"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn
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Sonntag, 20. September 2015

Auerhaus

(Noch einmal Jugend in den Achtzigern.)

Ich habe Bov Bjerg eigentlich immer als Schriftsteller wahrgenommen. Das erste Mal habe ich ihn um die Jahrtausendwende beim Mittwochsfazit mit seinen Sachen gesehen und war immer von seiner Sprachkunst begeistert. Ich war dann überrascht, dass es da noch gar keine Bücher gab. Das erste Buch, der Roman Deadline, kam erst 2008. Nun hat Bov Bjerg seinen zweiten Roman veröffentlicht, Auerhaus. Es ist abzusehen, dass Bov Bjerg mit diesem Roman nun die angemessene Wertschätzung bekommt.

Der Roman spielt in den frühen Achtzigern in einem Kaff in der Schwäbischen Alb und handelt von einer Außenseiter-WG, die sich findet, weil ein Mitbewohner selbstmordgefährdet ist und Betreuung und Aufsicht benötigt. Für den Erzähler Höppner eine Möglichkeit, dem fiesen Freund seiner Mutter zu entkommen. Es ist eher ironisch, dass der einzige, der durch das Arrangement gerettet wird, Höppner ist. Die wilde WG bringt einen Hauch Anarchie in die enge dörfliche Welt, das geht leider auch nicht lange gut. Für mich ist eine der eindringlichsten Stellen im Buch, als der Bauer von nebenan seinem Jungen eine runterhaut, weil er Silvester bei den merkwürdigen WGlern mitgefeiert hat. Dem Buch ist die Bemerkung vorangestellt, "Alle Personen sind erfunden, alle Handlungen verjährt", ein Hinweis darauf, dass das Wirken der Hauptpersonen an vielen Stellen gegen Gesetze verstößt. Wer bei Büchern immer genau wissen will, wer eigentlich die Guten und wer die Bösen sind, wird hier verzweifeln. Die Personen sind alle ambivalent und das Buch wertet nicht. Und wenn man selbst versucht zu werten, hat man es nicht ganz einfach. Das Leben in der Provinz war damals nicht so, dass man durchkam, ohne die eine oder andere Regel zu brechen.

Das Buch funktioniert auf vielen verschiedenen Ebenen, es ist zum einen ein Bild der Achtziger in der Provinz, lässt längst vergessene Erinnerungen an Musterung und RAF-Hysterie wieder erstehen. Aber die Geschichte ist zwar in der damaligen Zeit angesiedelt, aber alles andere als zeitverhaftet. Es ist eine allgemein gültige Geschichte des Außenseitertums, die jeder verstehen kann, der einmal 17 war. Geschrieben in einer anschaulichen, sehr reduzierten Sprache. Da ist kein Wort zu viel; auf Twitter hat Bjerg verraten, dass der Erzähler Höppner in einer früheren Fassung noch einen Vornamen "Ralf" hatte; wenn man das Buch gelesen hat, weiß man, dass es klug war, dieses Detail herauszulassen.

Im Buch bleibt viel über die Protagonisten im Dunkeln; viele Dinge werden nicht erklärt; zumindest der Erzähler könnte wahrscheinlich auch nicht viel erklären, da ihm doch so vieles selbst ein Rätsel ist. Insoweit für mich ein sehr überzeugender Siebzehnjähriger in einem Roman. Was mich fasziniert hat, war, wie auch die merkwürdigsten Dinge von den Hauptpersonen hingenommen werden, das erinnert mich allerdings auch an meine Jugend; im Nachhinein frage ich mich bei tausend Dingen, warum man damals nicht mal nachgefragt hat. Aber man hat eben so vieles nicht verstanden und wollte sich keine Blöße geben.

Das Buch ist sehr unterhaltsam zu lesen, wenn man will, kann man darin aber noch viel mehr finden. Eiin Beil taucht leitmotivisch auf; ebenso spielt Imiglykos-Wein eine durchgehende Rolle. Und ein im Buch imaginiertes Rettungsszenario für eine der Hauptpersonen: Problemkind wird später Professor, habe ich mit einem Bekannten, bei dem damals alle Sorgen hatten, dass er nicht allzu alt werden würde, tatsächlich erlebt.

Lesen!

Montag, 14. September 2015

Verschwende deine Jugend

(Das wird wohl der erste Teil einer kleinen Serie über Bücher, die die Jugend in den 80ern darstellen, auch wenn dieses Buch eigentlich schon in den späten 70ern beginnt.)

Verschwende deine Jugend von Jürgen Teipel nennt sich einen "Doku-Roman über den deutschen Punk", die Beschreibung scheint mir zutreffend. Teipel, der in den späten Siebzigern selbst dabei war, hat mit den verschiedenen Protagonisten gesprochen, u.a. mit den meisten der frühen Düsseldorfer Szene, von Male, Fehlfarben, Mittagspause, DAF, KFC, ZK, dem Plan, mit den Hamburgern von Abwärts, den Berlinern von den Einstürzenden Neubauten, Malaria und vielen anderen mehr. Die Ausschnitte aus den Interviews hat er dann so montiert, dass man das Buch als eine erzählte Geschichte des frühen deutschen Punks lesen kann. Ich bin zu jung, um diese Geschichten noch selbst mitbekommen zu haben und wohnte sowieso in der Allgäuer Provinz, wo man nicht richtig viel mitbekam. Da dort aber alles mit einigen Jahren Verspätung ankam, gab es bei uns praktisch ein paar der Geschichten dann noch einmal im Kleinen. Als ich das Buch vor über 10 Jahren das erste Mal gelesen habe, habe ich mich in einigen Dingen wiedergefunden. Die Geschichten sind vor allem haarsträubend, sie illustrieren allerdings ganz gut, wie aus einem Vakuum  ganz neue Dinge entstehen können. Punk - von dem man 76 in Deutschland nicht viel mehr wusste, als dass es da ein paar Verrückte im UK und in den USA gab, die merkwürdig aussahen - war auf einmal Kristallisationspunkt für alle möglichen Leute, die etwas eigenes oder anderes machen wollten. Grenzen wurden niedergerissen, oftmals gewalttätig und selbstzerstörerisch (dem Buch kann man auch wundervoll entnehmen, was für ein Arsch auch schon der junge Ben Becker war). Irritierend, aber auch insoweit übereinstimmend mit meiner Erinnerung an die frühe Allgäuer Szene, ist vor allem, dass am Anfang sowohl politisch linke Leute als auch Rechte in der Szene waren. Das Kokettieren mit Nazi-Symbolik war allgegenwärtig. Die klare Trennung kam dann erst Anfang der Achtziger.

Was mich etwas fertig gemacht hat, ist,  dass ich das Buch beim ersten Mal lesen als sehr amüsant und tatsächlich auch Erinnerungs anregend empfunden habe. Auch jetzt beim nochmaligen Lesen musste ich an vielen Stellen lachen und habe das Buch relativ schnell durchgelesen. Allerdings fand ich es eher erschütternd, dass fast alle Protagonisten komplett verpeilt waren und das Geschehen durchgängig gewalttätig war (wahllos eine Seite aufgeschlagen, der ehemalige KFC-Gitarrist und jetzige Heilpraktiker Meikel C. beschreibt es so: "Anfangs war das noch ein bisschen unprofessionell. Als ich die ersten Male so mitten ins Publikum reingesprungen bin, hatte ich nur so einen Kegel von der Kegelbahn. Auf dem stand. "Patsch, voll in die Schnauze!" Irgendwann habe ich dann gleich meine Gitarre genommen - und die da unten wie einen Morgenstern über den Kopf geschwungen." Schön kommentiert vom ehemaligen KFC-Schlagzeuger, einem jetzigen Psychiater: "Der hat sich oft völlig situationsinadäquat verhalten, was Gewalt betrifft.") . Kam mir beim ersten Durchlesen alles nicht so bemerkenswert vor, hat mich jetzt schon einigermaßen nachdenklich gemacht. Vor allem, weil ich mir nicht sicher bin, wie es denn eigentlich in dieser Hinsicht bei uns war. Ich selbst habe mich nie gerne geprügelt und mich schon immer weitgehend ferngehalten (was nicht immer möglich war), aber wenn ich über die verschiedenen Geschehnisse rund um unser Jugendzentrum so nachdenke, war das vielleicht nicht so weit von der wilden Großstadtwelt entfernt.

Naja, wie dem auch sei, ein schönes Buch über eine Zeit, die einem nur noch fremd und rätselhaft vorkommen kann.