Am 26.9.1947 tauchte im Mickey Mouse-Zeitungscomicstrip zum ersten Mal eine seltsame Gestalt auf.
Mickey findet ihn, nachdem er in eine Felsspalte gefallen ist. Der kleine Kerl hat seltsame Kräfte, redet aber zunächst nur ein Wort "Eega" (daraus wird dann der Name Eega Beewa, deutsch Gamma). Gottfredson hat in seinen Comics Mickey häufiger einen seltsamen Kompagnon an die Seite gestellt und dann ein paar Monate über die Gags daraus gezogen, dass der Begleiter die gesellschaftlichen Konventionen nicht kennt. Bei Gamma kommt noch hinzu, dass er vollkommen anders ist als die sonstigen Bewohner Entenhausens, etwas später stellt sich heraus, dass er ein Mensch aus der Zukunft ist (der später hinzugefügte Titel der ersten Geschichte war auch "The man from tomorrow"). Wie häufig in der späteren Gottfredson Schaffensphase hat man das Gefühl, dass die Geschichte sich erst mit der Zeit entwickelt, Gottfredson und sein Texter Bill Walsh mit den Figuren herumexperimentieren. So beginnt Gamma nach und nach zu reden, im April 1948 darf er zum ersten Mal seine geliebten Kumquat essen (in den italienischen Comics, in denen Gamma später eine neue Blüte erlebte, wurden aus den Kumquat dann Naphtalin-Kugeln). Gamma bekommt sein Hündchen Flip, er wird als der Gangster enttarnt, der bei seinen Einbrüchen Geld zum Tatort bringt, anstatt es zu stehlen. Im Juni 1948 macht sich der kalte Krieg bemerkbar, Gamma wird der Held einer Spionagegeschichte, nachdem er einen Abwehrschirm gegen alle Waffen entwickelt hat, der von fremden Mächten gestohlen werden soll. Die Spionagegeschichten gehen weiter, als er auf den Reimenden Spion trifft. Mickeys früherer Begleiter Goofy taucht in den Geschichten nur noch am Rande auf, Gottfredson lässt Mickey und Gamma zusammen Abenteuer quer durch alle Genres erleben, vom Western, zum Krimidrama, zum Raumfahrtabenteuer. Gamma mit seinen unbegrenzten Fähigkeiten ist hier immer eine nützliche Figur. In der Geschichte "Die Suche nach dem Moook-Schatz" sind Mickey und Gamma in der ganzen Welt auf Schatzsuche, vom Eiffelturm zu den Pyramiden, und werden schließlich von Kater Karlo nach Moskau verschleppt. Kater Karlo, der im 2. Weltkrieg ja im deutschen Sold stand, ist nunmehr für die Sowjets tätig. Die Geschichte zieht sich über ein halbes Jahr, endet natürlich glücklich. Es ist die letzte Gamma-Geschichte von Gottfredson. Die gemeinsame Zeit von Mickey und Gamma endet dann am 11.6.1950, als Gamma wieder in eine Höhle verschwindet.
Nach Gottfredson haben vor allem die italienischen Zeichner der fünfziger Jahre die Tradition der Abenteuergeschichten mit Gamma weitergeführt, allen voran Romano Scarpa.
"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn
Dienstag, 27. September 2016
Sonntag, 25. September 2016
Brexit heißt Brexit heißt Brexit
Was ist in der Zwischenzeit passiert im UK? Das Referendum über den EU-Austritt liegt nun schon bald drei Monate zurück, allzu viel scheint nicht geschehen zu sein und in den deutschen Medien gibt es schon wieder neue Krisen, die interessanter sind. Da mich das Thema aus verschiedenen Gründen nicht los lässt, hier eine Kurzzusammenfassung der letzten 12 Wochen. Ich habe darauf verzichtet, hier im Einzelnen auf Quellen zu verlinken; wenn jemand einen Beleg zu irgendetwas haben will, einfach in den Kommentaren fragen.
***
Wo stand man Anfang Juli? Die Brexit-Referendum war gewonnen, der Premierminister zurückgetreten, die Labour-Party in einen Streit um den Vorsitz verwickelt. Niemand weit und breit, der auch nur die geringste Ahnung hätte, was man jetzt eigentlich machen sollte. Wo steht man jetzt? Die Konservativen, Labour und auch die unseligen UKIP haben ihren jeweiligen Führungsstreit abgeschlossen. Bei allen drei Parteien gab es bei den Führungsstreiten Szenen, die einen daran zweifeln lassen könnten, ob das alles wirklich passiert oder ob das Meldungen des Postillons sind. Schon im Juli hatte ich die Einschätzung zu dem Labour-Streit, eine Folge Games of Thrones, aufgeführt von den Teletubbies, zitiert; das passt auch auf die anderen. Es ist anscheinend englische Eigenart, dass bei den ganzen innerparteilichen Streitigkeiten immer Gerüchte über Erpressungen etc. aufkommen. Ein paar der plötzlichen Abgänge und Bewerbungen lassen sich aber auch nur schwer erklären.
***
Die Konservativen haben die vorherige Innenministerin Theresa May zur Premierministerin gemacht. Eigentlich hätten alle Parteimitglieder abstimmen müssen; zur Wahl standen die zwei Bewerber, die die meisten Stimmen der Fraktion in Vorwahlen bekommen hatten. Nachdem die Zweitplatzierte Leadsom nach ein paar Tagen wieder ausstieg (unter eher merkwürdigen Umständen), blieb nur noch May übrig. May gilt als Vertreterin des Remain-Lagers, die eigentlich in der EU bleiben wollte, während der Kampagne hat sie sich aber "hinter dem Sofa versteckt" (so der nette englische Ausdruck). Erste Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Umsetzungswillens konnte sie dadurch zerstreuen, dass sie drei Schlüsselfiguren der Leave-Kampagne (the three Brexiteers) wichtige Ressorts gab: Johnson ist Außenminister (interessantes Ressort für jemanden, der gerne wahllos andere Leute beleidigt), Davies führt ein neues Ressort "für den Ausstieg aus der EU", Fox ist Minister für internationalen Handel. Ausstehen können sich die drei nicht so richtig, aber das ist wohl auch Mays Kalkül. Auf Fragen, ob May nicht doch schwankend werden könnte, hat sie beständig "Brexit means Brexit" geantwortet. Das ist allerdings auch der Stand der strategischen Planung drei Monate nach dem Referendum; genaueres ist nicht zu erfahren. Die drei Brexiteers haben jeweils versucht, etwas konkreter zu werden, dafür aber jedesmal einen Verweis der Premierministerin erhalten, sie sprächen nur für sich, nicht für die Regierung. Man weiß im Moment weder, wann das UK den Austrittsantrag stellen will, noch, was eigentlich Ziel sein soll.
***
In den deutschen Medien wird oft geschrieben, die Briten würden ihre Entscheidung inzwischen bereuen. Das scheint mir nicht zu stimmen und wird auch nicht durch die neueren Umfragen gestützt. Die Mehrheit will das Thema abhaken und geht davon aus, dass es dem UK ohne die EU besser gehen wird. Eine große Minderheit sieht das anders, es gibt allerdings auf der politischen Bühne keine Partei mehr (mit Ausnahme der Liberaldemokraten), die gegen den Brexit wäre (ich lese gerade, dass es das Thema Brexit beim nächsten Labour-Kongreß nicht einmal auf die Tagesordnung geschaftt hat). Diskutiert wird, wenn überhaupt, über die Modalitäten des Austritts. Dabei hat aber die Rechte die Diskussion voll im Griff. Im Vorfeld der Abstimmung war auch von der Leave-Seite Norwegen als mögliches Modell genannt worden, kein EU, sondern EEA-Mitglied. Nunmehr scheint es fast einen Konsens zu geben, dass das norwegische Modell ausgeschlossen sei, da es auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit beinhaltet. Man liest, gebetsmühlenartig, dass sich die Wähler eben gegen die Einwanderung aus EU-Staaten entschieden hätten, und dies respektiert werden müsse. Ein Großteil der Diskussionen zu möglichen Modellen für die Zukunft ist zudem so, als wenn man Vierjährige mit der Planung beauftragt habe: Machbarkeit ist kein Kriterium, das Prinzip ist "Ich will aber, dass das so ist". Ich habe selten so viele Berichte im Vorfeld zu Verhandlungen gelesen, bei denen davon ausgegangen wurde, dass Verhandlungen darin bestehen, dass man sagt, was man will und das dann bekommt. Der Aufwind nach dem Referendum führt zu gewissem Realitätsverlust.
***
Theresa May hält sich bislang ganz gut, indem sie "Brexit means Brexit" sagt und keinerlei Details zu Zielen oder möglichen Ergebnissen der Verhandlungen verlauten lässt. Sobald sie von einer dieser Linien abweichen muss, hat sie aber gewaltig Ärger. Ihr selbst ist wohl vollkommen klar, dass das alles andere als einfach wird, sie kann es aber nicht sagen, ohne dass sie von Partei und Presse zerfleischt wird.
***
Als jemand, der immer wieder auch mit Verhandlungen zu tun hat, habe ich natürlich besonderes Interesse für die strategischen Aspekte. Es klingt vollkommen banal, aber erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Verhandlung ist, dass man weiß, was das Ziel der Verhandlung sein soll. Wenn man das Ziel kennt, kann man darüber nachdenken, mit welchen Maßnahmen man das Ziel erreichen kann. Die Briten haben sich für einen anderen Weg entschieden, sie haben zunächst über die Maßnahme abgestimmt (EU-Austritt), ohne dass es ein gemeinsames Verständnis darüber gäbe, warum man austreten will. Viele haben gegen Masseneinwanderung gestimmt, auch wenn die zu einem großen Teil gar nichts mit der EU zu tun hat, andere waren der Auffassung, man könne die EU-Beiträge sparen und für besseres ausgeben (hier gab es in den Kampagnen die unterschiedlichsten Vorschläge). Am erfolgreichsten war sicher der Slogan "Take back control" - keine Vorgaben mehr aus Brüssel, vollkommene Souveränität des britischen Parlaments. Was dahinter steht, bleibt in vielen Fällen nebulös. Die Tatsache, dass zwar klar ist, dass ein EU-Austritt erfolgen muss, aber nicht, was man damit eigentlich erreichen will (oder freundlicher formuliert: wie die unterschiedlichen Ziele in Verhandlungen priorisiert werden sollen), macht es für die Handelnden nicht unbedingt einfacher. Es zeigt sich auch, dass im UK eine große Unklarheit über die Strukturen der EU herrscht. Das ist umso verwunderlicher, da die Briten immer diejenigen waren, die durch hervorragende Leute in Brüssel dafür gesorgt haben, dass ihre Interessen im Rahmen der EU immer gesichert blieben. Nun ist es den meisten Politikern nicht einmal mehr klar, was der Gemeinsame Markt (der damals von Thatcher gefordert wurde) eigentlich bedeutet oder welche Nachteile es haben könnte, wenn man zu abrupt Abschied nimmt. Eine Lektion kann man aus dem Referendum auch ziehen: es gab einige, die aus einer linken Perspektive gegen die EU der Konzerne gestimmt haben. In der Diskussion im Nachgang kommen diese Gesichtspunkte nicht mehr vor. Die Themen werden von den Rechten bestimmt.
Wir haben also eine Nation, die nicht so richtig weiß, was sie will. Schlimm genug, aber ein anderer Gesichtspunkt macht es noch schlimmer.
***
Ein weiterer grundlegender Punkt bei Verhandlungen ist, dass man für seine Strategie genau wissen muss, was die Alternative ist, wenn man einfach vom Tisch aufsteht und die Verhandlung abbricht. Diese Analyse zeigt, wer letztlich am längeren Hebel sitzt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das eine sehr unbeliebte Übung ist, da das Ergebnis der Analyse meistens zur Sorge Anlass gibt. Nur selten ist es so, dass man wirklich abbrechen kann, ohne selbst Schaden zu erleiden. Bei vielen Vorbereitungen mag man sich damit nicht so richtig befassen oder geht mit der Einstellung "wird schon gutgehen" rein. Das wichtigste, was man dann tun kann, ist, für eine sehr realistische Version des Worst Case Szenario zu sorgen, bei der nicht die Hoffnung das Ergebnis verzerrt (damit macht man sich regelmäßig nicht beliebt, man kann aber besser schlafen, wenn es ernst wird). Ein Beispiel: Wenn das Alternativszenario vor Verhandlungen sein sollte: "Wenn wir uns nicht einigen, kann ich immer noch meinen Kram packen und für ein paar Wochen woanders schlafen." sollte man auch genau prüfen, ob man irgendwo unterkommen würde. Die bloße Hoffnung darauf nützt nichts, wenn man dann vor der Tür steht.
Den Briten wurde von der Leave-Seite immer suggeriert, dass die EU eigentlich nur nachteilig sei. Kostet Geld, trifft Entscheidungen gegen das Interesse des UK, stellt eigentlich eine diktatorische EUSSR dar (das liest man relativ häufig). Ein Austritt habe nur Vorteile. Wirtschaftlich gebe es auch keine Probleme, denn die EU sei stärker auf den Handel mit dem UK angewiesen als andersherum. Boris Johnson hat das vor ein paar Tagen noch einmal bestätigt, mit der hirnrissigen Meinung, die EU müsse beim Handel entgegenkommend sein, denn im UK würden 300 Millionen Liter Prosecco im Jahr getrunken (die Zahlen stimmen nicht, aber das ist Johnson sowieso egal). Daneben wird darauf verwiesen, dass das UK der wichtigste Absatzmarkt für deutsche Autos und französischen Käse sei. "They need us more than we need them." Stimmt natürlich alles, die deutsche Wirtschaft würde am meisten leiden, nur müssen die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen dem UK und der EU einstimmig von allen 27 EU-Partnern beschlossen werden (und wahrscheinlich auch in einigen Ländern von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Abkommen von den Interessen der deutschen Autoherstellern diktiert wird, ist damit eher gering. Für die osteuropäischen Länder ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit der wichtigere Punkt, den sie nicht so leicht aufgeben würden. In diesem Szenario ist - aufgrund der Komplexität und Handlungsunfähigkeit der EU - also eher wahrscheinlich, dass man ohne ein Abkommen über das weitere Wirtschaften auseinandergeht. Das wäre unter Umstände ein Szenario, wo sich die EU zwar einigen wollte, aber gar nicht kann. Was bedeutet das für das UK? Etwa die Hälfte der Exporte, die bislang völlig problemlos in die EU gingen, müssten nach WTO-Regeln behandelt werden. Man müsste sich wieder mit Zöllen und Herkunftsnachweisen beschäftigen. Unternehmen im UK, die ihre Zulieferer europaweit haben, bekommen einige logistische Schwierigkeiten. Die EU würde auch leiden, aber das scheint ja gerade ohnehin deren Kernkompetenz. Wirtschaftlich ein katastrophales Szenario. In der politischen Szene im UK sind aber relativ viele unterwegs, die sagen, dass das alles kein Problem sei. Auch die USA seien nicht im Gemeinsamen Markt und trotzdem größter Handelspartner der EU. Alle berechtigten Warnungen werden als Panikmache abgetan. Wieder Boris Johnson, der dazu vor dem Referendum in Anspielung auf die englische Redensart "you can't have your pie and eat it" gesagt hat, dass er der Auffassung ist, es ginge, die Pastete zu essen und trotzdem noch zu behalten.
May und die Ministerialbürokratie wissen es wohl besser, können aber derzeit nicht allzuviel tun. Jede realistische Einschätzung würde einen Aufschrei des Wahlvolkes erzeugen. Selbst ein gutes Verhandlungsergebnis würde als Niederlage angesehen, da ja die Öffentlichkeit der Auffassung ist, alles bekommen zu können, was sie wollten. Freihandel, Freizügigkeit (natürlich nur für die Briten), keine Zahlungen an die EU, keine Bindung an EU-Recht. Die britische Presse rüstet auf, es gibt schon die ersten Schlagzeilen, dass die EU dem UK den Krieg erklärt. Die Regierung hat keine Ahnung, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskommt. Am rechten Rand passen die Populisten auf, dass man keinen Zentimeter (bzw. kein Inch) zurückweicht.
Ich gehe nicht davon aus, dass sich hier in den nächsten sechs Monaten irgendetwas wesentliches tut. Irgendwann wird vielleicht das wirtschaftliche Disaster so groß, dass irgendjemand erklären muss, dass ein Austritt doch nicht die gute Idee ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der diese Aufgabe gerne übernimmt. Deswegen wird May versuchen, das alles soweit wie möglich nach hinten zu schieben.
Je nach Schwäche der EU kann das Abenteuer für das UK auch gut ausgehen. Das ist dann aber reines Glück. Man hätte lieber keine Politiker, die die Zukunft des Landes auf dem Pokertisch ausspielen.
***
Auf EU-Seite sieht es vielleicht ein bisschen besser aus. Aber auch nur ein bisschen. Immerhin hat zumindest die Kommission und das Parlament eine Vorstellung, was man mit den Verhandlungen erreichen will. Und die Kommission hat, anders als die Briten, genügend Spezialisten, die wissen, wie man Handelsabkommen verhandelt. Ob das genügt, dass diese Episode zumindest für die EU gut ausgeht? Man muss ja schon froh sein, wenn die EU nicht ohnehin vollkommen unabhängig davon auseinanderbricht.
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Wo stand man Anfang Juli? Die Brexit-Referendum war gewonnen, der Premierminister zurückgetreten, die Labour-Party in einen Streit um den Vorsitz verwickelt. Niemand weit und breit, der auch nur die geringste Ahnung hätte, was man jetzt eigentlich machen sollte. Wo steht man jetzt? Die Konservativen, Labour und auch die unseligen UKIP haben ihren jeweiligen Führungsstreit abgeschlossen. Bei allen drei Parteien gab es bei den Führungsstreiten Szenen, die einen daran zweifeln lassen könnten, ob das alles wirklich passiert oder ob das Meldungen des Postillons sind. Schon im Juli hatte ich die Einschätzung zu dem Labour-Streit, eine Folge Games of Thrones, aufgeführt von den Teletubbies, zitiert; das passt auch auf die anderen. Es ist anscheinend englische Eigenart, dass bei den ganzen innerparteilichen Streitigkeiten immer Gerüchte über Erpressungen etc. aufkommen. Ein paar der plötzlichen Abgänge und Bewerbungen lassen sich aber auch nur schwer erklären.
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Die Konservativen haben die vorherige Innenministerin Theresa May zur Premierministerin gemacht. Eigentlich hätten alle Parteimitglieder abstimmen müssen; zur Wahl standen die zwei Bewerber, die die meisten Stimmen der Fraktion in Vorwahlen bekommen hatten. Nachdem die Zweitplatzierte Leadsom nach ein paar Tagen wieder ausstieg (unter eher merkwürdigen Umständen), blieb nur noch May übrig. May gilt als Vertreterin des Remain-Lagers, die eigentlich in der EU bleiben wollte, während der Kampagne hat sie sich aber "hinter dem Sofa versteckt" (so der nette englische Ausdruck). Erste Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Umsetzungswillens konnte sie dadurch zerstreuen, dass sie drei Schlüsselfiguren der Leave-Kampagne (the three Brexiteers) wichtige Ressorts gab: Johnson ist Außenminister (interessantes Ressort für jemanden, der gerne wahllos andere Leute beleidigt), Davies führt ein neues Ressort "für den Ausstieg aus der EU", Fox ist Minister für internationalen Handel. Ausstehen können sich die drei nicht so richtig, aber das ist wohl auch Mays Kalkül. Auf Fragen, ob May nicht doch schwankend werden könnte, hat sie beständig "Brexit means Brexit" geantwortet. Das ist allerdings auch der Stand der strategischen Planung drei Monate nach dem Referendum; genaueres ist nicht zu erfahren. Die drei Brexiteers haben jeweils versucht, etwas konkreter zu werden, dafür aber jedesmal einen Verweis der Premierministerin erhalten, sie sprächen nur für sich, nicht für die Regierung. Man weiß im Moment weder, wann das UK den Austrittsantrag stellen will, noch, was eigentlich Ziel sein soll.
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In den deutschen Medien wird oft geschrieben, die Briten würden ihre Entscheidung inzwischen bereuen. Das scheint mir nicht zu stimmen und wird auch nicht durch die neueren Umfragen gestützt. Die Mehrheit will das Thema abhaken und geht davon aus, dass es dem UK ohne die EU besser gehen wird. Eine große Minderheit sieht das anders, es gibt allerdings auf der politischen Bühne keine Partei mehr (mit Ausnahme der Liberaldemokraten), die gegen den Brexit wäre (ich lese gerade, dass es das Thema Brexit beim nächsten Labour-Kongreß nicht einmal auf die Tagesordnung geschaftt hat). Diskutiert wird, wenn überhaupt, über die Modalitäten des Austritts. Dabei hat aber die Rechte die Diskussion voll im Griff. Im Vorfeld der Abstimmung war auch von der Leave-Seite Norwegen als mögliches Modell genannt worden, kein EU, sondern EEA-Mitglied. Nunmehr scheint es fast einen Konsens zu geben, dass das norwegische Modell ausgeschlossen sei, da es auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit beinhaltet. Man liest, gebetsmühlenartig, dass sich die Wähler eben gegen die Einwanderung aus EU-Staaten entschieden hätten, und dies respektiert werden müsse. Ein Großteil der Diskussionen zu möglichen Modellen für die Zukunft ist zudem so, als wenn man Vierjährige mit der Planung beauftragt habe: Machbarkeit ist kein Kriterium, das Prinzip ist "Ich will aber, dass das so ist". Ich habe selten so viele Berichte im Vorfeld zu Verhandlungen gelesen, bei denen davon ausgegangen wurde, dass Verhandlungen darin bestehen, dass man sagt, was man will und das dann bekommt. Der Aufwind nach dem Referendum führt zu gewissem Realitätsverlust.
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Theresa May hält sich bislang ganz gut, indem sie "Brexit means Brexit" sagt und keinerlei Details zu Zielen oder möglichen Ergebnissen der Verhandlungen verlauten lässt. Sobald sie von einer dieser Linien abweichen muss, hat sie aber gewaltig Ärger. Ihr selbst ist wohl vollkommen klar, dass das alles andere als einfach wird, sie kann es aber nicht sagen, ohne dass sie von Partei und Presse zerfleischt wird.
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Als jemand, der immer wieder auch mit Verhandlungen zu tun hat, habe ich natürlich besonderes Interesse für die strategischen Aspekte. Es klingt vollkommen banal, aber erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Verhandlung ist, dass man weiß, was das Ziel der Verhandlung sein soll. Wenn man das Ziel kennt, kann man darüber nachdenken, mit welchen Maßnahmen man das Ziel erreichen kann. Die Briten haben sich für einen anderen Weg entschieden, sie haben zunächst über die Maßnahme abgestimmt (EU-Austritt), ohne dass es ein gemeinsames Verständnis darüber gäbe, warum man austreten will. Viele haben gegen Masseneinwanderung gestimmt, auch wenn die zu einem großen Teil gar nichts mit der EU zu tun hat, andere waren der Auffassung, man könne die EU-Beiträge sparen und für besseres ausgeben (hier gab es in den Kampagnen die unterschiedlichsten Vorschläge). Am erfolgreichsten war sicher der Slogan "Take back control" - keine Vorgaben mehr aus Brüssel, vollkommene Souveränität des britischen Parlaments. Was dahinter steht, bleibt in vielen Fällen nebulös. Die Tatsache, dass zwar klar ist, dass ein EU-Austritt erfolgen muss, aber nicht, was man damit eigentlich erreichen will (oder freundlicher formuliert: wie die unterschiedlichen Ziele in Verhandlungen priorisiert werden sollen), macht es für die Handelnden nicht unbedingt einfacher. Es zeigt sich auch, dass im UK eine große Unklarheit über die Strukturen der EU herrscht. Das ist umso verwunderlicher, da die Briten immer diejenigen waren, die durch hervorragende Leute in Brüssel dafür gesorgt haben, dass ihre Interessen im Rahmen der EU immer gesichert blieben. Nun ist es den meisten Politikern nicht einmal mehr klar, was der Gemeinsame Markt (der damals von Thatcher gefordert wurde) eigentlich bedeutet oder welche Nachteile es haben könnte, wenn man zu abrupt Abschied nimmt. Eine Lektion kann man aus dem Referendum auch ziehen: es gab einige, die aus einer linken Perspektive gegen die EU der Konzerne gestimmt haben. In der Diskussion im Nachgang kommen diese Gesichtspunkte nicht mehr vor. Die Themen werden von den Rechten bestimmt.
Wir haben also eine Nation, die nicht so richtig weiß, was sie will. Schlimm genug, aber ein anderer Gesichtspunkt macht es noch schlimmer.
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Ein weiterer grundlegender Punkt bei Verhandlungen ist, dass man für seine Strategie genau wissen muss, was die Alternative ist, wenn man einfach vom Tisch aufsteht und die Verhandlung abbricht. Diese Analyse zeigt, wer letztlich am längeren Hebel sitzt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das eine sehr unbeliebte Übung ist, da das Ergebnis der Analyse meistens zur Sorge Anlass gibt. Nur selten ist es so, dass man wirklich abbrechen kann, ohne selbst Schaden zu erleiden. Bei vielen Vorbereitungen mag man sich damit nicht so richtig befassen oder geht mit der Einstellung "wird schon gutgehen" rein. Das wichtigste, was man dann tun kann, ist, für eine sehr realistische Version des Worst Case Szenario zu sorgen, bei der nicht die Hoffnung das Ergebnis verzerrt (damit macht man sich regelmäßig nicht beliebt, man kann aber besser schlafen, wenn es ernst wird). Ein Beispiel: Wenn das Alternativszenario vor Verhandlungen sein sollte: "Wenn wir uns nicht einigen, kann ich immer noch meinen Kram packen und für ein paar Wochen woanders schlafen." sollte man auch genau prüfen, ob man irgendwo unterkommen würde. Die bloße Hoffnung darauf nützt nichts, wenn man dann vor der Tür steht.
Den Briten wurde von der Leave-Seite immer suggeriert, dass die EU eigentlich nur nachteilig sei. Kostet Geld, trifft Entscheidungen gegen das Interesse des UK, stellt eigentlich eine diktatorische EUSSR dar (das liest man relativ häufig). Ein Austritt habe nur Vorteile. Wirtschaftlich gebe es auch keine Probleme, denn die EU sei stärker auf den Handel mit dem UK angewiesen als andersherum. Boris Johnson hat das vor ein paar Tagen noch einmal bestätigt, mit der hirnrissigen Meinung, die EU müsse beim Handel entgegenkommend sein, denn im UK würden 300 Millionen Liter Prosecco im Jahr getrunken (die Zahlen stimmen nicht, aber das ist Johnson sowieso egal). Daneben wird darauf verwiesen, dass das UK der wichtigste Absatzmarkt für deutsche Autos und französischen Käse sei. "They need us more than we need them." Stimmt natürlich alles, die deutsche Wirtschaft würde am meisten leiden, nur müssen die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen dem UK und der EU einstimmig von allen 27 EU-Partnern beschlossen werden (und wahrscheinlich auch in einigen Ländern von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Abkommen von den Interessen der deutschen Autoherstellern diktiert wird, ist damit eher gering. Für die osteuropäischen Länder ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit der wichtigere Punkt, den sie nicht so leicht aufgeben würden. In diesem Szenario ist - aufgrund der Komplexität und Handlungsunfähigkeit der EU - also eher wahrscheinlich, dass man ohne ein Abkommen über das weitere Wirtschaften auseinandergeht. Das wäre unter Umstände ein Szenario, wo sich die EU zwar einigen wollte, aber gar nicht kann. Was bedeutet das für das UK? Etwa die Hälfte der Exporte, die bislang völlig problemlos in die EU gingen, müssten nach WTO-Regeln behandelt werden. Man müsste sich wieder mit Zöllen und Herkunftsnachweisen beschäftigen. Unternehmen im UK, die ihre Zulieferer europaweit haben, bekommen einige logistische Schwierigkeiten. Die EU würde auch leiden, aber das scheint ja gerade ohnehin deren Kernkompetenz. Wirtschaftlich ein katastrophales Szenario. In der politischen Szene im UK sind aber relativ viele unterwegs, die sagen, dass das alles kein Problem sei. Auch die USA seien nicht im Gemeinsamen Markt und trotzdem größter Handelspartner der EU. Alle berechtigten Warnungen werden als Panikmache abgetan. Wieder Boris Johnson, der dazu vor dem Referendum in Anspielung auf die englische Redensart "you can't have your pie and eat it" gesagt hat, dass er der Auffassung ist, es ginge, die Pastete zu essen und trotzdem noch zu behalten.
May und die Ministerialbürokratie wissen es wohl besser, können aber derzeit nicht allzuviel tun. Jede realistische Einschätzung würde einen Aufschrei des Wahlvolkes erzeugen. Selbst ein gutes Verhandlungsergebnis würde als Niederlage angesehen, da ja die Öffentlichkeit der Auffassung ist, alles bekommen zu können, was sie wollten. Freihandel, Freizügigkeit (natürlich nur für die Briten), keine Zahlungen an die EU, keine Bindung an EU-Recht. Die britische Presse rüstet auf, es gibt schon die ersten Schlagzeilen, dass die EU dem UK den Krieg erklärt. Die Regierung hat keine Ahnung, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskommt. Am rechten Rand passen die Populisten auf, dass man keinen Zentimeter (bzw. kein Inch) zurückweicht.
Ich gehe nicht davon aus, dass sich hier in den nächsten sechs Monaten irgendetwas wesentliches tut. Irgendwann wird vielleicht das wirtschaftliche Disaster so groß, dass irgendjemand erklären muss, dass ein Austritt doch nicht die gute Idee ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der diese Aufgabe gerne übernimmt. Deswegen wird May versuchen, das alles soweit wie möglich nach hinten zu schieben.
Je nach Schwäche der EU kann das Abenteuer für das UK auch gut ausgehen. Das ist dann aber reines Glück. Man hätte lieber keine Politiker, die die Zukunft des Landes auf dem Pokertisch ausspielen.
***
Auf EU-Seite sieht es vielleicht ein bisschen besser aus. Aber auch nur ein bisschen. Immerhin hat zumindest die Kommission und das Parlament eine Vorstellung, was man mit den Verhandlungen erreichen will. Und die Kommission hat, anders als die Briten, genügend Spezialisten, die wissen, wie man Handelsabkommen verhandelt. Ob das genügt, dass diese Episode zumindest für die EU gut ausgeht? Man muss ja schon froh sein, wenn die EU nicht ohnehin vollkommen unabhängig davon auseinanderbricht.
Donnerstag, 22. September 2016
Der 90. Geburtstag
John Coltrane wäre heute 90 Jahre alt geworden, wenn er nicht schon vor knapp 50 Jahren gestorben wäre. Zum Geburtstag mein Lieblingsstück von der Giant Steps, Syeeda's Song Flute, ein eher beschwingtes Lied, das nach seiner Tochter benannt wurde, weil Coltrane fand, dass es wie ein fröhliches Kinderlied klänge. Finde ich auch. Alles Gute!
Samstag, 17. September 2016
Nicht in diesen Schuhen
Den meisten wird Kirsty MacColl von dem Pogues-Lied "Fairytale of New York" bekannt sein. Sie starb im Jahr 2000 mit nur 41 Jahren bei einem Bootunfall vor Mexiko.
Sie hat einige schöne Lieder gemacht, das meiste auch eher folkig, aber auch solche zickige, eher lateinamerikanisch anmutenden Stückchen wie "In these shoes", ein Lied über Schuhe und merkwürdige sexuelle Vorlieben. Sehr schön.
(Wenn man, ähnlich wie bei der Kaffee-Zusammenstellung, noch ein paar weitere Lieder über Schuhe zusammensuchen würde, gäbe das auch eine recht interessante Mischung....)
Sie hat einige schöne Lieder gemacht, das meiste auch eher folkig, aber auch solche zickige, eher lateinamerikanisch anmutenden Stückchen wie "In these shoes", ein Lied über Schuhe und merkwürdige sexuelle Vorlieben. Sehr schön.
(Wenn man, ähnlich wie bei der Kaffee-Zusammenstellung, noch ein paar weitere Lieder über Schuhe zusammensuchen würde, gäbe das auch eine recht interessante Mischung....)
Dienstag, 13. September 2016
Kinder auf Kaffee
Der Kiezschreiber, dessen Unbewusstes wie ein Seismograph die Verwerfungen der modernen Gesellschaft aufzeichnet (Super Einleitungssatz, komme ich jetzt ins Feuilleton?), hat einen seiner Träume aufgeschrieben, in dem er ein Punkkonzert besucht, aber sich im Wesentlichen nur an Kaffeetassen erinnert. Das hat natürlich seine absolute Richtigkeit, weil der gepflegte Kaffeesong aus mir sich nicht so richtig erschließenden Gründen vor allem im Punkumfeld gedeiht. Aber der Reihe nach:
Das erste Kaffeelied muss man natürlich in Vor-Punk-Zeiten verorten, mit Bachs Kaffee-Kantate. Wahrscheinlich 1734 entstanden, jenseits des Kaffee-Contents von zeitloser Gültigkeit. Ich finde das immer ein schönes Beispiel für ein Lied des verpeilten Vaters, der ja am Anfang die ganze Zeit nur herumsingt, dass man mit seinen Kindern doch nur tausend Hudelei hat und dass seine Tochter nicht richtig auf ihn hört. Könnte man auch jetzt noch auf jedem Spielplatz singen (den kaffeespezifischen Gesang der Tochter höre ich nicht mehr so gerne, vor allem, weil mir nicht so recht einleuchtet, warum der Kaffee so süß wie Dukatenwein (oder was weiß ich, die singen ja so undeutlich) sein sollte).
(Das ist eine schöne Aufführung, aber ein wirklich dämliches Video. Der Humor in den weiteren Videos, die hier noch verlinkt werden, wird aber teilweise noch schlimmer.)
Wir machen einen weiten Sprung in die Vierziger Jahre, zu dem nächsten aus meiner Sicht bedeutsamen Kaffee-Lied. Ella Fitzgerald mit Black Coffee Blues, ein wunderbares Stück, das ich auch in Endlosschleife hören könnte, allerdings nicht wirklich Punk. Vielleicht ein bisschen.
Zwischen 1949 und den frühen Achtzigern scheint nicht viel zu passieren in Sachen Kaffee. Da gibt's Otis Redding, aber die meisten Lieder widmen sich dann doch anderen Substanzen (vielleicht übersehe ich hier auch eine Menge, für Hinweise in den Kommentaren bin ich dankbar).
Da taucht im amerikanischen Punk eine Band auf, für die Kaffee etwa die Bedeutung hat wie LSD für die Grateful Dead. Die Descendents, die ein Werk voller Kaffee-Anspielungen hinterlassen haben. Thematisch am klarsten (wenn auch nicht unbedingt musikalisch am überzeugendsten) in dem Lied "Kids on Coffee". In dem Lied wird auch dem Konzept der "Bonus Cup" gehuldigt: in eine Tasse Filterkaffee werden noch ein paar Löffel löslicher Kaffee gerührt, damit es besser dreht. Dabei kommen dann solche Videos raus:
(Offenlegung: Ich hatte in den Achtziger Jahren tatsächlich auch eine Descendents-Kaffeetasse, wie sie in dem Video gezeigt wird und ich schreibe diesen Post in einem Descendents T-Shirt, auf dem eine Karikatur des Sängers als Kaffeekanne zu sehen ist.)
Der Descendents-Schlagzeuger war zu der Zeit auch Schlagzeuger bei Black Flag, nur dadurch ist zu erklären, dass auch das US-Hardcore-Flagschiff ein Kaffeelied aufgenommen hat. Black Coffee, mit den wunderbaren Zeilen "Anger and coffee feeding me". Gespeist von Wut und Kaffee. Eigentlich ein Bürolied, wenn man's sich überlegt.
Auf dem Video sieht man die Band 1983 im SO 36 in Berlin, kurz nachdem jemand Henry Rollins eine Bierdose an den Kopf geworfen hat. Merkwürdigerweise geht der Werfer nicht auf Rollins Angebot, eins mit dem Mikroständer übergezogen zu bekommen, ein. Sicher nicht die beste Liveversion von Black Coffee, aber sicher die berlinerischste
Zum nüchtern werden noch eine punkaffine Kaffeebetrachtung: Art Brut mit "Alcoholics Unanimous", in dem der Katerschrei "Bring me tea, bring me coffee" eine wichtige Rolle spielt.
Bei Eddie Argos kann man auch noch die passenden Bilder dazu kaufen. Bei mir im Büro hängt "Bring me tea".
Das erste Kaffeelied muss man natürlich in Vor-Punk-Zeiten verorten, mit Bachs Kaffee-Kantate. Wahrscheinlich 1734 entstanden, jenseits des Kaffee-Contents von zeitloser Gültigkeit. Ich finde das immer ein schönes Beispiel für ein Lied des verpeilten Vaters, der ja am Anfang die ganze Zeit nur herumsingt, dass man mit seinen Kindern doch nur tausend Hudelei hat und dass seine Tochter nicht richtig auf ihn hört. Könnte man auch jetzt noch auf jedem Spielplatz singen (den kaffeespezifischen Gesang der Tochter höre ich nicht mehr so gerne, vor allem, weil mir nicht so recht einleuchtet, warum der Kaffee so süß wie Dukatenwein (oder was weiß ich, die singen ja so undeutlich) sein sollte).
(Das ist eine schöne Aufführung, aber ein wirklich dämliches Video. Der Humor in den weiteren Videos, die hier noch verlinkt werden, wird aber teilweise noch schlimmer.)
Wir machen einen weiten Sprung in die Vierziger Jahre, zu dem nächsten aus meiner Sicht bedeutsamen Kaffee-Lied. Ella Fitzgerald mit Black Coffee Blues, ein wunderbares Stück, das ich auch in Endlosschleife hören könnte, allerdings nicht wirklich Punk. Vielleicht ein bisschen.
Zwischen 1949 und den frühen Achtzigern scheint nicht viel zu passieren in Sachen Kaffee. Da gibt's Otis Redding, aber die meisten Lieder widmen sich dann doch anderen Substanzen (vielleicht übersehe ich hier auch eine Menge, für Hinweise in den Kommentaren bin ich dankbar).
Da taucht im amerikanischen Punk eine Band auf, für die Kaffee etwa die Bedeutung hat wie LSD für die Grateful Dead. Die Descendents, die ein Werk voller Kaffee-Anspielungen hinterlassen haben. Thematisch am klarsten (wenn auch nicht unbedingt musikalisch am überzeugendsten) in dem Lied "Kids on Coffee". In dem Lied wird auch dem Konzept der "Bonus Cup" gehuldigt: in eine Tasse Filterkaffee werden noch ein paar Löffel löslicher Kaffee gerührt, damit es besser dreht. Dabei kommen dann solche Videos raus:
(Offenlegung: Ich hatte in den Achtziger Jahren tatsächlich auch eine Descendents-Kaffeetasse, wie sie in dem Video gezeigt wird und ich schreibe diesen Post in einem Descendents T-Shirt, auf dem eine Karikatur des Sängers als Kaffeekanne zu sehen ist.)
Der Descendents-Schlagzeuger war zu der Zeit auch Schlagzeuger bei Black Flag, nur dadurch ist zu erklären, dass auch das US-Hardcore-Flagschiff ein Kaffeelied aufgenommen hat. Black Coffee, mit den wunderbaren Zeilen "Anger and coffee feeding me". Gespeist von Wut und Kaffee. Eigentlich ein Bürolied, wenn man's sich überlegt.
Auf dem Video sieht man die Band 1983 im SO 36 in Berlin, kurz nachdem jemand Henry Rollins eine Bierdose an den Kopf geworfen hat. Merkwürdigerweise geht der Werfer nicht auf Rollins Angebot, eins mit dem Mikroständer übergezogen zu bekommen, ein. Sicher nicht die beste Liveversion von Black Coffee, aber sicher die berlinerischste
Zum nüchtern werden noch eine punkaffine Kaffeebetrachtung: Art Brut mit "Alcoholics Unanimous", in dem der Katerschrei "Bring me tea, bring me coffee" eine wichtige Rolle spielt.
Bei Eddie Argos kann man auch noch die passenden Bilder dazu kaufen. Bei mir im Büro hängt "Bring me tea".
Montag, 12. September 2016
An der Grenze
Die Musik, die ich höre, gefällt nicht jedem. Und wie meine Familie bestätigen kann, sind dabei irgendwelche Punkstücke noch das geringste Problem, gibt es doch uralte Aufnahmen aus fernen Ländern oder Freejazz-Kostbarkeiten.
Am zuverlässigsten kann ich allerdings meine Familie mit folgender Musik gegen mich aufbringen. Da versagen alle die Gefolgschaft. Für mich nicht so richtig nachvollziehbar, denn was John Zorn mit Naked City macht, ist zunächst nicht geeignet, den ständigen Verdacht gegen Jazz zu belegen, dass "der ja gar nicht richtig spielen könne". Ganz im Gegenteil, die Band ist äußerst präzise, macht slicke Coverversionen von irgendwelcher Filmmusik, spielt sich gekonnt und virtuos durch alle Genres. Jedoch kippen diese Versionen gerne von einer Sekunde auf die andere in atonale Sphären, nach einem Takt ist dann alles wieder in Ordnung, bis dann unvermittelt wieder zwei Sekunden Freejazz-Einschübe kommen. Das ist offenbar schwerer zu ertragen, als ein Lied, bei dem man von Beginn an weiß, dass es atonal ist.
Ich finde das sehr reizvoll, das kurze Stück NY Flat Top Box vermittelt den Eindruck, als wechsele man während des Liedes immer wieder kurz für zwei Sekunden den Radiosender von einer Country- zu einer Jazzstation. Ich mag das sehr gerne. (Ich habe das Stück hier nicht eingebettet, weil ich zwar die Musik mag, das Coverfoto aber nicht ertrage.)
Etwas verträglicher in der schönen Mancini-Coverversion "A shot in the dark".
Am zuverlässigsten kann ich allerdings meine Familie mit folgender Musik gegen mich aufbringen. Da versagen alle die Gefolgschaft. Für mich nicht so richtig nachvollziehbar, denn was John Zorn mit Naked City macht, ist zunächst nicht geeignet, den ständigen Verdacht gegen Jazz zu belegen, dass "der ja gar nicht richtig spielen könne". Ganz im Gegenteil, die Band ist äußerst präzise, macht slicke Coverversionen von irgendwelcher Filmmusik, spielt sich gekonnt und virtuos durch alle Genres. Jedoch kippen diese Versionen gerne von einer Sekunde auf die andere in atonale Sphären, nach einem Takt ist dann alles wieder in Ordnung, bis dann unvermittelt wieder zwei Sekunden Freejazz-Einschübe kommen. Das ist offenbar schwerer zu ertragen, als ein Lied, bei dem man von Beginn an weiß, dass es atonal ist.
Ich finde das sehr reizvoll, das kurze Stück NY Flat Top Box vermittelt den Eindruck, als wechsele man während des Liedes immer wieder kurz für zwei Sekunden den Radiosender von einer Country- zu einer Jazzstation. Ich mag das sehr gerne. (Ich habe das Stück hier nicht eingebettet, weil ich zwar die Musik mag, das Coverfoto aber nicht ertrage.)
Etwas verträglicher in der schönen Mancini-Coverversion "A shot in the dark".
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