Die beklemmende Wirkung der Musik von Black Flag hing für mich immer auch mit der Cover-Art von Raymond Pettibon zusammen. Pettibon, der Bruder von Gitarristen Greg Ginn, machte kopierte Heftchen mit Zeichnungen, die zunächst comic-artig erschienen, aber letztlich immer bedrohlich wirkten. Die 1980er Mini-LP "Jealous Again" ist dafür ein gutes Beispiel. Fünf Lieder, die gerade mal sechseinhalb Minuten dauern. Der Titelsong über eine eifersüchtige Freundin, danach wird "Revenge", Rache angekündigt. Das letzte Lied heißt einfach "Da kannst du drauf wetten, dass wir persönlich etwas gegen dich haben", "You bet we've got something personal against you", ein Lied des alten Sängers Keith Morris, der von der Band herausgeschmissen wurde, versehen mit einem neuen Text des Bass-Spielers Chuck Dukowski, in dem klargestellt wird, dass alle Morris für einen Arsch halten. (Chuck und Keith vertragen sich wieder, nur Greg Ginn mag inzwischen niemand mehr.)
Die Beklemmung der Musik wird durch das Cover noch verstärkt. Wir sehen zwei Frauen in einer Art Cheerleader-Uniform, mit Waffen, Pistolen und Schlagstöcken versehen, offensichtlich gerade in mitten einer Attacke. Einer ist der Cowboyhut schon heruntergefallen, hinter ihnen eine Fahne, auf der "Miltown High Cow" steht, die Uniformen haben jeweils ein "M" auf der Brust. Die Rückseite zeigt eine Szene, die wohl danach spielt, eine der beiden Frauen steht, nunmehr wieder ruhig, mit der Pistole in der Hand, vor einem Mann, der offensichtlich einen Kopfschuss bekommen hat (der eine College-Jacke mit einem "M" trägt). Die Frau sagt: "Bevor du stirbst, sag mir, dass du mich immer lieben wirst." Man muss jetzt nicht besonders tiefgründig sein, um sowohl bei der Musik als auch bei der Artwork ein zutiefst misogynes Element festzustellen (obwohl ich es immer wieder bemerkenswert finde, wie sich da viele bei der Punk-Geschichtsschreibung selbst in die Tasche lügen), das sei aber hier nur markiert, mir geht es um etwas ganz anderes.
Die Platte habe ich nun auch schon knappe vierzig Jahre, die zwei Bilder erzählen ja auch eine Geschichte, die ich mir aber nie so zusammenreimen konnte. Die militanten Cheerleaderinnen blieben für mich vollkommen unerklärlich. Gehörten sie zu einer Sekte? Was versetzte sie so in Wut? Äußerlich blieben sie ja ein Abbild des American oder vielleicht auch Californian Dreams. Vielleicht ein Grund, warum die Platte immer so gut funktioniert hat: Musik und Artwork zeigen ein Kalifornien, das so ganz weit entfernt von allen Vorstellungen ist, die man ansonsten von ihm hat.
Das Rätsel der militanten Cheerleaderinnen begleitete mich also ein paar Jahrzehnte, vor ein paar Tagen fand es dann aber eine - für mich überraschende - Auflösung. Auf Twitter sah ich verschiedene Bilder von Anti-Coronamaßnahmen-Demos in den USA. Während in den meisten Staaten irgendwelchen Säcke mit automatischen Waffen demonstrierten, sahen die Fotos von den Demos in Kalifornien anders aus. Man sah zwei Frauen, vor einer Polizeisperre, mit verzerrten Gesichtern. Als ich das sah, wusste ich, dass ich die Frauen schon einmal gesehen hatte. Es dauerte nur ein paar Stunden, bis mir die richtige Eingebung kam und ich zum Plattenregal ging.
Pettibon hat 1980 schon die Demonstrantinnen von 2020 gezeichnet. Die Frau muss auch eine der Organisatorinnen der Impfgegner-Bewegung sein. Offensichtlich ist die militante Cheerleaderin für den Rest der Welt ein Rätsel, in Kalifornien aber Realität.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen