"In the absence of intimidation, creativity will flourish"
G.Ginn

Mittwoch, 21. August 2019

Flipper mit Mike Watt

Flipper nerven. Flipper haben immer genervt. Es gibt Bands, die versuchen etwas zu machen, was ihr Publikum hören will, und es gibt Bands, die alles dafür tun, den Zuhörern den Spass zu verderben. Merkwürdigerweise bleiben einem die letzteren Bands oft länger im Gedächtnis. So ging es mir auch mit Flipper, von denen ich vor 30 Jahren mal ein Lied im Radio gehört habe, das ich dann zwar bis vor kurzem nie wieder gehört habe, das mir aber trotzdem nicht aus dem Kopf ging. Brainwash, eine sechsminütige Sequenz, bei der immer wieder ein etwa 20sekündiger Liedschnipsel mit rätselhaften Lyrics wiederholt wird. Brainwash, eben. Ein paar andere Lieder kannte ich von Samplern und es war auch dort so, dass immer, wenn man etwas gut fand, ein musikalischer Einfall kam, der einem den Spaß verdarb. Flipper hatten ihre besten Zeiten in den 80ern, sie waren jetzt zur 40-Jahre-Jubiläums-Tour unterwegs. Zwei der Mitglieder sind schon gestorben, als Sänger war nun David Yow, der früher mal bei Jesus Lizard war, am Bass begleitete Mike Watt, der ja bei mir im Haus einer der Säulenheiligen ist.

Das musste ich mir dann doch ansehen, das Publikum im Bi Nuu war so wie erwartet: Eine schöne Ansammlung von Freaks im deutlich gehobenen Alter. Manchmal macht mich ja das Punkrock-Altersheim etwas melancholisch, dort fand ich es aber eigentlich ganz schön: Alter bedeutet halt nicht mehr Konformität und alle hören jetzt Musikantenstadel, sondern es bleibt bunt und wild (natürlich mit Ausnahme von mir, der ja in der Freizeit grundsätzlich immer das Gleiche anhat, ob zum Punkkonzert oder zum Sonntagsgottesdienst). Das am gebrechlichsten wirkende Publikumsmitglied entpuppte sich allerdings später als Flipper-Gitarrist Ted Falconi. Sein Gitarrenspiel war dann alles andere als gebrechlich. Was mir bei den Konzerten gefällt, ist, dass ich inzwischen im Publikum viele alte Charakterköpfe sehe, wie damals, wenn ich mit meinem Opa zum Frühschoppen durfte. Kantig und vom Leben gezeichnet.

Erste Vorgruppe die Heads, von denen ich eigentlich nichts weiß. Musikalisch passend, weil sie nach frühen 80er Ami-Hardcore klangen. Mich erinnerten sie an die Toxic Reasons (das ist hier sicher der dümmste Verweis; ich selbst kenne eigentlich nur zwei Liedern von den Toxic Reasons, die ich mal auf einer Kassette hatte, und von den Leserinnen kennt höchstwahrscheinlich keine die Band, so dass das sinnloses Namedropping ist, das noch nicht einmal irgendjemand beeindruckt. Und es wird sogar noch dööfer: Ich stelle gerade fest, dass das Lied, das ich meinte, gar nicht von den Toxic Reasons war, sondern von Naked Raygun.) Die Band war nicht schlecht, hinterließ aber keinen besonderen Eindruck, das mag aber auch an mir gelegen haben. Später beim Konzert standen der Schlagzeuger und der Bassist irgendwie neben mir und boxten rum, dabei trat mir der Bassist auf den Fuß und ich schaute wachsam und überrascht, was den Bassisten und mich dazu brachte, verbal und nonverbal klar zu machen, dass wir uns nicht prügeln wollen. Cool, cool, no problem, Arm tätschel, grins grins.

Zweite Vorgruppe Dysnea Boys, ein Trio. Im Falle einer Schlägerei hätte man auf jeden Fall auf der Seite sein wollen, auf der auch diese Typen sind. Verzerrter Bass, ein Schlagzeug, dass so laut auf die Lautsprecher gelegt wurde, dass einem bei jedem Basedrum-Schlag das Herz flatterte, repetitive metallische Riffs und ein bisschen Headgebange, obwohl eigentlich keiner von denen lange Haare hatte. Erinnerte mich an Gore (zu den Musikverweisen, s.o.). Der Gitarrist sang dann über diesen ganzen Krach merkwürdige Sachen, bei einem Lied war es weitgehend "I don't know the words" und ich grübelte, ob er den Text vergessen hatte oder ob das der Text war. Ich fand es dann aber überraschend gut. (Hier kann man sich ein offizielles Video ansehen, in dem  eine Tänzerin zu der Musik in einem leeren Fabrikgebäude die Haare schüttelt und moderne Dance-Moves macht. Allerdings ist die Musik im Video ganz anders, als das, was die Jungs gespielt haben. Würde zu den neuen Liedern besser passen. )


Danach Flipper. Die Oldies stürmen die Bühne, man kann sich eine Kollektion von Frisuren ansehen, die bei älteren Leuten doch merkwürdig aussehen, dazu kommt David Yow, der irgendwie aussieht wie der spillrige, nervige Onkel, der bei Familienfeiern alle zutextet. Insoweit eigentlich ein passender Flipper-Sänger. Als er auf die Bühne kommt, merkt man schon, dass er breit wie eine Natter ist, man muss allerdings sagen, dass er trotzdem beeindruckend gesungen hat. Als erstes springt er von der Bühne ins Publikum, das ist schon ein sehr mutiger Move, wenn man eigentlich die kleinste Person bei einem Konzert ist. Teilweise lehnt er sich während des Singens einfach auch auf die Leute in der ersten Reihe, die verzweifelt versuchen, ihn vorm Umfallen zu bewahren. Die anderen produzieren derweil mit Sägegitarre und Wummerbass ein repetitiv hypnotisches Soundbett, zu dem Yow dann singt. Bei Ha Ha Ha entschließt er sich dann einmal, die anderen Bandmitglieder zu nerven und belästigt sie auf der Bühne. Am unangenehmsten ist, dass er die ganze Zeit herumspuckt.  Seine Ansagen auf deutsch sind etwas verwirrend, von "Tut mir leid" bis "Auf Wiedersehen Schwanzgesicht" ist alles dabei. Yow hat die Energie und Aura einer  Wespe bei einem Sommerpicknick.

Vielleicht sind die Maßstäbe seit den 80ern etwas andere geworden, aber die Musik von Flipper ist inzwischen gar nicht mehr so nervig und gemein, wie ich sie in Erinnerung hatte. Einprägsam und eigen ist sie allerdings immer noch, ich hatte viel Spaß bei dem Konzert. Zu dem letzten Lied Sex Bomb stürmten dann eine Masse von Leuten auf die Bühne. Die Band hatte aufgerufen, dass sich Saxophonisten melden sollten, die (wie auf der LP-Version) den Bläserpart spielen können. Kreuzberg ist allerdings Kreuzberg, deswegen gab es nur einen Saxophonisten, aber eine ganze Meute von Nasenflötenspielern, die einen unglaublichen Lärm machten. Daneben sprangen auch alle möglichen anderen Leute auf die Bühne und hüpften herum. Es war absolut grandios, insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, dass das alles eine (mindestens) Ü40-Veranstaltung war.


Und ich habe endlich mal Mike Watt gesehen.

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