit Waffen, Pistolen und Schlagstöcken versehen, offensichtlich gerade in mitten einer Attacke. Einer ist der Cowboyhut schon heruntergefallen, hinter ihnen eine Fahne, auf der "Miltown High Cow" steht, die Uniformen haben jeweils ein "M" auf der Brust. Die Rückseite zeigt eine Szene, die wohl danach spielt, eine der beiden Frauen steht, nunmehr wieder ruhig, mit der Pistole in der Hand, vor einem Mann, der offensichtlich einen Kopfschuss bekommen hat (der eine College-Jacke mit einem "M" trägt). Die Frau sagt: "Bevor du stirbst, sag mir, dass du mich immer lieben wirst." Man muss jetzt nicht besonders tiefgründig sein, um sowohl bei der Musik als auch bei der Artwork ein zutiefst misogynes Element festzustellen (obwohl ich es immer wieder bemerkenswert finde, wie sich da viele bei der Punk-Geschichtsschreibung selbst in die Tasche lügen), das sei aber hier nur markiert, mir geht es um etwas ganz anderes.

Die Platte habe ich nun auch schon knappe vierzig Jahre, die zwei Bilder erzählen ja auch eine Geschichte, die ich mir aber nie so zusammenreimen konnte. Die militanten Cheerleaderinnen blieben für mich vollkommen unerklärlich. Gehörten sie zu einer Sekte? Was versetzte sie so in Wut? Äußerlich blieben sie ja ein Abbild des American oder vielleicht auch Californian Dreams. Vielleicht ein Grund, warum die Platte immer so gut funktioniert hat: Musik und Artwork zeigen ein Kalifornien, das so ganz weit entfernt von allen Vorstellungen ist, die man ansonsten von ihm hat.

Das Rätsel der militanten Cheerleaderinnen begleitete mich also ein paar Jahrzehnte, vor ein paar Tagen fand es dann aber eine - für mich überraschende - Auflösung. Auf Twitter sah ich verschiedene Bilder von Anti-Coronamaßnahmen-Demos in den USA. Während in den meisten Staaten irgendwelchen Säcke mit automatischen Waffen demonstrierten, sahen die Fotos von den Demos in Kalifornien anders aus. Man sah zwei Frauen, vor einer Polizeisperre, mit verzerrten Gesichtern. Als ich das sah, wusste ich, dass ich die Frauen schon einmal gesehen hatte. Es dauerte nur ein paar Stunden, bis mir die richtige Eingebung kam und ich zum Plattenregal ging.


Pettibon hat 1980 schon die Demonstrantinnen von 2020 gezeichnet. Die Frau muss auch eine der Organisatorinnen der Impfgegner-Bewegung sein. Offensichtlich ist die militante Cheerleaderin für den Rest der Welt ein Rätsel, in Kalifornien aber Realität.
 

Montag, 4. Mai 2020

Nicht das Ende der Welt

Ende des letzten Jahres bin ich eher durch Zufall bei Twitter über Josienne Clarke gestolpert, die seitdem zu den am häufigsten gehörten Musikerinnen im Haushalt gehört. Josienne Clarke hat nun ein Album von Mr. Alec Bowman, "I used to be sad and then I forget" produziert, das es seit letztem Freitag gibt. Ich habe es mir seitdem schon über fünf mal angehört, man könnte also sagen, dass es mir gut gefällt.

Vor dreißig Jahren saßen wir in der WG-Küche, tranken Rotwein (Le filou rouge) und hörten Leonard Cohen und fühlten uns dann genial oder traurig oder einfach nur betrunken. Ich habe jetzt kein Interesse, meine Zwanziger wieder nachzustellen und auch kein Interesse an Musikern, die die Sechziger nachstellen. Mr Alec Bowman erinnert mich allerdings ein bisschen an Leonard Cohen, er macht auch ruhige Musik, mit bitter-traurigen Texten. Aber da ist nichts nostalgisch und da ist auch nichts rückwärtsgewandt, das ist Musik, die man 2020 gut anhören kann und zu der man, so man denn will, auch Rotwein trinken kann (inzwischen kann ich mir auch etwas besseres als Le filou rouge leisten). Was mich an der Musik fasziniert, ist, dass sich hinter den zunächst so einfachen Liedern so viel mehr versteckt, wunderbare Arrangement-Ideen, kleine Soundschnipsel. Man kann die Musik gut hören, wenn man früher Leonard Cohen mochte, man kann sie auch gut hören, wenn man Nikki Sudden mochte, wahrscheinlich auch, wenn man Nick Cave mochte (hier bin ich nicht qualifiziert, eine Meinung zu haben).

Eine Liveversion des schönen Lieds Long Goodbyes (das auf der LP noch schöner arrangiert ist), kann man hier sehen: Ein Quarantänevideo bei den Müllcontainern. Josienne Clarke sitzt hinter Bowman, dreht während der ersten Strophe versonnen an ihrem Ring am Finger und singt dann leise beim Refrain mit. Diese Unmittelbarkeit gefällt mir natürlich, die Platte selbst ist dann noch um einiges kunstfertiger, ohne dass sie einem die Virtuosität ins Gesicht klatscht.
Wahrscheinlich gefällt mir an der Musik der beiden (die oberflächlich ähnlich, aber doch sehr verschieden ist), dass sie sich ganz offensichtlich nicht mehr darum kümmern, ob das, was sie machen cool ist oder was erwartet wird, sie machen es einfach. Das hat sicher auch damit zu tun, dass beide vorher in anderen Konstellationen Musik gemacht haben, die dies nicht ermöglicht haben.

Das letzte Lied der LP ist Never the end of the world. Der letzte Vers, die letzten Zeilen des Albums, haben es in sich. Hört es euch an.

Sonntag, 3. Mai 2020

Der Tag, an dem sich die Beatles aufgelöst haben

Wenn ich es richtig verstehe, streitet sich die Beatologie über das genaue Datum, meist wird aber der 10.4.1970 genannt, der Tag, an dem McCartney die Presseerklärung zu seinem ersten Soloalbum verschickte. Irgendwie bin ich immer ein bisschen darauf stolz, dass ich zu einem Zeitpunkt auf die Welt kam, als es die Beatles noch gab, auch wenn das sicher einer der am wenigsten berechtigten Gründe stolz zu sein ist. Dieses Jahr war also der 50. Jahrestag des Breakups der Beatles und Life is a minestrone, von denen ich nicht einmal richtig weiß, ob es sich um eine Band oder einfach um musikalische Netzwerker handelt, nahmen das als Anlass für eine schöne Aktion. Normalerweise organisieren Life is a minestrone wohl in Paris Wohnzimmerkonzerte, da das aber zur Zeit nicht möglich ist, begannen sie auf ihrer Facebookseite am 10.4. eine Serie von Beatles-Coverversionen von befreundeten Musikern. Insgesamt kamen 40 kleine Musikvideos zusammen, in Wohnzimmern und Gärten aufgenommen.

Facebook ist ja eine furchtbare Plattform, deswegen ist es gut, dass sich die Videos auch auf Youtube ansehen lassen, hier in einer Gesamt-Playlist:




Ich habe mir das alles angesehen, mit wachsender Rührung. Zum einen, weil man den Leuten in die Wohnung sehen konnte, jeder auf sich geworfen, aber verbunden durch einen Kanon an Liedern, der für jede Gemütslage einen Ausdruck findet. (Meine eigene Beatles-Geschichte habe ich hier und hier einmal aufgeschrieben.) Die Isolation überwunden durch die Musik. Das griff (zumindest mir) ans Herz.

Meine vier Favoriten möchte ich hier noch einzeln aufführen (aber hört mal in alles rein, schaut in die Küchen und Wohnzimmer...)



(Das Original-Lied mag ich eigentlich gar nicht so gerne, aber hier hüpft mein Herz.)




(Auch ein eher obskures Lied, das ich in dieser Version aber absolut liebe.)



(Das kannte ich noch nicht einmal richtig, weil es von der ersten McCartney-Solo-LP ist. Wunderschön.)

Auf die ganze Aktion aufmerksam bin ich nur durch Robert Rotifer geworden, auf dessen Empfehlungen man sich immer verlassen kann und dessen eigenes musikalisches Schaffen mir die letzten Jahre viel erträglicher gemacht hat. Er war auch mit einem Lied vertreten.


In Verbundenheit mit allen, die mit ihren Gitarren in den Zimmern sitzen, habe ich dann auch meine herausgeholt und mich unter den blühenden Kirschbaum gesetzt. Vor dreißig Jahren wäre es akustisch noch ein größeres Vergnügen gewesen, aber es ist halt wie es ist.



 

Freitag, 1. Mai 2020

Aus fernen Zeiten

Ich habe hier noch etwas aus dem Januar nachzutragen. Am 11.1. gab es im 8mm im Prenzlauer Berg ein Club-Konzert von Art Brut.

Eddie Argos ist zwar inzwischen nach Prenzlauer Berg weitergezogen und somit kein Nachbar mehr, trotzdem war der Besuch natürlich für mich Pflicht. Das 8mm ist relativ überschaubar, deswegen war ich auch früh genug da und durfte vor dem Laden anstehen. Das Publikum war international, die meisten hatten Art Brut wohl in ihren Hochzeiten 2005 schon gesehen und gehört und kamen, um noch einmal an ihre Jugend erinnert zu werden. Ich war also einer der deutlich Älteren im Publikum, für mich sind Art  Brut auch weniger nostalgisch (immerhin haben sie aber den Soundtrack für meine letzte Kündigung geliefert), sondern sie waren 2009 eine Band, die mich wieder dazu gebracht hat, mich für kontemporäre Musik zu interessieren. 

Wie ich ein bisschen zu spät gemerkt habe, hätte ich tatsächlich auf der Guest list gestanden . Das ist mir, glaube ich, erst einmal passiert. Im 8mm winkt mir ein Mensch mit Vollbart zu, ich ignoriere ihn höflich, weil ich davon ausgehe, dass er jemand neben mir meint (ich kenne in dem Laden, abgesehen von Eddie Argos, wirklich niemand).  

Art Brut kommen auf die Bühne und beginnen mit einem AC/DC-Riff. Merkwürdig. Diesmal ist Freddy, die Bassistin, wieder dabei, die wegen ihres Kindes ausgesetzt hatte. Das tut dem Sound gut. Die Band spielt viel von den frühen LPs, ich hätte auch gerne mehr von der neuen Platte gehört. Alle Knaller sind dabei, Modern Art, My little brother, Emily Kane und - was mich besonders freut - Bad Weekend, das ich in der letzten Zeit auch häufig gehört habe. Der Refrain, Popular Culture no longer applies to me, schwirrt mir ohnehin die ganze Zeit durch den Kopf. Die Bühne ist relativ niedrig, als Hintergrund werden merkwürdige Filme projeziert, ich erkenne Teile des Chien andalou. Weil es kein richtiges Backstage gibt, schlägt die Band vor, dass sie sich einfach auf die Bühne setzt, während alle Zugabe brüllen. Das geht auch und alle sind nach dem Konzert zufrieden. 


Ich unterhalte mich kurz mit Eddie Argos, da kommt wieder der Vollbart vorbei: Tatsächlich kenne ich ihn von der Arbeit, lang ist es her. 

Ich gehe nach Hause, ohne zu wissen, dass das mein letztes Konzert für lange Zeit sein wird.

Donnerstag, 26. März 2020

Ich brenne, ich brenne

Mit jedem Menschen wird eine Klage geboren
der Krieg ist erklärt, das Blut fließt

Ich brenne, ich brenne, lösche den Brand mit Öl
Ich ertrinke, ich ertrinke, wirf mich in das tiefste Meer

Obwohl meine Sozialisation mit griechischer Musik in irgendwelchen Tavernas stattgefunden hat, die das griechische Äquivalent des Musikantenstadels abspielten, habe ich ja eine Schwäche für die Musik der 30er bis 50er, die noch nicht sonderlich glatt und gefällig war. Die Griechen mögen dagegen den Bombast ganz gerne. Ab und zu erwischt es mich dann aber auch. Das folgende Lied habe ich zum ersten Mal gehört, als in den 80ern in irgendeinem dritten Programm der Film Rembetika kam. Damals hatte ich von dieser Musik nur gelesen, die ersten unmittelbaren Begegnungen mit Markos, Stratos, Rita und Roza kamen dann erst in den frühen 90ern. Das Lied hat mich damals fasziniert, nach über 30 Jahren habe ich es jetzt wiedergefunden. Die Tragik und gleichzeitige Schicksalsergebenheit finde ich immer noch wunderbar (die Meinung der Restfamilie mag abweichen), auch wenn es eigentlich zu glatt und zu bombastisch ist. Aman, Aman!

Samstag, 1. Februar 2020

Petting mit der Liga der gewöhnlichen Gentlemen

(Ich war ein bisschen zu viel mit Straßengeschichten beschäftigt, es wird Zeit hier wieder etwas nachzuholen.)

Wie fast jedes Jahr spielten die Liga der gewöhnlichen Gentlemen kurz vor Silvester in Berlin. Die Hamburger werden ja bei uns immer gern gehört, nach dem sehr schönen Konzert im Sommer haben Frau Ackerbau und ich uns wieder Karten besorgt. Der Weg durch Kreuzberg Ende Dezember war unspektakulär, normalerweise fliegen einem da immer schon Böller um die Ohren, diesmal kein einziger. Wir hatten gerade Besuch aus Frankreich, der aber keine Lust hatte mitzukommen, weil ihm die Liga dann doch nicht "Pönk" genug.

Das Lido war gut gefüllt, in der Ankündigung war noch keine Vorband vermerkt, es kamen aber zwei Frauen und drei Männer auf die Bühne, die sich als "Petting" vorstellten. Wirklich dämlicher Name, aber gute Band. Obwohl es eine Berliner Band ist, gab es frankophonen Beat, der wirklich Spaß machte. Uns kam zugute, dass wir am Abend vorher mit dem Besuch sowieso schon die ganze Zeit Jacques Dutronc und France Gall gehört hatten, das steckt auch ganz gut das musikalische Terrain von Petting ab. Hyperaktive Sängerin, stoische Bassistin, zwei wuselige Beat-Gitarristen, kompetenter Schlagzeuger, das machte schon Spaß. Die Band gibt es wohl schon sehr lange, allerdings finden sich wenig aktuelle Informationen. Ich hätte mir gerne auch eine CD gekauft, aber leider waren sie schon weg, als ich später zum Merchstand ging.


Dann kam die Liga und die Konzertmagie funktionierte wieder sofort: Sie bretterten durch die ersten Lieder, und wenn man manchmal bei den CDs denkt, dass bei einzelnen Liedern noch irgendetwas fehlt, stimmt im Konzert alles perfekt. Natürlich haben wir wieder "Häßlich und faul, Musik und der HSV" und "Ma-Ma-Ma-Matratzen-Concord" mitgesungen und sind fleißig hin- und hergehopst.

Am Anfang kam mir der Gitarrist ungewohnt, aber merkwürdig bekannt vor. Es war tatsächlich nicht der reguläre Gitarrist, sondern Timo Blunck von (u.a.) den Zimmermännern, der kurzfristig eingesprungen war. Die eher sparsamen, funkigen Einsätze von Blunck funktionierten dabei ziemlich gut. Die Zimmermänner waren immer zu schlau für mich (ist ja auch immerhin ein Diedrichsen dabei), nach dem Konzert habe ich mir allerdings wieder "Die große Sporadische" angehört, bei dessen Video man Blunck zusehen kann, wie er auf einem Bürostuhl Grimassen macht, während Diedrichsen zeitungslesend auf dem Sofa sitzt. Das Lied spukt mir seitdem regelmäßig im Kopf herum.

Ein schöner Abend, mit guter Laune und guter Musik. Am nächsten Tag tat mir natürlich alles weh.