So bewarb der Tagesspiegel die neue Spoken Word-Tournee von Henry Rollins, aber der Tagesspiegel betitelt auch einen Bericht über eine Ausstellung von Herrn Lindenberg mit „Peace mit dem Panikrocker“. Hätte man auch andersrum machen können. Ich habe sicherheitshalber nachgeschaut, ob dieser Mist seine Grundlage in der Rollin‘schen PR hat, aber auf seiner Website liest man folgende Beschreibung: Auf der Good to see you-Tour wird Henry wahrheitsgetreu erzählen, was in der kurzen Prä-Covid-Zeit nach seiner letzten Tour und danach, als alles noch merkwürdiger wurde, passiert ist. Es waren interessante Zeiten, um es mal vorsichtig zu sagen, und er hat ein paar großartige Geschichten zu erzählen. Das bereitet einen schon besser auf den Abend vor.
Ich habe Rollins vor 36 Jahren mal live gesehen, da war er 26 Jahre alt und ich 18. Wir sind beide älter geworden und was mir an Rollins gefällt, ist, dass er nicht stehen geblieben ist. Er war der tough Macho des Hardcores, der keinem Streit aus dem Weg ging, der von Charles Manson fasziniert war, Gewichte stemmte, mit Iggy Pop abhing. Für diese Geschichten gibt es noch genug Publikum, er bedient diese Erwartungen aber nur noch am Rande. Über diese Wandlung habe ich 2016 schon ausführlicher geschrieben.
Er beginnt den Abend vor vielleicht 1200 Leuten mit dem obligaten Loblied auf Berlin und seiner Wut, dass er jetzt lange nicht auf Tour gehen konnte, nur weil sich „ein paar Leute nicht impfen lassen wollen“. Er wird nun knapp zweieinhalb Stunden im Stakkato reden. Er berichtet von seinem neuen Wohnsitz in Tennessee, wo jeder - außer ihm - mehrere Waffen im Truck dabei hat. Er erzählt von der Tour, wie ein Typ mit ihm Streit anfangen wollte, weil er meinte, seine Frau sei in Henrys Tourbus. Spannend, dass Rollins, der Muskelberg, sagt: In einem Kampf hätte ich gegen den keine Chance gehabt. Die Geschichte nimmt eine andere Wendung, Rollins sagt dann, dass er niemanden mehr Idiot nennen will; die Menschen seien komplexer und fragiler. Er will seinen Teil dazu beitragen, dass das Jahrhundert besser endet als es begonnen habe.
Es kommt die erste Geschichte, die eingeleitet wird als die witzigste Geschichte, die er im letzten Jahr gehört habe. Das bereitet einen nur unzureichend darauf vor, dass es im Wesentlichen um den Tod und das Begräbnis seiner Mutter (zu dem er nicht gegangen ist) handelt. Mitten drin die Schilderung, wie er den Glauben an die Zahnfee verlor, weil er als Siebenjähriger in der Nacht aufwachte und merkte, dass nicht eine Fee, sondern der betrunkene Freund seiner Mutter Geld und Süßigkeiten versteckte. Aber zumindest habe er sich in dieser Nacht nicht an ihm vergriffen wie sonst. Es sagt einiges über Rollins Vortragskunst aus, dass er die Zuhörer dann weiter mit der grausigen und doch auch witzigen Geschichte fesseln kann. Oder vielleicht war's auch ein sehr stumpfes Publikum.
Danach kommt der Hauptteil des Abends, die Geschichte, wie ein junger Finne dreimal versucht in Rollins Haus am Fuße von Hollywood Hill einzubrechen, nebst dramatischen Show-Down. Rollins schildert sein Haus als Festung. Trotzdem liegt er jede Nacht angezogen (mit Schuhen) im Bett, um auf Eindringlinge schnell reagieren zu können (was im Fall der Fälle aber nicht viel bringen würde, weil er keine Waffen im Haus hat - eine der witzigsten Passagen ist, wie er überlegt, mit was er sich zur Wehr setzen könnte). Man kommt nicht umhin darüber nachzudenken, wieviel dieser Angst um nächtliche Angreifer, das einsame Leben in einer Festung dem Missbrauch geschuldet ist, den der junge Henry erleben musste. Die Geschichte entwickelt sich dann weiter als grausamer Slapstick, mit einem dann doch versöhnlichem Schluß.
Rollins schließt dann mit Ausführungen dazu, wie er die Amerikaner dazu bringen will, sich nicht mehr zu vermehren und ein paar witzigen Vignetten, wie jeder mit ihm Selfies machen will.
Redner und Publikum gehen erschöpft nach Hause. Ein guter Abend.
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