Vor einigen Jahren war ich auf einer internationalen Konferenz in Berlin. Bei der Abendveranstaltung hatte ich keine Lust, mich an einen Tisch zu setzen, an dem Leute waren, die ich kannte; ich setzte mich einfach irgendwo hin und fand mich dann in der Gesellschaft zweier Konferenzteilnehmer aus Botswana und Zambia wieder. Es war ein sehr lustiger Abend, bei dem ich vor allem feststellte, dass die Kollegen extrem gut informiert über europäische und deutsche Politik waren, während ich absolut keine Ahnung von Afrika hatte. Vor dem Abschied (beinahe hätten die Kollegen das geschafft, was mir nie gelang: Frau Ackerbau überzeugt, dass man natürlich eigene Hühner halten muss) fragte ich noch, was sie mir an afrikanischer Literatur empfehlen könnten. Sie nannten Chinua Achebe, für mich waren die Bücher dann aber eher historisch interessant. Danach habe ich mir allerdings Mühe gegeben, etwas mehr über die verschiedenen Länder zu verstehen (Geographie war allerdings nie meine Stärke und meine hinterwäldlerische Herkunft lässt sich halt auch nicht vollständig verleugnen).
Über Twitter habe ich mir dann nach und nach ein paar afrikanische Accounts herausgesucht, denen ich gefolgt bin, irgendwann wurde mir dann ein kurzer Artikel des südafrikanischen Autors Niq Mhlongo in die Timeline gespült, wo er über das Spazierengehen auf Berliner Straßen berichtet. Das hat mir natürlich gefallen und ich habe mich nach Büchern von ihm umgesehen. Der Rest der Familie liest E-Book, ich eher nicht. Ein Vorteil ist aber, dass man sehr einfach Bücher aus fremden Ländern bekommen kann. Niq Mhlongo ist auch auf Twitter, allerdings eher schweigsam. Über den Account bin ich dann allerdings auf ein paar andere Autoren und einen afrikanischen Buchblog aufmerksam geworden
Vor ein paar Wochen hatte ich dann genug von meiner sonstigen Lektüre und wollte ein paar neue Sachen lesen, also habe ich ein bisschen herumgelesen. Der typische deutsche Roman ist ja über die Qualen mittelalter Männer, die Eheprobleme haben oder über kauzige Privatermittler im südlichen Weser-Ems-Kreis, das fand ich etwas ermüdend. Also wollte ich mir ein paar Romane aus (1) verschiedenen afrikanischen Ländern, die (2) im Wesentlichen für ein afrikanisches Publikum geschrieben wurden, holen. Nach ein bisschen Stöbern entschied ich mich für die folgenden vier Bücher. Ich habe sie in weniger als einer Woche gelesen, fand sie anregender und unterhaltsamer als das meiste, was ich die letzte Zeit gelesen habe. Da es sich um Romane handelt, die nicht vorrangig für ein europäisches Publikum geschrieben wurden, gibt es ein paar Dinge, die ich nur schwer verstanden habe, das wunderbare war aber, dass sich die Geschichten meistens ganz anders entwickelt haben, als zunächst vermutet. Was ich sehr faszinierend fand: eine Vorstellung vom Alltag in den Ländern zu bekommen. Wie gesagt, ich fand mich sehr gut unterhalten.
Was habe ich gelesen?
Südafrika - Niq Mhlongo. Niq Mhlongo hat einige Bücher geschrieben, die das Südafrika der 90er und 00er Jahre beschreiben. Dog eats Dog beschreibt eine Jugend in Johannesburg, kurz nach dem Ende der Apartheid, ziemlich unmittelbar und drastisch. Der Protagonist studiert ohne rechten Ehrgeiz und versucht sich durchzumogeln. Quasi der Nachfolger dazu ist After Tears; der Protagonist ist durch die letze Prüfung seines Jurastudiums durchgefallen, kommt wieder zurück, kann aber seiner Mutter nicht sagen, dass er nicht bestanden hat. Alle sind in dem Glauben, einen Rechtsanwalt unter sich zu haben, der die Hoffnung der Familie ist. Auch ansonsten ist einiges nicht so, wie es scheint. Mhlongo hat in einem Interview gesagt, dass er es etwas ermüdend findet, wenn vor allem Weiße diese Bücher als rein autobiographisch sehen. Tatsächlich sind die Geschichten zwar unmittelbar und drastisch erzählt, aber gut und klug konstruiert. Die großmäuligen Schelmengeschichten ergeben ein lebendiges Panorama des Lebens in Südafrika. Das wird noch ein bisschen deutlicher in der Kurzgeschichtensammlung Soweto, Under the Apricot Tree. Die Kurzgeschichten, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erzählt, geben eine atmosphärisch dichte Vorstellung des Lebens in Soweto. Ich habe die Figuren nicht immer verstanden, hatte aber das Gefühl neben ihnen zu sitzen, zu hören, was sie hören, zu sehen, was sie sehen. Mhlongo hat auch so eine Art sehr direkt zu schreiben, dass man zunächst denkt, alles im Text sei offensichtlich und offenbar, und dann doch feststellt, dass es noch zahlreiche weitere Ebenen der Geschichte gibt. Das mag ich gerne.
Auf deutsch ist von Niq Mhlongo nur Way back home erschienen, ein Buch, das ich noch nicht kenne. Wer englisch lesen will, dem würde ich Soweto, Under the Apricot Tree empfehlen oder After Tears.
Zimbabwe - Sue Nyathi. Sue Nyathi beschreibt in Gold Diggers die Reise von mehreren Menschen, die von Zimbabwe nach Südafrika illegal einwandern. Wir folgen den Menschen auf der Reise, bei der nächtlichen Überquerung des Limpopo, erfahren über die Gründe, warum sie Zimbabwe verlassen und wie es ihnen in Südafrika entgeht. Das Buch ist klug konstruiert, absolut spannend, durchaus effektreich. Auch wenn die Geschichten so tatsächlich nicht passiert sind, besteht kein Zweifel, dass sie genauso passieren hätten können. Ich musste häufig beim Lesen pausieren. Das Buch enthält viel Gewalt, insbesondere Gewalt gegen Frauen, der Realismus ist hier teilweise schwer zu ertragen. Aber man fiebert mit den Protagonisten mit und bekommt eine Vorstellung davon, was es bedeutet, Immigrant in Südafrika zu sein. Sue Nyathi gelingt es, sehr unterschiedliche Personen zu beschreiben, die einem sehr bald als Leser ans Herz wachsen, auch wenn es eigentlich keinen konventionell guten Helden in dem Buch gibt. Nyathi war wenigstens so nett, ein paar der Geschichten zumindest einigermaßen gut enden zu lassen. Noch mehr als bei Mhlongo zeigt das Buch auch die enorme Ungleichheit in Südafrika.
Sue Nyathi hat noch einen weiteren Roman, The Polygamist veröffentlicht, den ich noch nicht kenne (aber sicher lesen werde). Auf deutsch gibt es von ihr leider noch nichts.
Nigeria - Adaobi Tricia Nwaubani. Der Roman I do not come to you by chance spielt im nigeranischen Internetbetrüger-Milieu. Die Hauptperson hat einen hervorragenden Universitätsabschluss abgelegt, trotzdem findet sich keine Arbeitsstelle. Die Familie glaubt an den Wert der Bildung, ein Verwandter, der sein Geld mit Internetbetrügereien macht, wird geächtet. Verschiedene Umstände zwingen die Hauptperson, diesen Verwandten, der unter dem Spitznamen Cash Daddy bekannt ist, um Unterstützung zu bitten. Die Familie distanziert sich, aber im Team des Internetbetrügers lässt sich Geld verdienen, das alles übersteigt, was mit ehrlicher Arbeit zu erreichen ist. Aber lässt sich so ein Lebensstil auf Dauer durchhalten? Das Buch ist eine unterhaltsame Satire, die Auflösung am Schluss ist dann durchaus anders als erwartet.
Auf deutsch ist das Buch als Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash-Daddy erschienen (ich habe die deutsche Übersetzung nicht gelesen).
Ghana - Nii Ayikwei Parkes. Hier haben wir das afrikanische Pendant zum Regionalkrimi. In Tail of the Blue Bird wird ein Pathologe aus Accra in ein Dorf geschickt, in dem ein rätselhaftes Ereignis geschehen ist. Er wird mehr oder weniger von einem korrupten Polizisten gezwungen zu ermitteln. Er beginnt mit Spurensicherung wie bei CSI, in einem afrikanischen Dorf, in dem der Jäger noch mythische Geschichten aus dem Wald erzählt. Man findet verschiedene Elemente, die wir aus den Krimis kennen, die Begegnung Großstadt und Provinz, die Begegnung zwischen einfachem Polizist und studiertem Experten etc. Die afrikanische Auflösung ist dann aber doch ganz anders und mehr der Erzähltradition geschuldet. Während man liest, fühlt man sich palmweinberauscht. Ich habe danach gelesen, dass Parkes eigentlich Lyriker ist; das ist an einigen Stellen zu spüren. Parkes ist im UK geboren, in Ghana aufgewachsen, wohnt allerdings inzwischen wieder im UK.
Tail of the Blue Bird ist auf deutsch als Die Spur des Bienenfressers erschienen, ich habe die deutsche Übersetzung nicht gelesen.
Ich habe diese Bücher mit großem Vergnügen gelesen.
Danke für die Buchtipps, ich freue mich über neue Entdeckungen!
AntwortenLöschenLieber Andreas, zum Thema Nigeria bzw. Auswanderung von dort hätte ich auch eine Empfehlung für dich: Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. Hg. 2013. Ich habe nicht nachgeguckt, ob es eine deutsche Übersetzung gibt.
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Christiane
Das merke ich mir mal vor, vielen Dank!
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