"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Dienstag, 10. November 2015

Aus dem Poesiealbum

Gerade mal wieder ein bisschen alten Kram durchgesehen, dabei sind mir ein paar Briefe von 1983/84 in die Hände gefallen, die vielleicht ganz gut illustrieren, wie die frühe Punk-/Indieszene in Deutschland funktioniert hat. Man hat sich gegenseitig viele Briefe geschrieben, weil es ja keine andere Möglichkeit gab, mit Leuten aus anderen Städten in Kontakt zu bleiben. So führte man Korrespondenz mit anderen Bands, die Cassetten veröffentlicht haben und mit anderen Leuten, die Fanzines machten. Platten kaufte man häufig direkt bei der Band, schon allein deswegen, weil es nicht allzu viele Vertriebswege gab, wo man den Kram bekommen könnte. Wenn man irgendwo Adressen von interessanten Leuten fand, schrieb man erstmal. Manchmal bekam man Antwort, manchmal schickte man Geld und bekam Cassetten oder Fanzines oder Platten, manchmal bekam man nichts (ein Grund, warum ich Crowdfunding-Projekte so interesant finde, ist sicher, dass es da genauso läuft. 1984 in 2015.). Die Briefe, die ich jetzt  wieder rausgekramt habe, sind sicher nicht die, die mir damals am meisten bedeutet haben,* sie eignen sich aber ganz gut, um zu illustrieren, wie das damals lief.

Der erste ist von 1983, von einem der Toten Hosen, der einen kurzen Überblick über das Angebot des neugegründeten Totenkopf-Labels gibt (die erste LP erschien erst später). Offenbar hatten die Jungs damals noch nicht einmal ein kopiertes Labelprogramm, weil der arme Kerl (wahrscheinlich Andi)  alles mit Hand schreiben musste. Schwer vorstellbar damals, wie das dreißig Jahre später enden würde.

Der zweite muss von 1984 sein, von Bela B. von den Ärzten, die wir wohl auch angeschrieben haben, ob es irgendwann Konzerte bei uns in der Gegend geben würde. Kurz und handschriftlich - aber es war damals halt Szene-Ehrensache, dass man sich Briefe beantwortet. Fernsehpläne werden angesprochen ("Illmann wird zum Essen ausgeführt."), auch da hätte sich keiner so recht vorstellen können, in welche Richtung das alles noch gehen sollte.

(Ich kann mich übrigens erinnern, dass es wegen der ersten Fernsehauftritte der Toten Hosen und der Ärzte ("Kriminaltango"/"der lustige Astronaut") furchtbare Auseinandersetzungen bei uns im Wohnzimmer gab. Inzwischen auch nicht mehr nachvollziehbar.)

Schöne Zeiten, als es eine Szene gab und nicht Stars auf der einen und Publikum auf der anderen Seite. Wenn man ein bisschen sucht, findet man das auch heute noch.

*Bei meinem Bruder ist noch eine Antwort von CRASS und ich habe noch ein paar Briefe von Beton Combo und Razzia....

3 Kommentare:

  1. Sehr geil! Danke fürs Teilen! Bei uns in der Zone lief es ähnlich. Hatte regen Briefkontakt mit Tatjana von Die Firma und Makarios von Die Art. Und Tapes auch postalisch bestellt. :)

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    1. Ich bin da immer hin und hergerissen: Zum einen ist es jetzt schon schön, dass alle Musik einfach verfügbar ist. Zum anderen war es damals halt noch ein bisschen aufregender und die Entdeckungen einzigartiger... Aber das ist alles wirklich lange vorbei, der Eintrag hier ist für historische Zwecke....

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    2. So hab ich den Eintrag auch verstanden. Dennoch sehr lesenswert und ein schöner nostalgischer Rückblick auf alte und andere Zeiten. ;-)

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