1. Projektmuddi Katrin hat für diese Woche folgendes Motto ausgegeben: Das Buch mit dem längsten Titel im Regal. Ich mag ja die Vorgaben nicht, die einem bei der Auswahl keinen wertenden Spielraum mehr lasssen, sondern objektive und nachprüfbare Kriterien aufstellen. Der einfache Ausweg, einfach zu schummeln, ist nichts für mich, ich bin da Zwangscharakter. Noch ärgerlicher finde ich allerdings, dass ich meine Bücherregale durchforsten musste (und ich habe dann doch ein, zwei Bücher).
2. Lange Titel finden sich vor allem auch bei alten Büchern, die schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Hatte schon ein paar Befürchtungen, was ich jetzt präsentieren müsste. Aber ein paar der merkwürdigeren haben Gott sei Dank kurze Titel. Das mag an den Neuausgaben liegen, aber so pflichtbesessen bin ich nicht, dass ich noch einmal den Originaltitel überprüfen.
3. Das Buch mit dem längsten Titel in meinem Regal ist Arthur Schopenhauers "Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten in 38 Kunstgriffen dargestellt". Das hört sich wahrscheinlich für die meisten eher abschreckend an, ist aber ein nettes kleines Buch, das man mit Vergnügen lesen kann.
4. Schopenhauers philosophische Werke verstehe ich schon im Ansatz nicht, er war aber ein sehr guter Stilist und klarer Denker. Wenn er also über leichtere Themen schreibt, hat man eine schöne Lektüre.
5. Der Ausgangspunkt des Büchleins ist, dass es für die öffentliche Diskussion oftmals nicht wichtig ist, wessen Argument wahr ist, sondern welches für wahr gehalten wird. Deswegen geht es in dem Buch auch nicht über die Kunst, Recht zu haben, sondern um die Kunst, Recht zu behalten. Schopenhauer, der alte Pessimist, liefert auch gleich auf der ersten Seite den Grund, warum es überhaupt diesen Zwiespalt zwischen objektiver Wahrheit und Erfolg bei Zuhörern gibt: "Woher kommt das? - Von der natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Wäre diese nicht, wären wir von Grund auf ehrlich, so würden wir bei jeder Debatte bloß darauf ausgehn die Wahrheit zu Tage zu fördern, ganz unbekümmert ob solche unsrer zuerst aufgestellten Meinung oder der des Andern gemäß ausfiele..." Die weitere Folgerung ist: "Jeder also wird in der Regel wollen seine Behauptung durchsetzen selbst wann sie ihm für den Augenblick falsch oder zweifelhaft scheint. Die Hülfsmittel hiezu giebt einem Jeden seine eigne Schlauheit und Schlechtigkeit einigermaaßen an die Hand.."
6. Schopenhauer versucht dann im Folgenden eine Systematisierung der Kunstgriffe, die quasi die falsche Behauptung in der Diskussion retten könnten. Das ist teilweise recht drollig, andererseits (wie bei einem so systematischen Geist auch nicht anders zu erwarten) sehr präzise und erschöpfend. Viele moderne Rhetorikratgeber bedienen sich bei der Schopenhauer'schen Quelle. Das Buch ist vor allem auch ganz nützlich, wenn man selbst erkennen will, wann man sich einer unsauberen oder unredlichen Argumentation gegenüber sieht.
7. Ich lese es aber einfach auch deswegen immer wieder gerne, weil Schopenhauer, dieser schlecht gelaunte alte Mann, dort immer wieder herrlich herumpöbelt: "Bald darauf kam die Rede auf Hegel, und ich behauptete der habe großentheils Unsinn geschrieben oder wenigstens wären viele Stellen seiner Schriften solche, wo der Autor die Worte setzt, und der Leser den Sinn setzen soll." Zu Lebzeiten wurde es auch nie veröffentlicht, jetzt über 180 Jahre nach der Entstehung kann man es aber mit einigem Vergnügen lesen.
Schopenhauer... Irgendwo in den Tiefen meines Bücherregals muss ein Werk von ihm stehen, das sollte ich vielleicht endlich mal lesen, bevor die Staubmilben es auffressen.
AntwortenLöschenAndererseits hättest du auch sehr schlaue Staubmilben..
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