Hier war es jetzt lange Zeit ruhig in Bezug auf Brexit-Nachrichten. Das liegt zum einen daran, dass die allgemeine deutsche Berichterstattung m.E. inzwischen recht akzeptabel ist. Zum anderen ist das ganze Thema ein furchtbares Elend. Ich verbringe immer noch genügend Zeit mit der britischen Innenpolitik, man fühlt sich aber wie ein Gaffer bei einem Auto-Unfall.
Die Verhandlungen über den Ausstieg laufen gerade nicht gut, die Briten hatten den einen Verhandlungsvorteil, dass sie den Zeitpunkt des Ausstiegs bestimmen konnten. Diesen Vorteil haben sie - unvorbereitet und unnötig - mit ihrer Art. 50 Erklärung aus der Hand gegeben. Nun sind sie am 29.3.2019, 23 Uhr Ortszeit, in jedem Fall draußen, die Uhr tickt und die Zeit läuft gegen sie. Ich mag gar nicht damit anfangen, was für Probleme sich daraus ergeben, nur ein Hinweis: Die Briten wollen aus dem Gemeinsamen Markt und aus der Zollunion heraus, das heißt, dass sie ihre eigene Zollverwaltung stark ausbauen müssen. So wäre es z.B. auch ganz gut zu wissen, welche Zölle in Bezug auf die EU gelten sollen (ggf. müsste jemand ja jetzt mal die IT programmieren...).
Aber kein Mensch weiß, was am 30.3.2019 gelten soll. Das bedeutet Chaos. Da die britische Wirtschaft vollkommen in die EU integriert war, gibt es dieses Chaos überall, bei jedem grenzüberschreitenden Sachverhalt.
Die Briten ziehen daraus jetzt aber nicht den Schluß, dass man vielleicht noch ein bisschen Zeit bräuchte oder dass man jetzt versuchen müsste, einen Kompromiss zu finden. Es gibt eine breite Strömung, die leider auch Gehör in Regierungskreisen hat, die der Auffassung ist, man müsse gar nicht verhandeln, sondern könne auch einfach vom Tisch aufstehen. Schließlich hätte auch 1972 - vor der EU - alles funktioniert, das werde jetzt nicht anders sein. Intern wird dies mit - man kann es kaum anders sagen - Propagandaartikeln begleitet, nach denen allein die EU aufgrund ihres unverschämten Verhaltens Schuld am Scheitern trage. Die Sun war so freundlich, einen ihrer Artikel auf deutsch zur Verfügung zu stellen, hier hat man einen guten Einblick in die Denkweise (inzwischen gibt es eine korrigierte Fassung, die erste Fassung hat dankenswerter Weise Jon Worth gesichert). Sollte man durchaus lesen. Nach meiner Einschätzung denkt so zwar nicht die Mehrheit, aber ein sehr großer Teil der Briten. Die Briten sind auch von der Idee besessen, dass der Brexit auch auf dem Kontinent ein bestimmendes Thema ist. Das fehlende Echo erklären sie sich damit, dass Merkel verzweifelt versucht, das Thema in Deutschland zu unterdrücken (Merkel ist ja ohnehin für die Brexiters eine Projektionsfläche für alles mögliche).
Flankiert wird das Ganze von Ratschlägen, dass die Leute vom Kontinent eben nicht rational und fair verhandeln könnten, wie es die Briten tun. Wie jemand auf die Idee kommen kann, dass es einen EU-weiten Verhandlungsstil gebe! Der Ratschlag ist, man müsse einfach die Verhandlungen abbrechen, dann kämen die Europäer schon angewinselt. Ich habe ja in dem Entwürfe-Ordner noch einen Beitrag mit Ratschlägen zur Verhandlung mit Wahnsinnigen liegen, aber da ich keinem Leser wünsche, dass er in solche Verlegenheit kommt, bleibt der besser bei den Entwürfen. (Die Position der EU ist auch nicht über alle Zweifel erhaben, aber der Dilettantismus und die Arroganz der Briten schmerzt schon ziemlich.)
Wenn es zu dem Verhandlungs-Aus kommt, werden auch wir darunter finanziell leiden müssen. Die Nachrichten aus dem UK, die das übertreffen werden, was wir vor drei Jahren aus Griechenland gehört haben, können uns dann auch nicht trösten. Es ist schade, dass eine eigentlich so vernünftige Nation nun in selbstverschuldetes Chaos taumelt. Aber selbst, wenn den Briten irgendwann klar wird, dass das ganze keine gute Idee ist: Ein Zurück wird es nicht mehr geben.
(Wie kann man so traurige Sachen musikalisch untermalen? Mir fallen hier nur die Meister des masochistischen Doppeldenks ein:)
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