"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Sonntag, 16. November 2014

Stiff little fingers im SO36

Dieses Jahr war ich ja bislang auf noch nicht allzu vielen Konzerten; war wenig dabei, was mich interessiert hätte. In den letzten Tagen kam's dann aber gehäuft, aber ich habe das meiste verpasst: Für Bob Mould gab's keine Karten mehr, die Undertones habe ich erst an dem Tag, an dem sie spielten, mitbekommen und anstelle mir die Damned anzusehen, bin ich im Bayernland (die spielen außerdem mit Mötörhead und bei aller Sympathie weiß ich nicht, ob ich mir das antun wollte. NACHTRAG: Der Kiezneurotiker war bei Motörhead und hat einen schönen Konzertbericht geschrieben, auch wenn er musikalisch das Ganze etwas anders sieht).

Aber Stiff little fingers waren schon lange vorgemerkt, nach Anlaufschwierigkeiten habe ich's dann dahin geschafft. SLF waren eine der frühen Punkbands aus Nordirland, 1979 und 1980 waren ihre Alben im UK sehr erfolgreich. Am 30.11.1980 spielten sie im Rockpalast, dieses Konzert hat mein Bruder mit dem Kassettenrekorder vom Fernseher aufgenommen. Das war, neben den Sex Pistols, meine erste Berührung mit Punkmusik, damals hörte ich eher noch Beatles und Status Quo, spätestens als ich 13 wurde, musste da schon andere Musik her. Das Rockpalast-Konzert und die Alben habe ich mir wirklich hunderte Male angehört, das Bandlogo war auf meiner Lederjacke, die Lieder immer gerne auf der Gitarre nachgespielt. Gesehen habe ich die Band damals nie, als ich dann so langsam auf Konzerte konnte, hatten sie sich schon längst aufgelöst. Letztes Jahr habe ich sie dann in Berlin das erste Mal gesehen und es hat mir so gut gefallen, dass ich sie auch dieses Jahr nicht verpassen wollte.

Ausnahmsweise hebe ich nicht den Altersschnitt im Publikum, der Großteil sieht so aus, als habe er den Rockpalast-Auftritt 1980 nicht im Fernsehen, sondern im Konzert gesehen. Graue Haare, faltige Gesichter, Bierbäuche... das Publikum sieht teilweise so aus wie damals die Leute am Stammtisch meines Großvaters. Ich passe da prima rein. Die Zeit hat uns alle angefasst und sie hat's nicht sonderlich gut mit uns gemeint. Ich bin dann fast noch froh um die ein, zwei Hipster im Publikum.

Die Vorband, Fightball, kommt aus Berlin. Sie beginnen mit einem eher glatten melodischen Milleniumspunksong, beeindruckt mich zunächst nicht, für mich etwas zu sehr die "wir sind die lustigen Punks"-Masche. Musikalisch aber sehr kompetent, als ich nach zwei Liedern ein Bier hole, stelle ich auch fest, dass der Sound weiter hinten exzellent ist. Die weiteren Stücke bringen einige Abwechslung, mit Trompete, Keyboard, einiges hört sich jetzt etwas Beatsteaks-mäßig an, die Leute beginnen zu hopsen und ich hopse gerne mit. Kann man sich gerne noch einmal ansehen, die können auf jeden Fall etwas, die Jungs.

Dann erst einmal Umbaupause, zwei Roadies probieren alle Instrumente und Mikros, es wird langsam eng vorne. Als Zwischenmusik kommt Northern Soul und Reggae. Dann wird's dunkel und vom Band kommt das Instrumental "Go for it" von der dritten LP. Es mag eine Eigenheit des Berliner Publikums sein, aber genau wie letztes Jahr wird auch dieses Instrumentalstück mitgesungen. Die Band kommt auf die Bühne, die zwei Originalmitglieder Jake Burns und Ali McMordie teilen das Schicksal des Publikums: die sahen auch schon mal besser aus. Erstes Lied: "Wasted Life". Bevor es losgeht, stehen noch ein paar Leute mit vollen Biergläsern neben mir, nach den ersten Akkorden ist das Bier auf dem Boden bzw. auf meinen Klamotten. Rentner-Schunkel-Pogo und offenbar haben alle die Texte auch zum Mitgrölen parat. Die Band ist erstaunlich gut, Jake Burns hatte ja immer schon eine relativ hohe Stimme für einen Punksänger, aber er hat nichts verlernt. Das Alter hat ihm vielleicht ein paar Zusatz-Kinne verschafft, aber er ist immer noch so präsent und kraftvoll wie vor 35 Jahren. SLF spielen eine Mischung von Liedern der ersten drei LPs und verschiedene neue Songs, die vierte LP kommt leider - wie schon letztes Jahr - gar nicht vor. Was mich freut: Auf der Setlist steht auch das weniger bekannte "Silver Lining", das ich immer sehr gern mochte.

Irgendwann kommt ein armer Narr in SO36-Tradition nach vorne und schüttet Jake Burns ein Bier über das Hemd. Kurze Ansage, dass das ein schneller Weg ist, das Konzert zu beenden, und dann geht es weiter. Nach umfassendem Gehopse und Gegröle zunächst Pause, dann die erste Zugabe mit "Johnny was", einem Bob Marley-Cover. Und es beginnt und Jake Burns sieht aus wie vor 34 Jahren im Rockpalast, gleiche Mimik, gleiche Bewegungen. Und ich stehe im Publikum und frage mich, was mit den letzten Jahrzehnten passiert ist.

Letztes Lied: Alternative Ulster, die erste Single der Band. Alle schlittern noch einmal über den Boden, danach ist aber klar, dass der Abend vorbei ist. Ich gehe raus, vom Pfeifen in den Ohren begleitet....

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