"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Stranglers plus Ruts im Huxley

Nach längerer Pause mal wieder auf ein Konzert. J., der Vater eines früheren Kindergartenkumpels von unserem Kleinen, hat sich die letzten Jahre jedesmal die Ruts angesehen, wenn sie in Berlin waren, und mich diesmal erfolgreich dazu gebracht mitzukommen. Die Ruts mag ich ja sehr gerne, die zwei Platten zeigen noch schlimmste Jugendzentrumsspuren, weil da mehrere Biere drüber geschüttet wurden. Gesehen habe ich sie allerdings noch nie, also passte das gut.

Wir treffen uns am S-Bahnhof Wollankstraße, J. hat gleich seine ganze Band mitgebracht, also wird es nicht langweilig. Dann mit der U8 Richtung Hermannplatz und es bestätigt sich wieder die alte ÖPNV-Weisheit, dass es immer einen Grund hat, wenn es an einer Stelle im Waggon besonders leer ist.

Das Huxley war bereits ganz gut gefüllt, wir hoben den Altersschnitt allerdings nicht. Die Ruts haben als Backdrop beim Konzert das Bild, das auf der ersten LP "The Crack" war, die nun auch schon 40 Jahr alt ist. Von der ursprünglichen Band sind nur noch zwei übrig, der Sänger Malcolm Owen starb schon 1980 an einer Überdosis, der Gitarrist Paul Fox starb 2007. Inzwischen sind sie als Trio unterwegs, mit neuem Gitarristen. Drei alte Männer mit Hüten, die allerdings sehr präzise und gut loslegen. Ich hatte zunächst gehofft, dass sie The Crack ganz durchspielen zum Jubiläum, das war nicht der Fall, aber dafür gab es alle Hits. Die Ruts waren damals musikalisch ziemlich weit den anderen Punk-Bands voraus, insbesondere, was die Gitarrenarrangements betraf. Nach einer Stunde hatten wir Staring at the Rude Boys, West One, In a Rut, Babylon's Burning und Jah War (und noch einiges mehr) gehört, da konnte ich es auch verschmerzen, dass mein Favorit Demolition Dancing nicht auf dem Programm war.

Danach die Stranglers. Mir ist vor dem Konzert aufgefallen, dass ich eigentlich relativ wenig von der Band kenne, ich habe eine Best of bis 1981, die ich zwar oft und gerne höre, und kenne halt noch die Radiohits. Deswegen hatte ich keine allzu großen Erwartungen an das Konzert, mit einer Ausnahme: Einer meiner Lieblings-Konzertberichte, die ich in jungen Jahren gelesen habe, war "Stranglers plus Dickies in Hamburg" aus dem Shit-Bolzen (wohl von 1979, abgedruckt in dem schönen Band "Wir waren Helden für einen Tag"). Untertitelt war das "Ein Erlebnisbericht voller Spannung und Dynamik erlebt und durchgestanden von Ludwig Karnickel". Dort finden sich Sternstunden der Konzertberichterstattung, die vor allem davon handeln, wie die Band einzelne Leute aus dem Publikum verprügelt, die mit Dingen werfen. "Danach war dann der Schlußpunkt gesetzt, und ein etwas verwirrtes Publikum verließ mit gespaltener Meinung (oder Schädel) den Saal."

Gut, auch die Stranglers werden älter. Hugh Cornwell, der Gitarrist und Sänger, hat die Band schon lange verlassen, er wird jetzt aber durch Baz Warne ersetzt, bei dem ich zunächst dachte, es sei Cornwell, weil er sich wirklich haargenau so anhörte. Der Schlagzeuger macht keine Touren mehr mit, deswegen saß ein junger Mann an den Drums. Ich habe die famose Idee, meine Runde Bier genau dann holen zu wollen, als die Stranglers anfangen. Die Würger sind traditionell alle in schwarz gekleidet und beginnen mit Duchess, das finde ich nett, weil ich das Lied zumindest kenne. Auf der Best of bis 1981 ist das eines der ruhigeren Lieder, hier wird es allerdings ziemlich durchgebollert. Ich finde das nicht schlecht, der Rest der Truppe ist allerdings nicht ganz so begeistert. Es folgen netterweise alle Hits wie Hanging Around, No more heroes, Nice and Sleazy, zwischendrin dann auch mal die ganzen radiotauglichen Sachen wie Golden Brown, Always the Sun, Life shows no mercy und Skin deep. Danach wird aber weitergebollert. Irgendwann öffnet sich vor uns etwas das Publikum, ich gehe näher zur Bühne, bei dem furchtbaren Walk on by stürze ich mich dann auch in die Hopsermenge, die eine Mischung aus alten Herren und jungen Frauen ist. Mit Walk on by schließt sich ein Kreis des Karmas, vor ein paar Jahrzehnten bin ich mal im Jugendzentrum zum Diensthabenden gegangen, als Walk on by lief, und fragte ihn, ob er den Scheiß nicht ausmachen könne, das Keyboardgedudel sei ja nicht zu ertragen. Ist es auch jetzt noch nicht, ich nahm es aber mal als Buße, der Keyboarder, der früher Prinz-Eisenherz-Frisur und Schnauzbart hatte, sieht jetzt aus wie eine Idealbesetzung für Ebenezer McScrooge.

Der neue Sänger ist herzlich unsympathisch, aber immerhin wurde anders als vor vierzig Jahren niemand aus dem Publikum verprügelt, sondern er machte sich bei einer Ansage nur lustig über die Leute, die sich irgendwo hingesetzt hatten. Theatralisch zeigte er auf die Leute, die "beim Rockkonzert sitzen, hinten, links, rechts", nett fand ich, dass die jeweils Angesprochenen freundlich zurückwinkten. Geht doch. Bei Peaches fand ich mich dann neben vielen hopsenden jungen Frauen; ich versuchte kurz darüber nachzudenken, ob es jetzt eine gute oder schlechte Sache sei, dass junge Frauen zu so einem schäbigen misogynen Machwerk (das leider recht eingängig ist) tanzen, kam aber zu keinem Ergebnis, und war froh, als es vorbei war. Danach gab es allerdings noch einige Lieder, zu denen man ohne schlechtes Gewissen hopsen konnte (bzw. bei denen ich den Text noch nie verstanden habe), dabei trat mir irgendjemand gegen den Knöchel, ich torkelte gegen ein paar andere, die mich sofort wieder in die Tanzfläche zurückschubsten - aber alles ganz harmlos, anders als 1979. Deswegen gibt es auch von mir kein Schlußwort wie damals von Ludwig Karnickel, der die goldenen Worte sprach: "Beguckt euer Gesicht noch mal gründlich im Spiegel, auf dass ihr euren Kindern später auch ruhigen Gewissens sagen könnt, dass ihr früher auch mal eine richtige Nase im Gesicht hattet."

Ein schönes Konzert.

Samstag, 23. November 2019

Schlank, traurig und sentimental

(Von diesen Adjektiven trifft maximal eins auf mich zu.)

Wenn auf Twitter die verehrten Robert Rotifer und Will Varley unabhängig voneinander auf eine Sängerin hinweisen, ist das für mich Grund genug, mir das einmal anzuhören.

Josienne Clarke, die wohl schon recht erfolgreich bei verschiedenen Projekten mitgewirkt hat, hat eine Solo-LP vorgestellt. Mir sind ja oft die folkigen Songwriterinnen etwas zu gefällig belanglos, hier finde ich allerdings ein neues Lieblingslied.


Und bei diesem Lied gefällt mir wie die Schreie der Seevögel in die Melodie einfließen.



Donnerstag, 14. November 2019

Starkes einfaches Schweigen

Vor über dreißig Jahren kam im Schweizer Radio häufiger ein Lied, das wie ein wunderbarer Outtake der besseren John-Lennon-Soloalben klang. Irgendwo hatte ich es auf Cassette, aber schon lange nicht mehr gefunden. Ich hatte noch den Moderator Francis Mürner im Ohr und wusste deswegen, dass es Strong simple silence hieß und der Sänger T-Bone Burnett war (der übrigens auch später für die Coen-Brüder Filmmusik zusammengestellt hat).

Ab und zu habe ich bei T-Bone Burnett-Alben nach dem Lied gesucht, war aber nirgends zu finden.  Immerhin schon nach einigen Jahrzehnten kam ich dann auf die Idee, einfach das Lied zu g*geln und musste feststellen, dass zwar Burnett singt, das Lied aber von den Golden Palominos ist. Kein Wunder, dass ich es nicht finden konnte.

Jetzt konnte ich es nach 30 Jahren endlich wieder hören und es gefällt mir genauso gut wie damals und es hat immer noch diesen Lennon-Vibe. (Die Version von Peter Blegvad, dessen Lied es eigentlich ist, die ich jetzt auch erstmals gehört habe, ist fast noch besser, aber hier fehlt der Lennon-Soloalbum-Einschlag.)



Sonntag, 27. Oktober 2019

Vor 30 Jahren

Vor dreißig Jahren war ich im Zivildienst, als Hausmeister in einem Kurkrankenhaus. Ich war einer der Glücklichen, die zwanzig Monate Zivildienst machen durften. Glücklich deswegen, weil 1990 die Zeit auf zwei Jahre hochgesetzt werden sollte. Im Grundgesetz stand zwar, dass der Ersatzdienst nicht länger als der Wehrdienst sein durfte, trotzdem dauerte mein Dienst fünf Monate länger als der meiner Schulkollegen, die beim Bund waren (ich war übrigens der einzige aus dem Gymnasialjahrgang, der verweigert hatte; im Allgäu gingen auch 1989 noch die Uhren anders). Jeder unseres Jahrgangs wurde unmittelbar nach dem Abitur gezogen; wir waren immerhin noch im Kalten Krieg.

Während meine früheren Freunde bereits mit dem Studieren beginnen konnten, war ich also noch mit Grasrechen beschäftigt. Mir graute vor dem Winter und den Holzfällarbeiten, die dann auf mich zukamen. Beim Grasrechen kam mir irgendwann der Gedanke, dass man ein Konzert der ganzen lokalen Bands organisieren könnte. Mit meinem Bruder hatte ich ein kleines Cassettenlabel, auf dem wir unseren eigenen Kram veröffentlichten, von unserem 1988er Tape hatten wir immerhin knapp 200 verkauft. Das Label hieß "Die Henne Records", nach dem damals bei uns gebräuchlichen Ausruf der Überraschung, "ach, fick doch die Henne". Wir waren halt vom Land (im hohen Norden gab es ein ungleich einflussreicheres Tapelabel, das Pissende Kuh hieß).

Meine Idee war, dass man beim Konzert mit dem Eintritt ein Mixtape mit den auftretenden Bands verteilen könnte, um die Musik der einzelnen Combos etwas bekannter zu machen. Mein Bruder und ich kümmerten uns um die Tapes (es gab einen Punk in Ludwigshafen, der connections zu BASF hatte und Tapes in jeder Länge besorgen konnte). Ich weiß nicht mehr, ob wir die Cassetten alle selber überspielten oder nur ein Mastertape an den Cassettenhändler schickten; irgendwie habe ich aber noch die Erinnerung an das Doppelcassettendeck bei uns im Wohnzimmer, das im Dauerbetrieb war. Unsere Cassetten hatten immer Klappcover, damit man die Texte unterbringen konnte; das war damals ohne Copyshops in der Nähe gar nicht so einfach. Aber man hat halt alles mit Prit-Klebestift gemacht. Ich habe für die einzelnen Bands Linernotes geschrieben, die auf geteiltes Echo stießen.

Ein Mitstreiter von damals hat nun die Cassette auf Youtube hochgeladen und man kann sich anhören, was 1989 im Unterallgäu so angesagt war (ich mag die meisten Lieder immer noch ganz gerne).  Ich selbst habe die Cassette, glaube ich, gar nicht mehr, meine Erinnerungen an das Konzert, das genau am 28.10.1989 stattfand, sind auch durchaus durchwachsen. Wir haben danach hauptsächlich in der Freisinger Gegend gespielt, 1994 noch einmal im Unterallgäu, dann aber schon alle weit entfernt und kicked out of the scene. (Über meine eigene Rolle möchte ich hier nicht sprechen, nichts worauf ich sonderlich stolz sein könnte).



Was mich komplett fertig macht: Das Konzert fand statt, als der Mauerfall kurz bevor stand. Egon Krenz hatte schon Erich Honecker abgelöst, immer mehr Leute kamen vom Osten in den Westen. Ich habe mich im Nachhinein oft gefragt, wie ich das eigentlich wahrgenommen habe. Seit ich wieder weiß, dass dieses Konzert am 28.10.1989 stattgefunden hat, weiß ich: gar nicht. Natürlich habe ich die Nachrichten gehört, natürlich wusste ich, was passiert, aber das war für mich so weit entfernt wie jetzt die Nachrichten von den Protesten in Chile oder im Libanon. Ich hatte sicher keine Sympathien für die DDR, man kannte ein paar der frühen Übersiedler, wusste auch, wie dort mit Punks umgegangen wurde. Aber diejenigen, die vor 1989 von Wiedervereinigung redeten, waren Leute wie Strauß oder Dregger oder Reagan. Mit denen hatte man nichts gemeinsam.

Mich quält im Nachhinein diese komplette Blindheit und Ignoranz, die ich damals hatte. Zum Teil lag es sicher daran, dass ich alles andere als weltgewandt war. Ich hatte wenig Ahnung vom Osten, aber ich war zu dem Zeitpunkt auch noch fast nie in Baden-Württemberg oder Hessen gewesen (geschweige denn von irgendwelchen Besuchen in Norddeutschland). Was immer in der DDR passierte, ich hatte andere Probleme. Wir saßen damals im Voralpenland und dachten, das habe mit uns alles nichts zu tun.

Inzwischen bin ich älter und in dieser Hinsicht schlauer. Ich werde aber nie begreifen, wie ich damals (und leider auch noch ein paar Jahre länger) das alles vollkommen ignorieren konnte. Ein Problem ist sicherlich, dass auch dreißig Jahre später hüben wie drüben Desinteresse herrscht, was auf der jeweils anderen Seite passiert ist. Ich wünschte mir, dass unsere Kinder irgendwann über der Ost-West-Einteilung stehen, aber dafür werden wohl noch ein paar Jahrzehnte ins Land gehen müssen.

(Dieser Eintrag ist teilweise angeregt durch diesen Blogpost. Dort gibt es keinen Punk, aber Ost-West-Problematik.)

Donnerstag, 10. Oktober 2019

Töte den alten grauen Esel

Andere kriegen von Youtube nur Verschwörungstheorie-Müll vorgeschlagen, mir werden immer wieder musikalische Perlen empfohlen, die ich sonst nie gefunden hätte.

Von Belton Sutherland habe ich vorher noch nie gehört, dieser stoische Blues gehört aber zu den besten, die ich kenne. Alleine den Fingern zuzusehen ist ein Vergnügen. Und wie es Sutherland schafft, über vier Minuten mit der Kippe im Mund zu singen, ist auch fantastisch. Die Gitarre ist anscheinend tiefer gestimmt, auch das gibt dem Lied einen besonderen Klang.

Über sein Leben findet man nicht viel, zum Zeitpunkt der Aufnahmen war er 67 Jahre alt. Er war wohl bekannt und erfolgreich, es gibt aber nur wenige Lieder von ihm, die aufgenommen wurden. Er ist 1983 gestorben und hat noch nicht einmal einen Grabstein.

Mittwoch, 2. Oktober 2019

Das Lied für die glückliche Ehe

Das Superhelden-Video darf nicht täuschen, Eddie Argos wird häuslich.  Man kommt von einem unangenehmen Arbeitstag nach Hause und spricht bei einem Glas Wein über seinen Tag. Eddie Argos will gar nicht wissen, wer recht und wer unrecht hat, weil schon feststeht: Deine Feinde sind auch meine Feinde. Ein Hoch auf die Loyalität, was für fragwürdige Folgen sie auch haben mag (das Video gibt ein schönes Beispiel). Trotzdem, gut zu wissen, dass es jemand gibt, für den meine Feinde auch seine Feinde sind.


Mittwoch, 11. September 2019

Das Lob der Vorgruppe

Wieder einmal ging es Richtung Kreuzberg: Holy Moly & the Crackers waren in der Stadt und die wollte ich nicht verpassen. Während ich beim letzten Konzert phantastische Begleitung hatte, musste ich diesmal alleine los.

Holy Moly & the Crackers hatte ich Anfang des Jahres schon einmal gesehen, als Vorgruppe von Skinny Lister. Beim Konzert hatte es zunächst etwas gedauert, bis ich mit der Band warm wurde, aber ich hatte mir eine CD mitgenommen, die hier dann oft und gerne gespielt wurde.

Ich sehe mir immer gerne Vorgruppen an, man lernt meistens eine neue Band kennen, hört vielleicht auch etwas, was man sich ansonsten nicht ohne weiteres anhören würde. Viele meiner derzeitigen musikalischen Favoriten habe ich als Vorband kennengelernt - allen voran Sonic Boom Six, die als Vorband für die Levellers gespielt haben, und die ich mir ansonsten sicher nie angesehen oder angehört hätte (was ein großer Fehler gewesen wäre). Skinny Lister habe ich das erste Mal als Vorband von Frank Turner gehört, Holy Moly & the Crackers dann als Vorband von Skinny Lister.

Und Holy Moly & the Crackers hatten nun als Support Julii Sharp und Keiran Thorpe (beide wohl aus Frankreich). Julii Sharp kam mit einer Gitarre auf die Bühne, Keiran stellte sich daneben und dann sangen beide in das gleiche Mikro, zarteste Folklieder. Meine Fotos sind wie immer kacke, aber da musste einem das Herz aufgehen.


Hier kann man die beiden in einem Video sehen, vor einem Sonnenaufgang in Südfrankreich. Im Konzert war das allerdings noch einmal etwas intimer.

Ist das nicht allerliebst? Hier noch ein Video von Julii Sharp solo:



Die beiden haben noch nicht einmal eine CD, aber ich denke, man wird noch einiges von ihnen hören.

Danach Holy Moly & the Crackers. Der Bandname ist zwar etwas dämlich, die Band aber gut und sympathisch. Es ist schwer, den Sound zu beschreiben, man stelle sich die B52s mit Balkan beats vor, das kommt in etwa hin. Die Band hat ein Akkordeon, eine Geige und eine Trompete und eine Power-Rock Rhythmussection und eine glamouröse Sängerin mit viel Soul. Das gibt dann eine Mischung aus Power-Pop und Folk/Weltmusik. Das macht nicht nur im Konzert Spaß, sondern passt auch als CD.

Die Band hat großen Spaß, das Publikum auch. Der Schlagzeuger, der vor allem auf Standdrum und Toms spielt macht die wahnsinnigsten Grimassen, die Akkordeonistin schmeißt sich in die wildesten Posen, der hippelige Sänger hüpft über die Bühne. Die werden auch noch auf viel größeren Bühnen spielen. Im März wollen sie wiederkommen, ich werde versuchen, auch dabei zu sein.


Mittwoch, 28. August 2019

"Tanzen Sie, Mr. Stringer, tanzen Sie!"

(Der große Spätsommer-Konzertmarathon.)

B. ist auf Besuch, also machen wir uns auf den Weg zum Schokoladen, wo die Liga der gewöhnlichen Gentlemen spielen sollen. Frau Ackerbau lässt sich auch noch überreden mitzukommen. Die Liga habe ich schon mal live gesehen, auch schon wieder fünf Jahre her, 2014 als die Welt noch heil war.

Der Schokoladen ist ein exquisiter Konzertort in der Ackerstraße, es passen vielleicht 100 Leute herein, das Bier ist billig. Am heutigen Tag ist schon bevor es überhaupt losgeht in dem Laden eigentlich kein Sauerstoff mehr, so heiß und stickig ist es. Also lassen wir uns stempeln und stellen uns, ganz berlintypisch und eigentlich so wie bei den Konzerten vor 30 Jahren, mit Bierflasche vor den Laden. Draußen stehen auch schon Teile der Band, ein netter Mensch kommt vorbei und verteilt Freibier (Astra, allerdings, obwohl es im Schokoladen auch Augustiner gibt). Wir beschließen hineinzugehen, bevor es total voll wird und machen dabei die beste strategische Entscheidung des Abends: Wir stellen uns einfach vor den Ventilator, was wirklich der beste Platz überhaupt war. Die Liga beginnt dann zu spielen, sie stellen ihre neue Platte "Fuck dance, let's art" vor. Das ganze Setting ist sehr familiär, die meisten im Publikum kennen sich irgendwie. Die Musik der Liga der gewöhnlichen Gentlemen kann man ja am ehesten mit punkigem Northern Soul mit deutschen Texten beschreiben, heute sind sie ohne Blasinstrumente da, was eher zu einem punkigen Beatkonzert führt, etwa so als würden die Cockney Rejects die erste Beatles-LP spielen. Alles sehr schön, wir sind bester Laune, B. erwähnt das für diesen Post titelgebende Zitat (an alle, die das Zitat einordnen können: Ihr seid alt!).

Alles hopst und singt bereitwillig mit (der Chor "Häßlich und faul, Musik und der HSV" wird mir noch lange im Ohr bleiben). Die Band ist im besten Sinne eigenwillig, da gibt es dann eben ein Lied über Matrazenconcord. Der Sänger hadert mit einer Besprechung der LP bei Radio eins, bei der die Musikjournalisten nun überhaupt nicht verstanden haben, worum es der Band geht und worum es bei der Band geht.

Was soll's, wir haben Spaß.

Als die Liga kurz vor 22 Uhr aufhören, kann ich meine Begleiterinnen noch überzeugen zu dem, ähm, Radio eins Fest am Gleisdreieck zu gehen, wo genau um diese Zeit Bob Mould spielen soll. Wir machen uns auf zur S-Bahn, müssen dann an der Yorckstraße dem Radau nachgehen, um die Bühne zu finden. Wir kriegen noch die letzte Hälfte vom Bob-Mould-Set mit, er spielt allein mit elektrischer Gitarre, in die er ziemlich eindrischt. Seltsamerweise ergibt das aber immer noch einen relativ differenzierten Klangteppich, Akkorde mit vielen kleinen Melodiestückchen darin. Ich erkenne ein paar Lieder von der ersten Solo-LP, eines aus Sugar-Tagen, leider nichts von Hüsker Dü (das gab es bevor wir kamen). Mould sieht mit weißem kurzen Vollbart, Glatze und runder Brille aus wie ein Gemeinschaftskundelehrer kurz vor der Pensionierung. Er strahlt wieder eine unglaublich positive Energie aus, das begeistert mich sehr. Ich bin mir nicht sicher, wie viele der Leute im Publikum eigentlich eine Ahnung haben, wer da vor ihnen steht. Um 11 Uhr beendet der Moderator das Konzert, ein paar Unentwegte wollen noch New Day Rising hören, aber geht nicht, wegen Lärmschutz. Beglückt, beschwipst und mit schmerzenden Beinen ging's nach Hause.

Mittwoch, 21. August 2019

Flipper mit Mike Watt

Flipper nerven. Flipper haben immer genervt. Es gibt Bands, die versuchen etwas zu machen, was ihr Publikum hören will, und es gibt Bands, die alles dafür tun, den Zuhörern den Spass zu verderben. Merkwürdigerweise bleiben einem die letzteren Bands oft länger im Gedächtnis. So ging es mir auch mit Flipper, von denen ich vor 30 Jahren mal ein Lied im Radio gehört habe, das ich dann zwar bis vor kurzem nie wieder gehört habe, das mir aber trotzdem nicht aus dem Kopf ging. Brainwash, eine sechsminütige Sequenz, bei der immer wieder ein etwa 20sekündiger Liedschnipsel mit rätselhaften Lyrics wiederholt wird. Brainwash, eben. Ein paar andere Lieder kannte ich von Samplern und es war auch dort so, dass immer, wenn man etwas gut fand, ein musikalischer Einfall kam, der einem den Spaß verdarb. Flipper hatten ihre besten Zeiten in den 80ern, sie waren jetzt zur 40-Jahre-Jubiläums-Tour unterwegs. Zwei der Mitglieder sind schon gestorben, als Sänger war nun David Yow, der früher mal bei Jesus Lizard war, am Bass begleitete Mike Watt, der ja bei mir im Haus einer der Säulenheiligen ist.

Das musste ich mir dann doch ansehen, das Publikum im Bi Nuu war so wie erwartet: Eine schöne Ansammlung von Freaks im deutlich gehobenen Alter. Manchmal macht mich ja das Punkrock-Altersheim etwas melancholisch, dort fand ich es aber eigentlich ganz schön: Alter bedeutet halt nicht mehr Konformität und alle hören jetzt Musikantenstadel, sondern es bleibt bunt und wild (natürlich mit Ausnahme von mir, der ja in der Freizeit grundsätzlich immer das Gleiche anhat, ob zum Punkkonzert oder zum Sonntagsgottesdienst). Das am gebrechlichsten wirkende Publikumsmitglied entpuppte sich allerdings später als Flipper-Gitarrist Ted Falconi. Sein Gitarrenspiel war dann alles andere als gebrechlich. Was mir bei den Konzerten gefällt, ist, dass ich inzwischen im Publikum viele alte Charakterköpfe sehe, wie damals, wenn ich mit meinem Opa zum Frühschoppen durfte. Kantig und vom Leben gezeichnet.

Erste Vorgruppe die Heads, von denen ich eigentlich nichts weiß. Musikalisch passend, weil sie nach frühen 80er Ami-Hardcore klangen. Mich erinnerten sie an die Toxic Reasons (das ist hier sicher der dümmste Verweis; ich selbst kenne eigentlich nur zwei Liedern von den Toxic Reasons, die ich mal auf einer Kassette hatte, und von den Leserinnen kennt höchstwahrscheinlich keine die Band, so dass das sinnloses Namedropping ist, das noch nicht einmal irgendjemand beeindruckt. Und es wird sogar noch dööfer: Ich stelle gerade fest, dass das Lied, das ich meinte, gar nicht von den Toxic Reasons war, sondern von Naked Raygun.) Die Band war nicht schlecht, hinterließ aber keinen besonderen Eindruck, das mag aber auch an mir gelegen haben. Später beim Konzert standen der Schlagzeuger und der Bassist irgendwie neben mir und boxten rum, dabei trat mir der Bassist auf den Fuß und ich schaute wachsam und überrascht, was den Bassisten und mich dazu brachte, verbal und nonverbal klar zu machen, dass wir uns nicht prügeln wollen. Cool, cool, no problem, Arm tätschel, grins grins.

Zweite Vorgruppe Dysnea Boys, ein Trio. Im Falle einer Schlägerei hätte man auf jeden Fall auf der Seite sein wollen, auf der auch diese Typen sind. Verzerrter Bass, ein Schlagzeug, dass so laut auf die Lautsprecher gelegt wurde, dass einem bei jedem Basedrum-Schlag das Herz flatterte, repetitive metallische Riffs und ein bisschen Headgebange, obwohl eigentlich keiner von denen lange Haare hatte. Erinnerte mich an Gore (zu den Musikverweisen, s.o.). Der Gitarrist sang dann über diesen ganzen Krach merkwürdige Sachen, bei einem Lied war es weitgehend "I don't know the words" und ich grübelte, ob er den Text vergessen hatte oder ob das der Text war. Ich fand es dann aber überraschend gut. (Hier kann man sich ein offizielles Video ansehen, in dem  eine Tänzerin zu der Musik in einem leeren Fabrikgebäude die Haare schüttelt und moderne Dance-Moves macht. Allerdings ist die Musik im Video ganz anders, als das, was die Jungs gespielt haben. Würde zu den neuen Liedern besser passen. )


Danach Flipper. Die Oldies stürmen die Bühne, man kann sich eine Kollektion von Frisuren ansehen, die bei älteren Leuten doch merkwürdig aussehen, dazu kommt David Yow, der irgendwie aussieht wie der spillrige, nervige Onkel, der bei Familienfeiern alle zutextet. Insoweit eigentlich ein passender Flipper-Sänger. Als er auf die Bühne kommt, merkt man schon, dass er breit wie eine Natter ist, man muss allerdings sagen, dass er trotzdem beeindruckend gesungen hat. Als erstes springt er von der Bühne ins Publikum, das ist schon ein sehr mutiger Move, wenn man eigentlich die kleinste Person bei einem Konzert ist. Teilweise lehnt er sich während des Singens einfach auch auf die Leute in der ersten Reihe, die verzweifelt versuchen, ihn vorm Umfallen zu bewahren. Die anderen produzieren derweil mit Sägegitarre und Wummerbass ein repetitiv hypnotisches Soundbett, zu dem Yow dann singt. Bei Ha Ha Ha entschließt er sich dann einmal, die anderen Bandmitglieder zu nerven und belästigt sie auf der Bühne. Am unangenehmsten ist, dass er die ganze Zeit herumspuckt.  Seine Ansagen auf deutsch sind etwas verwirrend, von "Tut mir leid" bis "Auf Wiedersehen Schwanzgesicht" ist alles dabei. Yow hat die Energie und Aura einer  Wespe bei einem Sommerpicknick.

Vielleicht sind die Maßstäbe seit den 80ern etwas andere geworden, aber die Musik von Flipper ist inzwischen gar nicht mehr so nervig und gemein, wie ich sie in Erinnerung hatte. Einprägsam und eigen ist sie allerdings immer noch, ich hatte viel Spaß bei dem Konzert. Zu dem letzten Lied Sex Bomb stürmten dann eine Masse von Leuten auf die Bühne. Die Band hatte aufgerufen, dass sich Saxophonisten melden sollten, die (wie auf der LP-Version) den Bläserpart spielen können. Kreuzberg ist allerdings Kreuzberg, deswegen gab es nur einen Saxophonisten, aber eine ganze Meute von Nasenflötenspielern, die einen unglaublichen Lärm machten. Daneben sprangen auch alle möglichen anderen Leute auf die Bühne und hüpften herum. Es war absolut grandios, insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, dass das alles eine (mindestens) Ü40-Veranstaltung war.


Und ich habe endlich mal Mike Watt gesehen.

Freitag, 12. Juli 2019

Verbrechen auf Schallplatte (6)

Dem vorzüglichen Buch von Frank Apunkt Schneider "Als die Welt noch unterging" entnehme ich, dass Benny in den späten 70er Jahren nicht nur "Ca plane pour moi" von Plastic Bertrand gecovert hat, sondern auch "If the kids are united" von Sham 69.* Dieses Crossover von deutschem Schlager und englischem Punk ist so unerwartet wie unerträglich. Es zeigt sich wieder einmal, dass beim frühen Punk die Musik eigentlich gar nicht so unverträglich war, sondern eher die Botschaft. Benny schaffte es, den systemkritischen Sozialkitsch von Sham 69 in systemkonformen Sozialkitsch umzuwandeln. Erfolgreich war es trotzdem nicht. Nachdem ich es mir jetzt zweimal angehört habe, möchte ich mir die Ohren ausspülen bzw. abschneiden.



*Ich habe das Original das erste Mal bei Bayern 3, Pop nach Acht mit Thomas Gottschalk gehört.

Sonntag, 7. Juli 2019

Punkrock Sommer

Eines der schönsten Sommerlieder, das ich kenne, war auf einem Tape der Berliner Band TBC. Es hatte als Zeile "Ich will ein Bad in St. Tropez, will nur  Hitze und keinen Schnee". Der Refrain forderte "Hitze bis ins Grab". Vielleicht sind ja TBC an der Klimakatastrophe schuld?
Das Tape ist mir auch deswegen ans Herz gewachsen, weil dort ein Lied über Superman drauf war, mit der bemerkenswerten Zeile "Superman ist der größte Arsch der Welt". Lang habe ich's nicht mehr gehört, die Cassette liegt irgendwo in Bayern herum, im Kopf hatte ich die Melodie immer wieder mal. Ein Hoch auf Youtube, wo man das Lied tatsächlich finden kann, allerdings in einer späteren Version, die auf einer EP zu finden war (die ich bislang noch nicht kannte).



Der absolute Punkrock-Sommer-Klassiker kommt natürlich von den verehrten Undertones. Ein Unmensch, wer sich das anhören kann, ohne gute Laune zu bekommen:




Samstag, 6. Juli 2019

Klassischer Sommer

Das klassische Sommerlied ist natürlich Summertime von Gershwin und gegen dieses Lied kann ja niemand etwas haben. Die klassische Aufnahme dazu ist die der großen Ella Fitzgerald. Coverversionen gibt es tausende, man könnte sich wohl eine Woche durchhören. Ich mag (wenig überraschend) auch die Coltrane-Version sehr gerne.

Wir haben das Stück auch mal gespielt, obwohl die Fische im Allgäu nicht hoch springen und unsere Väter auch nicht reich waren. Diese Version schmeiße ich auch mal hier rein, ich mag sie sehr gerne.

(Das Video zeigt den Weg durch Elyseos Olivenhain in Korfu.)

Dienstag, 2. Juli 2019

Grausamer Sommer

Grausam ist es vor allem, das viele der bekannteren Lieder, die thematisch den Sommer behandeln, einfach furchtbar sind. Ich rede hiervon, hiervon und (ja, OLe) hiervon. (Ich will keine Widerrede hören, genauso wenig wie diese drei Lieder.)

Entsprechend meinem vollkommen erratischen Musikgeschmack finde ich allerdings folgendes Sommerlied nicht schlecht. Bananarama rennen darin in Overalls im Kreis und murksen in einer Tankstelle/Autoreparaturwerkstätte herum. Leider ist es nicht das Video, das meinem Mitschüler M. vor über 35 Jahren mal zu neuen modischen Freiheiten verholfen hat. Er hatte nämlich meist seine Hosen zerrissen, seine Mutter fand das nicht gut. Dann sah seine Mutter bei Formel 1 ein Bananarama-Video, wo die Mädels auch alle zerrissene Hosen anhatten. Daraus schloss sie, dass das jetzt wohl modern sei und hörte auf zu meckern.




Sonntag, 30. Juni 2019

Hitze und Sex

Offenbar soll es so sein, dass ich die Blogpause mit einer Sammlung von Sommerliedern beende. Also begeben wir uns vom Heißen Sommer etwa 15 Jahre weiter, in die frühen 80er.
Ideal hatten 1982 ein Lied, das nicht so einschlug wie andere ihrer Hits und das ich damals auch nur ein, zwei Mal gehört habe, dessen Refrain mir aber seitdem immer im Kopf rumgeisterte. Damit es euch in Zukunft auch so geht, hier das etwas merkwürdige Lied "Sex in der Wüste". Wenn man es sich noch einmal anhört, wundert man sich auch nicht mehr ganz so, dass es kein Hit wurde.



Immerhin ist dieses schlappe, dröge Gemucke ganz passend zum derzeitigen Temperaturstand.

Etwa die gleiche Zeit, weniger neu deutschgewellt als punk, Hans-A-Plast. Hans-A-Plast sind ja eine Lieblingsband, immer einen Tacken zuviel, immer einen Tacken zu laut, immer einen Tacken zu was-machen-die-jetzt-schon-wieder? Definitiv keine LPs, die man anhörte, wenn die Eltern dabei waren, weil die Musik darauf angelegt war, vehementen Widerspruch auszulösen. Damit aber auch eine Band, deren Lieder man gut in Erinnerung behält. Den nächsten Titel hat mir M. mal auf ein Mixtape aufgenommen, auch er wird einige ratlos zurücklassen. Die erste Zeile, glaube ich, spiegelt dumme Zeitungsüberschriften wieder, danach gerät das Lied aber in den Furor der Sängerin Annette und man tut sich schwer, irgendeine Haltung des Liedes zu entziffern, außer dass man sich nach dem Anhören sicher sein kann, dass alle, die es verdienen (und man selbst auch), etwas abbekommen haben. Also, hört es an, damit es euch nie mehr aus dem Hirn verschwinde: Diesen Sommer gibt es weit mehr Sex, Sex, Sex.

Samstag, 29. Juni 2019

Heißer Sommer

Wer im Allgäu aufwuchs, kannte normalerweise Frank Schöbel nicht. Ich hatte nach der Wende ab und zu etwas gesehen oder gehört und unter "das Ost-Pendant zu Peter Kraus" abgelegt. Ausgerechnet in Schottland sah ich dann einmal im Kino eine Dokumentation über Gerd Natschinski, der in der DDR viel komponiert hat (darunter eine Operette, die ich dann auch einmal in der Neuköllner Oper gesehen habe), unter anderem auch für einen Film der späten 60er, in dem Frank Schöbel mitspielte. Die Anfangssequenz des Films, die ich vor über zwanzig Jahren mal in Edinburgh gesehen habe, blieb mir im Kopf, fiel mir immer wieder mal ein, wenn in der Stadt der Asphalt flirrte.

Was soll man sagen, jetzt gibt's Youtube und man muss sich nicht auf seine Erinnerung verlassen, sondern kann sich die Sachen noch einmal ansehen. Und ich beginne zu ahnen, dass es weniger Frank Schöbel, sondern die bezaubernde Chris Doerk war, die das Lied in meinem Kopf verankert hat.

Aber wann, wenn nicht jetzt: Heißer Sommer.


Dienstag, 4. Juni 2019

Ich werde dich nie vergessen

Dass Hüsker Dü für mich immer eine wichtige Band waren, sollte die Leserinnen dieses Blogs nicht überraschen. Die frühe Doppel-LP Zen Arcade steckt das Terrain der Band schon wunderbar ab. Eines der ersten Punk-Konzept-Alben, bedient auch musikalisch alles vom College-Rock bis zur Hardcore-Attacke. Ich habe dieses Album auf Cassette vor dreißig Jahren immer im Auto dabei gehabt, erinnere mich noch gut, dass es manchmal für Anhalter etwas zu viel wurde.

Ein Lied, das wegen seiner Wucht besonders schwer zu ertragen ist, ist "I will never forget you". Es wird die Geschichte einer Beziehung gebrüllt, die Verletzungen, der Vertrauensverlust, gefolgt von "Ich werde dich nie vergessen, ich werde dir nie vergeben". Alles andere als angenehm oder schön. Glücklich ist, wer das nicht nachvollziehen kann.


Freitag, 5. April 2019

Wo ich meine Last ablege

Furry Lewis war mir bis vor kurzem kein Begriff, er war wohl einer der wichtigsten Vertreter des Memphis Blues und arbeitete in Memphis bei der Stadtreinigung.

Auf dieses Video bin ich zufällig gestoßen und es hat mich vor allem aus einem Grund entzückt und fasziniert: Ich saß früher immer vor meinen Robert Johnson-Platten und grübelte, wie er denn alleine die Gitarrenbegleitung hinbekommen konnte. Gleichzeitig gezupft, daneben ein paar Slide-Noten. Ich habe selbst ja ein bisschen an der Bottleneck-Gitarre dilettiert, aber nie eine solche Vielfalt hinbekommen. Auf dem Video kann man ganz gut sehen, wie man auf der Gitarre gleichzeitig die merkwürdigsten Dinge spielen kann. Und wenn man keine Lust mehr hat, mit der Hand zu greifen, nimmt man halt den Ellenbogen.

Dienstag, 26. März 2019

Ist das nicht bemerkenswert?

Auch eine Entdeckung, die mir der Youtube-Algorithmus beschert hat. Fanny, eine amerikanische Frauenband, die Anfang der 70er da weitergemacht haben, wo die Beatles aufgehört haben. Ich hatte noch nie von Fanny gehört, das Marvin Gaye-Cover "Ain't that peculiar?" hätte auch auf der zweiten Big Star-LP sein können (man höre sich zum Vergleich "O my soul" von dieser Platte an, dann weiß man, was ich meine).


Die Musik ist mir insgesamt etwas zu 70er-Jahre-Hardrock lastig, aber sie macht schon Spaß beim Zuhören. Sie ist auch um Längen besser als das, was man gemeinhin aus dieser Zeit hört. Mir ist vollkommen unbegreiflich, warum Fanny nicht bekannter sind (gut, der Name war sicher damals für den britischen Markt nicht hilfreich).

Auf Youtube kann man sich den ganzen Beatclub-Auftritt ansehen, dabei ist auch ein sehr schönes "Hey Bulldog"-Cover (ab 6:16).

Freitag, 22. März 2019

Plattfuß auf der Terasse

Ich hatte ja letzthin versprochen, mal wieder absoluten Nischencontent zu bringen. Ich bin nämlich auf den wunderbaren Youtube-Kanal vom Alan Lomax Archiv gestoßen. Alan Lomax ist ein Archivar der amerikanischen Folkmusik, der seit den Dreißigern Aufnahmen von den Jazz- und Bluesmusikern macht. Einen Großteil der Leadbelly- und Jelly Roll Morton-Aufnahmen verdanken wir ihm. Es gibt ein riesiges Musikarchiv und viele Videos, mit denen Folkmusik dokumentiert wird.

Hier sehen wir eine Art Terassen-Stepdance aus North Carolina. Offenbar war das ein beliebtes Freizeitvergnügen. Algia Mae Hinton, die stoisch den Rhythmus stampft, hat auch Bluesgitarre gespielt; wenn man sich weiter durch die Flat-foot videos guckt, kann man das dann auch sehen.
Ich habe keine Ahnung, was das alles soll, aber wenn ich mal so alt bin, mag ich auch noch so viel Spaß haben.



(Es gibt noch so viele wunderbare Sachen auf diesem Kanal wie z.B. Joe Savage,  der alte Field holler, Lieder der Feldarbeiter, singt. Einfach mal ein paar dieser Dinge ansehen, dann meint es auch der Youtube-Algorithmus gut mit einem.)

Sonntag, 17. März 2019

Angriff der Polka-Frauen

Skinny Lister waren wieder in Berlin und Frau Ackerbau und ich machten uns auf ins SO 36. In die neue CD hatte ich vorher kurz reingehört, war nicht ganz so überzeugt, aber Skinny Lister sind ja eigentlich immer für eine schöne Folk-Hops-Party gut.

Beginn war für 20 Uhr angesetzt, wir kamen um 20.15 Uhr im gut gefülltem SO 36 an und hatten schon die erste Vorband verpasst. Es spielte bereits die zweite Vorband, Holy Moly & the Crackers, die ich bislang nicht kannte. Der Name erinnerte mich an verschiedene lokale Bands, die immer auf den Konzerten in der Gegend spielten, Biba und die Butzemänner oder Body and the Buildings. Musikalisch waren Holy Moly auch eine sehr interessante Reise in die Achtziger, eine Mischung aus dem Folkpunk, wie ihn auch Skinny Lister spielt, mit New Wave-Anklängen und einer Sängerin und Violinistin, die auch sehr viel Soul in der Stimme hat. Interessante Arrangements, mit durchgängigem Akkordeon, Violine, ab und zu Trompete.

Hat mir gut gefallen, die Videos geben allerdings keinen vollständigen Eindruck der Band, das war live noch ein Stück druckvoller. Im September wollen sie noch einmal nach Berlin kommen, das ist sicherlich ein lohnendes Konzert. Frau Ackerbau und ich standen relativ weit vorne, wurden einmal rüde zur Seite geschoben, allerdings nicht, wie ansonsten üblich, von Jungmännern, die sich austoben wollten, sondern von einer Truppe Frauen, die nach vorne zum Hopsen gingen. Ich finde es ja sehr angenehm, wenn auf Konzerten eine gute Mischung von Leuten, jung, alt, Mann, Frau, was auch immer, im Publikum ist. Viel besser als die testestorongesteuerte Monokultur, die viele Punk- und Hardcorekonzerte immer noch ist.

Nach kurzer Umbaupause kamen Skinny Lister. Sängerin Lorna Thomas ausnahmsweise nicht in einem Kleid mit Polka Dots, aber immer noch so energiegeladen. Bei Skinny Lister im Konzert kann es dir passieren, dass auf einmal vor dir im Publikum die Sängerin auftaucht und dich zu einer kurzen Tanzdrehung herumzieht. Die ersten Lieder waren eher neu, mit weniger Folkeinflüssen, eher rockig. Das klang für mich manchmal nach Blondie, nicht schlecht, aber auch nicht wirklich bemerkenswert.



(Ausnahmsweise mal ein gutes Bandfoto gelungen.)
Aber die meisten Lieder waren dann doch von der Folkpunksorte, die zu glücklicher Erschöpfung im Publikum und auf der Bühne führen. Frau Ackerbau meinte zwischendrin, dass das ja eigentlich eine Bierzelt-Band sei; das ist nicht ganz falsch. Aber bei Skinny Lister wirkt das ganze nicht anbiedernd, sondern eher wie ein Teilen dieser unglaublichen Energie, die die Band hat. Jung sind sie halt. Gegen Schluss kamen dann immer mehr Lieder von der Down on Deptford Broadway-LP, die mir auch am besten gefällt. Mein Favorit ist Trouble on Oxford Street, bei dem auch ältere Herren herumhopsen können und daran denken, wie ähnlich es vor dreißig Jahren bei den Pogues war.

(Anders als im Video angegeben, ist das "Cathy" und nicht "What can I say?")

Am nächsten Tag tat mir alles weh.

Sonntag, 10. März 2019

Auf einem Fels, von Sonne beschienen

DAMALS 

(Wer sich nur dafür interessiert, wie das Konzert von Bob Mould im Columbiatheater war, der springt am besten zum Abschnitt heute.)

 Anfang der 80er saßen wir in unserem Allgäuer Kaff herum und versuchten, mehr über Punkmusik herauszufinden. Im Umlauf waren die üblichen England-Bands, ab und zu tauchte mal jemand mit etwas exotischeren Platten auf, die über irgendeinen Mailorder für teures Geld gekauft wurden. Furchtbare Dinge mussten wir hören. Sch., ein Schulfreund meines Bruders, setzte einen Großteil seines Taschengeldes in Platten um, und hatte einen exquisiten Musikgeschmack. Irgendwann brachte er die Hüsker Dü Land Speed Record-LP mit, 17 Lieder in 21 Minuten (davon eines, das alleine über vier Minuten dauerte). Unser Urteil: Das kann nicht deren Ernst sein, dieser Name, diese Musik. File under: unhörbar; wir hörten lieber unser Englandgerumpel. Ende 1985 brachte er die Flip your wig-LP von Hüsker Dü vorbei. Ich weiß noch, dass ich bei dem Lied "Hate paper doll" dachte: Bilden die sich ein, sie seien die Beatles? Sch. tat es sichtlich weh, dass wir so doof waren, aber manche brauchen halt etwas länger.

Irgendwann 1986 tauchte dann ein Video auf, Live in London 1985. Schon die ersten Minuten waren furchtbar: Der Schlagzeuger hatte schulterlange Haare und spielte barfuß. Das erste Lied "New day rising" begann mit Snare- und Tom-Schlägen auf jeder Zählzeit, Gitarre und Bass bleiben etwa eine halbe Minute auf einem Akkord, bevor der erste Wechsel kommt, der Text besteht aus drei dauernd wiederholten Wörtern: New day rising. Das Lied ist ein klares Zeichen, dass die Band es dem Publikum nicht leichtmachen will. Ihr wollt uns hören? Gut, dann schaut mal, ob ihr das ertragen könnt. Bob Mould, der Gitarrist, spielt weitgehend offene Akkorde, d.h. Akkorde, bei denen auch Saiten angeschlagen werden, die nicht gegriffen werden. Der Rockstandard sind eigentlich Barré-Akkorde, bei denen alle Saiten, die gespielt werden, auch gegriffen werden. Hüsker Dü dagegen: extrem verzerrte Lagerfeuermusik, Saiten schwingen noch mit, obwohl der Akkord schon gewechselt hat, gemurmelte zweite Stimmen, ein Schlagzeug, dass manchmal eher am Jazz orientiert ist, als an sauberem kontrollierten Rock. Dazu eine offensichtlich übermüdete, fehleranfällige Band (Bob Mould mag aus diesem Grund dieses Konzert nicht sonderlich). Und trotzdem zerschmetterte dieses Video unsere bisherigen Anschauungen über Musik vollkommen.

Aus jetziger Perspektive ist das wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, weil seit dreißig Jahren die Hüsker Dü-Epigonen in der Musik so präsent sind, dass es kaum noch vorstellbar ist, dass diese Herangehensweise in irgendeiner Weise bemerkenswert war. (Mir ist das in anderem Zusammenhang einmal aufgefallen: Ich konnte den Wirbel um die Stooges nie so richtig nachvollziehen, was aber vor allem damit zu tun hatte, dass ich schon jahrelang Stooges-Epigonen gehört hatte, ohne die Originale zu kennen.) Vorher war meine Vorstellung von Musik, dass alles klar, überschaubar und kontrolliert sein sollte. Nun musste ich feststellen, dass in dieser Musik in allem Durcheinander viel mehr angelegt war. Kleine Zusatzmelodien in dem Gitarrengewitter, Chöre, die man sich selbst zu Ende denken musste. Damals habe ich mich dafür entschieden, dass mir bei der Musik eine gute Skizze immer lieber ist als ein mittelmäßiges, aber ausgearbeitetes Gemälde.

Alles andere als unwichtig war auch der Habitus der Band: keinerlei Rockmacho-Gehabe, keinerlei Versuch, besonders cool zu wirken. Und trotzdem hatte die Musik eine Energie, die alles, was man 1986 ansonsten hören konnte, ohne Probleme wegblies. Das hat auch unsere Band nachhaltig beeinflusst, kleine Lichter, die wir waren, haben wir an der einen oder anderen Stelle manchmal doch einen Hüsker-Vibe zusammen bekommen.

In dem Konzert spielte die Band auch ein 15minütiges Instrumentalstück, reiner Jazz, das auf einmal abrupt in eine Coverversion von Eight Miles High von den Byrds mündet. Erst später fiel mir auf, dass es auf der Untitled-DoppelLP der Byrds eine Eight Miles High-Version gibt, die tatsächlich auch mit einer zehnminütigen coltranesken Instrumentalimprovisation beginnt. Die Hüskers kannten ihren Kanon viel besser als ihre punkige Gefolgschaft. 

Man könnte noch viel schreiben: Über die Rivalität der zwei Songwriter Grant Hart und Bob Mould, über die verschiedenen Alben, über das Zerbrechen der Band.  Ich habe sie nie live gesehen, bei der letzten Deutschlandtour war ich leider auf Klassenfahrt. Bob Mould habe ich 1989 nach seinem ersten Soloalbum live gesehen. Ein wirklich gutes Konzert, damals hatte er - wenig überraschend - aber vor allem großen Ehrgeiz zu zeigen, dass er noch ganz andere Dinge als Hüsker-Lieder schreiben konnte. Mould machte in der Zwischenzeit immer wieder neue Musik, teilweise auch recht erfolgreich, produzierte auch House, ich selbst nahm das nicht mehr besonders wahr. Das Wirken von Grant Hart hatte ich ein bisschen besser im Blick, leider starb Hart viel zu früh, krank und bitter.

HEUTE


Vor einigen Jahren spielte Bob Mould schon einmal wieder in Berlin, damals war ich zu spät dran, mir Karten zu besorgen, es war ausverkauft. Mein Impuls, dort hinzugehen, war eher ein nostalgischer. Vor ein paar Wochen wurde ich von Frau Tikerscherk auf Twitter darauf aufmerksam gemacht, dass es ein neues Bob Mould-Album gebe. Da hörte ich auch zum ersten Mal, dass Bob Mould seit Ende 2015 in Berlin wohnt (passenderweise in Schöneberg). Mehr aus allgemeinen Interesse habe ich dann in das neue Album reingehört, das "Sunshine Rock" heißt. Das Anhören hat mich dann aber ziemlich angerührt, fast zum Heulen gebracht. Warum? Das Lied ist erkennbar in der Hüsker Dü-Tradition, könnte fast ein Outtake der "Warehouse: Songs and Stories" sein. Aber es findet sich in diesem Lied etwas, was ich in den ganzen früheren Hüsker Dü-Liedern (und auch im Mould'schen Solowerk, soweit ich es kenne) nie gehört habe: Eine Gelassenheit, Entspanntheit, vielleicht sogar Lebensfreude. Das frühere Werk ist ja eher geprägt von Zweifeln, Schmerz, dem Gefühl des Nichtdazugehörens, selbst in den paar Liedern, in denen die Grundstimmung eigentlich positiv war. Diese Dinge sind in den neuen Liedern auch noch spürbar, aber in einer großen Gelassenheit und Zukunftszugewandtheit aufgelöst (und die Musik ist trotzdem noch gut).
In einem Interview bestätigt Mould diesen Eindruck,  überraschenderweise ist er der Auffassung, dass er Berlin diese Entwicklung zu verdanken hat. Für seinen guten Zustand macht er aber auch "Wasser und genügend Schlaf" verantwortlich. Und anscheinend haben sich Mould und Hart auch vor Harts Tod wieder ausgesöhnt.

Im Konzert bestätigt sich der Eindruck. Ich komme leider etwas zu spät, so dass ich die Vorband verpasse. Beim Reingehen denke ich kurz, M. säße an der Theke, aber der sitzt nirgendwo mehr. Als Pausenmusik vor dem Auftritt kommt eine Mischung aus Buzzcocks und anderer Musik, kurz vor dem Auftritt hört man Hildegard Knef, Bob Mould ist offenbar gut in Berlin angekommen. Er kommt gut gelaunt auf die Bühne, sieht aus wie ein Oberstudienrat und spielt sich durch seine 40jährige Songgeschichte. Alle Phasen passen zusammen, die wilden Hüsker Dü-Lieder werden einsortiert. Ich bin glücklich, als ich mittendrin die Akkorde von "In a free land", einer der ersten Hüsker Dü-Singles erkenne, und bin fast im Glücksdelirium, als auf einmal der Bass in die Akkorde von Something I learned today hineinrumpelt. Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Lied noch einmal live hören darf. Mould spielt gut 1,5 Stunden, einiges vom neuen Album, einiges von Hüsker Dü, Lieder aus den letzten vier Jahrzehnten. Anders als früher beendet "New day rising" das erste Set, das Lied ist aber immer noch so groß wie beim ersten Mal anhören. Für die Zugabe kommt Mould zuerst allein auf die Bühne und spielt das Grant Hart-Lied "Never talking to you again". Das Konzert endet mit "Makes no sense at all", hier merkt man zum ersten Mal bei der zweiten Stimme, dass Grant Hart fehlt.

Bob Mould wurde offensichtlich von Berlin erlöst und geläutert. Ich freue mich für ihn. Und: wenn es ihm gelungen ist, könnte es doch auch bei uns gelingen?


Mittwoch, 13. Februar 2019

Feierlichkeiten

Überraschenderweise feiert dieses Blog nun seinen fünften Geburtstag. Im ersten Post hatte ich damals geschrieben, dass ich hier die ganzen Dinge unterbringen will, die nicht so richtig bei Ackerbau in Pankow reinpassen. Und: Dass hier Dinge geschrieben werden, die ich gerne selber lesen würde, die ich aber so anderswo nicht finde. Das hat sich über die letzten fünf Jahre eher bestätigt; man findet hier viel Nischenkram, darunter einiges, wozu sich ansonsten in Suchmaschinen nichts weiter findet.

Musik in Blogs ist immer ein schwieriges Thema. Ich lese viel Internet, wenn ich unterwegs bin, da vermeide ich es dann eher, unbekannte Links aufzurufen, die u.U. Geräusch machen. Wenn ich dann irgendwann vor meinem eigenen Computer sitze (seltener als man glaubt), finde ich die Links schon nicht mehr. Ich selbst wäre also nicht der beste Leser dieses Blogs.

Wer wollte, konnte hier erratische Konzertberichterstattung lesen, genauere Einblicke in die griechische Subkultur der dreißiger Jahre gewinnen, 80er Punk aus Deutschland, USA und anderswo entdecken, den ansonsten ein gnädiges Schicksal tief im Vergessen versteckt hätte, und vielleicht die eine oder andere Entdeckung machen können. Neben Musik gab es auch immer wieder etwas zu Comics und Büchern. Merkwürdigerweise war auch der Brexit ein häufiges Thema.

Hier gönne ich mir ja eine etwas schlurfige Einstellung; normalerweise zwei Posts pro Woche, aber wenn ich wenig Zeit habe, ist halt länger Pause. So wird es auch die nächsten Jahre weitergehen, zumindest so lange ich noch Sachen höre oder entdecke, die ich interessant finde oder bei denen ich denke: hierzu sollte man ein paar Sätze aufschreiben.

Mittwoch, 30. Januar 2019

Und du weißt.. du bist am Leben...

Selten genug, dass ich neue Musik über das Radio kennen gelernt habe (außer vor drei Jahrzehnten, als ich noch Schweizer DRS 3 und den Zündfunk auf Bayern 2 hörte). Vor einiger Zeit hörte ich allerdings das folgende Lied im Autoradio, das mir sehr gut gefiel.

Frau Bassenge ist eine Berliner Jazzsängerin, deren sonstiges Wirken ich nicht kenne. In diesem Lied schafft sie es aber, dieses Gefühl, das man vor allem in der Jugend hat, sich seines Lebendigseins durch Exzesse zu versichern, schön einzufangen. Ich pflege das heutzutage eigentlich nur noch dadurch, dass ich auch bei größter Kälte meine Jacke nicht zumache und an dem angenehm stechenden Schmerz auf dem Weg zur Arbeit feststelle, dass ich wohl noch nicht tot bin.

Lass die Schweinehunde heulen...

Donnerstag, 24. Januar 2019

Verbrechen auf Schallplatte (5)

Den Post, den ich eigentlich hier schreiben will, kriege ich aus verschiedenen Gründen noch nicht zusammen. Grund genug, einmal wieder diese alte Reihe aufzugreifen. Unmittelbarer Anlass war ein Lied, das mir der gute Torsten von der Bördebehörde auf seinem Sampler "Das herbstliche Herbstfest der Herbstmusik" zukommen hat lassen. Ich habe die Vermutung, dass Torstens Hörgewohnheiten noch ein bisschen breitgestreuter sind als meine.

Man muss wohl recht alt sein, wenn man Vivi Bach noch aus ihrer aktiven Zeit kennt. sie war Fernsehmoderatorin, Schauspielerin und auch Sängerin. Viele Lieder waren Duette mit ihrem Ehemann Dietmar Schönherr. In den späten 60ern, wo allerhand unbegreifliche Dinge in der deutschen Schlagerwelt geschahen, nahmen sie folgendes Lied auf (die Beschreibung des Youtube-Videos unterschlägt Frau Bach einfach, aber wir hören sie ja):




Ich habe keine Ahnung, wo Torsten das ausgegraben hat. Ich finde das schon sehr hart. Das frühere Solo-Werk von Vivi Bach ist dann schon eher harmloser 60er-Jahre-Kram, allerdings durchsetzt von Liedern wie diesem hier:



Wenn das nicht creepy ist, weiß ich auch nicht.

Donnerstag, 17. Januar 2019

Auf Wiedersehen, Europa!

Auf dieses Lied bin ich tatsächlich in einem Podcast zum Brexit gestoßen, tatsächlich passt es aber wohl besser zu uns als zu den Briten. Das eher träge, gelangweilte "Ach tschüss, Europa, hat ja nie so richtig geklappt zwischen uns..." spiegelt kaum das britische Sentiment wieder, hier bräuchte man eher etwas, das vor Wut überschäumt, ob der vermeintlichen Kränkungen und Demütigungen, die die Briten meinen durch Europa erlitten zu haben. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob es ein entsprechendes brachiales Brexitlied gibt (die Dinge, die ich zu Ohren bekommen habe, sind ja eher ein bisschen gruselig, aus anderen Gründen).

Amber Arcades, die, wenn ich mich richtig erinnere, Niederländerin ist, singt von der schleichenden Entfremdung der progressiven Jugend von Europa. Das schlurfige Lied fasst es ganz gut zusammen, man findet die Entwicklung nicht gut, aber was soll man schon machen, es ist halt so. Für Errungenschaften zu kämpfen ist auch ein bisschen anstrengend und außerdem sind ja auch alle politischen Kräfte irgendwie unsympathisch.  

Ich mag das Lied, aber ich erkenne den Vibe, den es transportiert, nur zu gut und das macht mir Angst. Dazu passt, dass die politischen Entwicklungen inzwischen von vielen nur noch als Spektakel mit Unterhaltungswert angesehen werden; sehr deutlich bei den verschiedenen deutschen Kommentaren zum Brexit zu merken. Das ist etwa so, als würde man fasziniert zusehen, wie dem Nachbarn direkt neben einem das Haus niederbrennt und nicht darauf achten, wohin der Wind weht. Ich fürchte, wir werden bald genug feststellen, dass der Wind in unsere Richtung weht.





Dienstag, 15. Januar 2019

Die Filme der Sechziger Jahre sind überbewertet

Ich bin ja (schon aus Altersgründen) erst mit der zweiten Welle des Punks sozialisiert worden. Anfang der Achtziger hatten sich die ursprünglichen Bands entweder schon aufgelöst oder waren musikalisch in ganz anderen Bereichen gelandet. Die breite verwirrende Welt des Postpunks mündete dann in verschiedene Achtziger-Scheußlichkeiten, in Deutschland in die neue deutsche Welle. Die zweite Punk-Welle reduzierte die ganze Geschichte auf eine bestimmte Art von Musik, Gitarren, laut, hart, sofort wieder erkennbar. Die wunderbare Vielfalt des Anfangs verschwand und machte vielen recht austauschbaren Bands Platz.

Trotzdem gab es auch damals ein paar ganz interessante Sachen. Ich habe mir in letzter Zeit wieder ein paar Bands angehört, die ich mit 13, 14 gut fand und dann komplett vergessen habe. Dazu gehören auch die Londoner Action Pact, die Anfang der Achtziger zwei LPs hatten. M., ein Freund, hatte eine davon, und wir haben sie oft gehört. Die LP hatte auch ein Textblatt, so dass man zumindest theoretisch herausfinden konnte, um was es in den Liedern gehen sollte. Allerdings stieß man damals schnell an die Grenzen: Einziges Hilfsmittel war damals das Langenscheidt-Wörterbuch, das einem bei vielen Dingen im Stich ließ. Ich musste jetzt sehr lachen, als ich (mit Jahrzehnten Verspätung) zum ersten Mal kapiert habe, worum es in dem Lied "Sixties flix" ging. Wenn es keine Möglichkeit gab, festzustellen, dass Flix einfach "Filme" bedeutet, half auch die größte Anstrengung nicht, irgendeinen Sinn in den Text zu kriegen.Was haben wir gegrübelt!

Auch wenn Action Pact also die Filme der Sechziger für überbewertet hielt, haben sie für ihre (schöne) Single "People" dann doch ein Bild aus einem solchen Film als Cover gewählt (bin ich der einzige, der es sofort zuordnen kann?).

Die musikalische Einengung ging allerdings auch mit einer klareren politischen Positionierung einher; Action Pact haben eines der netteren Lieder gegen Nazis gemacht, das mir in all den Jahren im Kopf geblieben ist:


Samstag, 12. Januar 2019

The Ballad of Geeshie and Elvie

Geeshie Wiley und Elvie Thomas waren mir bis vor ein paar Jahren kein Begriff. Dabei haben die zwei einige der Bluesplatten aufgenommen, die zu den seltensten überhaupt gehören (wahrscheinlich gibt es nur eine einstellige Anzahl der Originale). Bis vor kurzem wusste man auch nicht, wer die beiden waren oder woher sie kamen. In der (failing) New York Times gab es vor ein paar Jahren dazu einen langen Artikel (eigentlich schon ein längeres Buchkapitel) über die Suche nach den Spuren von Geeshie und Elvie. Wenn man ein bisschen Zeit hat, ist das eine sehr schöne Lektüre, bei der man nicht nur viel über die beiden Frauen lernt, sondern auch, wie in den zwanziger und dreißiger Jahren in den USA Platten aufgenommen wurden. Anscheinend wurden die Plattenfirmenmanager zunächst vollkommen überrascht, dass man mit schnellen Aufnahmen regionaler Größen vernünftig Geld machen konnte. Vor allem stellte man fest, dass es ein (begrenztes) Publikum für schwarze Künstler gab, das aber auch lukrative Aufnahmen ermöglichten. Die Talentscouts der Plattenfirmen hatten allerdings von Musik eher weniger Ahnung, sondern nahmen erst einmal alles mit. Das erklärt auch, warum die (Nischen-)Musik der zwanziger und dreißiger Jahre teilweise so merkwürdig ungehobelt und unsortiert klingt, ganz anders als die weitgehend langweiligen Jahre danach.








Dienstag, 8. Januar 2019

Codeine

Vollkommen zufällig bin ich letzthin auf Buffy Sainte Marie gestoßen. Dabei ist die Sängerin und Songwriterin indianischer Herkunft schon seit Anfang der 60er Jahre bekannt (u.a. stammt auch das Lied Universal Soldier, das Donovan bekannt gemacht hat, von ihr). Auf ihrer Website kann man lesen, dass sie auch jetzt noch Musik macht und dass sie in verschiedenster Art musikalisch und politisch aktiv war. Das folgende Stück, Cod'ine, ist wohl relativ bekannt, Janice Joplin und Hole haben es schon gecovert. Ich muss gestehen, dass ich es nicht kannte, obwohl es in verschiedener Hinsicht sehr gut zu meinen sonstigen musikalischen Vorlieben passt.

Aber das ist ja das schöne am Internet, das man inzwischen sehr nah an interessanten Neuentdeckungen ist, wenn man denn das Interesse hat, etwas Neues kennenzulernen.



Donnerstag, 3. Januar 2019

Wir sind die Auserwählten

Bei Avengers denkt man inzwischen wahrscheinlich an die ganzen Marvel-Filme, ältere Leuten fällt ein, dass "Mit Schirm, Charme und Melone" so im Original hieß. Es gab aber auch eine frühe und sehr gute amerikanische Punkband mit diesem Namen. Sängerin war Penelope Houston. Die Avengers eröffneten für die Sex Pistols auf deren US-Tour und schlugen sich mehr als gut.



(Die ganze erste LP ist sehr angenehm anzuhören. Die Avengers sind inzwischen auch immer wieder mal unterwegs; vor ein paar Jahren habe ich sie live gesehen, das war gut.)

Penelope Houston hat danach solo weitergemacht und einige LPs zwischen Folk und 60s-Rock aufgenommen. Die Musik ist nicht mehr ein direkter Schlag ins Gesicht wie es die Avengers waren, aber sehr subtil mit vielen Widerhaken.