Seit einigen Monaten quäle ich mich, angetrieben von meiner Beschäftigung mit dem britischen Elend, an einem Post, in dem die politische Meinungsbildung im UK mit der Haltung von Kleinkindern verglichen wird. Nicht intellektuell, die Leute sind ja nicht plötzlich blöd geworden, sondern eher emotional. Jeder von uns hat noch einen Vierjährigen in sich, der der Auffassung ist, eine Sache müsste einfach deshalb passieren, weil er es so wünscht. Politik, die suggeriert, das könne so sein ("have your cake and eat it"), entfaltet deswegen eine große Anziehungskraft, wenn keine Erwachsenen mehr im Raum sind, die den Spaß verderben. Die bislang geschriebenen Dinge kann ich allerdings jetzt löschen bzw. ich muss mir keine Mühe mehr geben, das zu erläutern, weil jeder in den letzten Wochen in den USA eine klare Illustration des Prinzips sehen kann. Der Masse an publizierter Fernpsychologie möchte ich nichts mehr hinzufügen.
Aber trotzdem ein kurzer Blick ins UK. Das Land wird im März den Scheidungsantrag einreichen, dann läuft die Zeit. Innerhalb von zwei Jahren mukm,km,km,km,km, (die Katze will mal wieder mitschreiben...), innerhalb von zwei Jahren müssen dann die Einzelheiten geklärt werden. Das Parlament hat mit großer Mehrheit dafür gestimmt, obwohl niemand, der auch nur entfernt mit der Materie vertraut ist, der Meinung ist, dass das in irgendeiner Weise sinnvoll machbar sei. Aber man muss ja den Willen des Volkes respektieren. Auch hier regieren die Vierjährigen, die Erwachsenen haben den Raum verlassen oder rutschen auf Bobby-Cars herum. Relativ häufig liest man die Genugtuung, dass die ganze Sache ja auch der EU schaden würde. Das wird so sein, in zwei Jahren werden wir alle Verlierer sein, nicht zuletzt, weil man den Sachverstand auf der EU-Seite besser auch nicht überschätzen sollte (wer es gerne umfassend apokalyptisch mag, dem sei dieser amerikanische Beitrag empfohlen. Ich fürchte, das ist zwar nicht die wahrscheinlichste, aber auch nicht die unwahrscheinlichste Variante. Und: sowohl Brexit als auch Trump sind nicht britische oder amerikanische Probleme, sondern sehr reale Probleme für uns. Wir werden es bald genug noch deutlicher merken).
Nach sechs Monaten hat die britische Regierung (netterweise am Tag nach der Parlamentsentscheidung) ein White Paper zum Brexit und dem weiteren Verfahren vorgelegt, das in der Presse als wegweisender Plan gefeiert wird. Ich halte mich da eher an die Experten; einer der wenigen Leave- und Brexit-Befürworter, der tatsächlich Ahnung von den weiteren Schwierigkeiten einer Trennung hat, kommt zu folgender Einschätzung: Wenn die Regierung vorschlüge, den Mond einzufangen, in die Irische See zu werfen und dann von ihm grünen Mondkäse abzubauen, wäre das ähnlich überzeugend. Auch die europafreundliche Expertensicht ist wenig ermutigend: Das White Paper ist das politische Äquivalent eines Haarknäuels, das von einer Katze hochgewürgt wurde. Im Ernst, die Trennung wirft - vor allem für das UK - eine Reihe von Sachfragen auf, die mit viel Zeit und gutem Willen beider Seiten gelöst werden könnten. Beides scheint aber eher nicht vorhanden zu sein. Grundlegendes Problem ist, dass viele der Kompetenzen, die jetzt wieder national behandelt werden müssen, vollständig von der EU übernommen wurden. In vielen Bereichen fehlt es dem UK derzeit vollkommen an Ressourcen und know-how. Auch das White Paper beantwortet nicht, wer zukünftig britische Flugzeuge zertifiziert, auf welcher Grundlage zukünftig Medikamente im UK zugelassen werden, wie die zukünftige Zusammenarbeit in der Fischerei aussehen soll, wie die Einhaltung der europäischen Standards bei Lebensmittelexporten in die EU gewährleistet bleibt, wie die Grenze zwischen Nordirland und Irland ausgestaltet werden soll, wie überhaupt die nunmehr notwendigen Grenz- und Zollkontrollen an den UK-Grenzen aussehen und durchgeführt werden sollen. Auch die ganzen Handelsaussenbeziehungen mit anderen Staaten basieren auf EU-Abkommen, die das UK nicht automatisch übernehmen kann. Aber was soll's, für all diese Fragen (die zum großen Teil im White Paper noch nicht einmal angesprochen sind) bleiben ja dann noch ca. 18 - 20 Monate bis zum Verhandlungsergebnis.
Als Berliner kann man sich vielleicht noch damit beruhigen, dass dann wenigstens nicht mehr der Berliner Flughafen als katastrophalstes öffentliches Projekt herangezogen wird.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dieser Scheidungsprozess in zwei Jahren absolviert werden kann. Zudem ja auch nicht nur - um im Bild zu bleiben - die Scheidung durch sein muss, sondern auch 27 Hochzeiten, denn die Handels- und Rechtsbeziehungen zu allen EU-Staaten müssen neu geordnet werden.
AntwortenLöschenHinzu kommt eine EU, die an einem gelungenen Abschluss der Verhandlungen im Zeitrahmen kein Interesse hat, denn es sollen ja auch Nachahmungstäter abgeschreckt werden, die im Augenblick damit liebäugeln, das heilige Sakrament des Staatsbunds zu verletzen.
An die zwei Jahre glaubt - außer der britischen Regierung - eigentlich niemand. Allerdings müssen die Beziehungen zu den Rest-EUlern gemeinsam geregelt werden - die Kompetenzen liegen alle zentral bei der EU. Allen Nachfolgeverträgen mit der EU müssen aber alle Mitgliedstaaten zustimmen - dass das nicht immer klappt, hat man ja bei CETA gesehen. Die EU hat allerdings auch einiges zu verlieren, wenn es keinen vernünftigen Übergang gibt - schließlich ist das UK wichtiger Exportmarkt, wird man in Zukunft ohne den Londoner Finanzplatz auch nicht auskommen. Und das UK ist eines der wenigen Länder, die substanziell Militärressourcen haben. Nachdem die Amis jetzt zum spinnen beginnen, wird das auch nicht ganz bedeutungslos sein.
LöschenSpannender ist das Verhältnis zwischen dem UK und den Staaten, die derzeit wesentliche Verträge mit der EU haben (ca. 40) - nach dem Austritt muss das UK auch hier neu verhandeln. Inhaltlich nicht zwingend schwierig, logistisch fast unmöglich.
Selbst wenn man eine extrem kompetente Regierung in London hätte, würde das nicht ohne substanzielle wirtschaftliche Verwerfungen abgehen...